Walter kam von der Väterkarenz zurück in die Firma und war etwas durcheinander. Ihm fiel die Umstellung zwischen Familienwelt und Firmenwelt nicht leicht. Als ihm ein Kollege eine Excel-Tabelle zur Durchsicht zeigte, sagte er: „Der Papi macht das schon.“ Spaß natürlich. Beim Meeting mit seinem Vorgesetzten wurde es schon kritischer: „Herr Müller, so geht das nicht, das Quartalsergebnis ist ein Desaster“, da wäre ihm beinahe herausgerutscht: „Ist ja gut, die Mutti kommt gleich.“ Irgendwie kam Walter mit den unterschiedlichen Welten nicht mehr zurecht. Vor allem wurde ihm bewusst, dass in beiden Bereichen völlig unterschiedliche Werte regierten. Dem Kind will man doch Gemeinschaftssinn vermitteln, aber in der Firma?
Wie oft hatte er seinem Sohn erklärt: „Bitte nimm dir nicht das größte Stück vom Kuchen, die anderen Kinder wollen auch etwas haben.“ Und jetzt in der Firma hieß die Philosophie: „Wenn die Lieferanten blöd aufmucken, dann kaufen wir halt woanders.“ Was jetzt? Egoismus oder doch Miteinander?
Ratlos kaufte sich Walter ein Buch. Einen Ratgeber. „Holen Sie mehr aus sich raus.“ Der Autor: S. Hohl. Der Inhalt: Tipps zur Selbstoptimierung. Die Lektüre verlangte ihm einiges ab. „Trainieren Sie ein strahlendes Lächeln“, stand da. Sein Sohn hatte das Lächeln automatisch, der brauchte das nicht zu trainieren. „Werden Sie jeden Tag effizienter“, hieß es. Bei der Abarbeitung seiner E-Mails war das sinnvoll, aber: Wie spielt man mit einem Kind effizient? Spielt man dann Fußball und Blockflöte gleichzeitig? Walter grübelte.
Besonderes Kopfzerbrechen machte ihm allerdings der Satz: „Seien Sie nicht nur kompetent sondern auch authentisch.“ Wie sollte er das anstellen? Er war tätig im Vertrieb eines Tierfutterunternehmens. In Gedanken überflog Walter das Sortiment: Neuseeland-Muscheln für Katzen, Wasserbüffel mit Kürbis für Hunde, Hähnchenhälse, glutenfreie Kartoffeln für Meerschweinchen, Futter mit maximaler Verdauungssicherheit, Lachscreme aus der Dose. Wie soll man das nicht nur kompetent sondern auch authentisch verkaufen? Vorher selber essen?
Walter legte das Buch weg. Irgendwie hatte er kein gutes Gefühl bei dieser ganzen Selbstoptimierungs-Geschichte. Nein, er wollte seinem Sohn kein schlechtes Gewissen einjagen mit dem Satz: „Iss zusammen, weil die Kinder in Afrika hungern.“ Er wollte aber schon, dass sein Kind eines Tages einen Blick für die ganze Welt hat. Und er entschied sich, das Buch zu entsorgen.
Georg Bauernfeind ist Kabarettist und Publizist in Wien.
Programm und Termine auf www.georg-bauernfeind.at
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