Zwischen Bangen und Hoffen

Von Tom Spielbüchler · · 2008/03

Der Prozess gegen den ehemaligen Präsidenten Liberias, Charles Taylor, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zeigt die Grenzen, die der internationalen Strafgerichtsbarkeit noch gesetzt sind.

Seit 7. Jänner wird in Den Haag der Prozess gegen Charles Ghankay Taylor fortgesetzt. Der ehemalige Präsident Liberias muss sich vor einem Sondertribunal für Sierra Leone wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verstöße gegen die Genfer Konvention verantworten. Die Anklageschrift wirft ihm in elf Punkten Mord, sexuelle und physische Gewalt, den Einsatz von Kindersoldaten, Entführung und Zwangsarbeit sowie Plünderung vor. Letzten Sommer hatte sich Taylor für unschuldig erklärt. Dann war der Prozess unterbrochen worden, um der neu bestellten Verteidigung Zeit zur Vorbereitung zu lassen.
Ehe 2004 der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag als permanente Institution seine Arbeit aufnahm, wurden seit Anfang der 1990er Jahre vier Ad-hoc-Tribunale geschaffen, um Verstöße gegen das Völkerstrafrecht zu verfolgen. Das Sondertribunal für Sierra Leone ist eines davon – und der Prozess gegen Taylor gilt als Meilenstein in der Entwicklung der Internationalen Strafgerichtsbarkeit.
Das Sondertribunal soll die Hauptverantwortlichen für die Verbrechen gegen die Menschlichkeit und gegen nationale Rechte in Sierra Leone seit 30. November 1996 gerichtlich verfolgen. Zur Rechenschaft werden dabei nicht nur die direkten Täter gezogen, sondern auch die Hintermänner – also jene, die solche Verbrechen geplant, dazu aufgefordert, und dabei Unterstützung geleistet haben. Ein offizielles Amt, so weiter im Statut des Tribunals, schützt dabei nicht vor Strafverfolgung – auch nicht jenes eines Staatschefs.

Die neun Mitangeklagten neben Charles Taylor repräsentieren die Spitzen der drei bewaffneten Gruppierungen, die Sierra Leone verwüstet haben. Taylor ist aber unumstrittener „Star“ auf der Anklagebank. Zum Zeitpunkt der ersten Anklageerhebung im März 2003 war er amtierender Präsident des Nachbarstaats Liberia. Von hier aus agierte er als eine Art Strippenzieher im Bürgerkrieg in Sierra Leone. Vom Sondertribunal wurde ein historisches Tabu gebrochen: Erstmals erhob man Anklage im Sinne des Völkerstrafrechts gegen einen amtierenden Staatschef.
Die individuelle Verantwortung von höchsten Amtsträgern ist völkerstrafrechtlich zwar kein Novum, bisher wurden Präsidenten oder Premiers aber erst nach ihrem Sturz angeklagt – als Ex-Präsidenten. Das fehlende Präfix macht den Unterschied. Taylor pochte auch prompt auf die bis dahin übliche Immunität eines Staatsoberhauptes. Die Nichtigkeitsbeschwerde wurde von der Berufungskammer 2004 abgelehnt. In dieser Kammer saß bereits damals die österreichische Richterin Renate Winter.
Am internationalen Völkerstrafrecht wurde bisher kritisiert, es sei eine Art Siegerjustiz. Die Anklage Taylors entkräftet diesen Vorwurf, nährt aber einen anderen: den des selektiven Vorgehens der Justiz. Niemand kann sich zurzeit vorstellen, beispielsweise den Staatschef eines ständigen Mitglieds des UN-Sicherheitsrates wegen Verstößen gegen das Völkerstrafrecht anzuklagen.
Diese im weitesten Sinne Legitimitätsfrage bleibt der internationalen Strafgerichtsbarkeit wohl erhalten, so lange China, Russland und die USA dem Römer Statut, ihrer vertraglichen Grundlage, nicht beitreten.

Gemäß der in dem Sondertribunal angewandten, westlichen/nördlichen Standards muss die Anklage beweisen, dass Taylor an den ihm vorgeworfenen Verbrechen in Sierra Leone persönliche Mitschuld trägt. Er selbst hat laut Anklageschrift dabei niemanden ermordet, vergewaltigt oder verstümmelt, sondern die eigentlichen Täter dazu aufgefordert bzw. unterstützt.
Dies unzweifelhaft zu beweisen wird schwierig sein, da der wichtigste Zeuge der Anklage, Foday Sankoh, im Sommer 2003 an den Folgen eines Schlaganfalls in Untersuchungshaft gestorben ist. Sankoh war Chef der Rebellenorganisation Revolutionary United Front (RUF) in Sierra Leone und Taylors Partner in dem brutalen Kampf um die Kontrolle der dortigen Diamantenminen.
Scheitert die Anklage, wäre dies ein Rückschlag für die internationale Strafgerichtsbarkeit. Man hätte zwar nach modernen Standards Recht gesprochen, die präventive Wirkung solcher Prozesse für andere, potenzielle Warlords – wichtiges Argument der BefürworterInnen der internationalen Strafgerichtsbarkeit – wäre damit aber ad absurdum geführt.
Und in Sierra Leone selbst? Die Masse der Täter wird, soweit möglich, der traditionellen Gerichtsbarkeit zugeführt. Einem Schuldbekenntnis folgt die Vergebung und Wiedereingliederung in die Gesellschaft, um ein gemeinsames Weiterleben nach dem Bürgerkrieg möglich zu machen. Solche Prozesse sind auch von andern Konfliktherden bekannt.
Den AnhängerInnen einer starken, internationalen Strafgerichtsbarkeit bleibt die Hoffnung, dass man Charles Taylor die persönliche Mitschuld an den Gräueltaten in Sierra Leone nachweisen kann, um potenziellen Nachahmern zu signalisieren: Die Straflosigkeit hat ein Ende.

Tom Spielbüchler ist Assistent am Institut für Zeitgeschichte in Innsbruck, wo er den Afrika-Schwerpunkt leitet. Als freier Journalist konzentriert er sich auf Konflikte in Afrika und die afrikanische Integration.

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