Wundersame Wende

Von Ralf Leonhard · · 2008/03

Eine der fortschrittlichsten katholischen Einrichtungen Österreichs und ihre Zeitschrift „Alle Welt“ wurden auf konservativ-klerikalen Kurs gebracht.

Vor einem Jahr erhob die Redaktion von „Alle Welt“ die Meinung ihrer Leserinnen und Leser zu Form, Inhalten und Schwerpunkten der Zeitschrift. Diese wird alle zwei Monate von den Päpstlichen Missionswerken – auch Missio Austria genannt – herausgegeben. Die Zustimmung zur professionellen Gestaltung war genauso überwältigend wie zur weltoffenen Linie. Die Vielfalt der Themen wie auch die Aufbereitung der Artikel wurden von rund 90 Prozent der Befragten gutgeheißen. Mehrere internationale Preise bestätigten die Redaktion in ihrer Arbeit. Ein Auftrag, in gleicher Weise weiterzumachen, sollte man meinen. Doch mit einem neuen Layout zu Jahresbeginn 2008 wurde auch die inhaltliche Konzeption gründlich auf den Kopf gestellt. Die neue „Alle Welt“ wurde auf einen konservativen Kurs gebracht und hat sich, so die Meinung kritischer LeserInnen, in ein eine Art Andachtsblatt für Verehrer der seligen Mutter Teresa verwandelt.
Jakob Mitterhöfer kann den neuen Kurs der Zeitschrift, die er einst prägte, nicht kommentieren: „Ich habe mein Abo abbestellt“, sagt der Steyler-Missionar. Unter der Leitung von Bischof Florian Kuntner hatte er die Publikation nach dem Zweiten Vatikanum (1962-1965) zu einer Stimme des innerkirchlichen Aufbruchs gemacht. Sie öffnete sich für andere Kulturen und Religionen und erreichte eine Auflage von über 200.000 Stück, die größtenteils an AbonnentInnen gingen. Mitterhöfer versuchte, „das religiöse, kulturelle und soziale Umfeld möglichst wirklichkeitsgetreu“ darzustellen und die „Aufbrüche der Weltkirche“ mit zu tragen. Auch der konservativere Wind, der aus dem Vatikan wehte, nachdem Johannes Paul II. Papst geworden war, konnte der Gestaltung und dem Erfolg des Blatts zunächst nichts anhaben. 1994 übernahmen Gregor Henckel-Donnersmark als Nationaldirektor und Franz Helm von den Steyler-Missionaren als Generalsekretär die Führung von Missio. Der Zisterzienserpater Henckel-Donnersmarck teilte zwar die eher befreiungstheologische Linie der Steyler nicht, ließ aber das eingespielte Redaktionsteam gewähren. Als er 1999 zum Abt von Stift Heiligenkreuz berufen wurde, begann sich das Blatt zu wenden.

Der Umsturz: Ludwig Schwarz, der als unpolitischer Pfarrer galt, wurde von der Salesianeruniversität in Rom geholt und zum Nationaldirektor berufen. Sein Auftrag war, zu verändern, was das Bischofskollegium schon längere Zeit an „Alle Welt“ kritisiert hatte: zu interreligiös, zu wenig Papst, zu wenig Mission. Schwarz installierte bald einen Mann im Büro, dessen Aufgabe den MitarbeiterInnen zunächst nicht klar war: Leo Maasburg. Der langjährige Begleiter der Mutter Teresa von Kalkutta war nach dem erfolgreichen Seligsprechungsverfahren der Ordensgründerin ohne Beschäftigung. Spätestens als Schwarz vor drei Jahren zum Bischof von Linz aufstieg und Maasburg als Nationaldirektor nachrückte, wurde den MitarbeiterInnen von Missio klar, dass jetzt die Wende angesagt war. Im Büro wurde eine Kapelle eingerichtet, wo das Erscheinen der Belegschaft zur Morgenandacht und zum mittäglichen Angelusgebet zwar nicht ausdrücklich verlangt, aber erwartet wurde.
Der damalige Chefredakteur der Zeitschrift „Alle Welt“, Wolfgang Engelmaier, jetzt Redakteur der Kolping-Zeitschrift, erinnert sich an ein Gespräch, bei dem die Linie vorgegeben wurde: Nur mehr ein Drittel der Zeitschrift sollte anderen Kulturen gewidmet sein. Es hieß: „Ein Drittel Spiritualität und ein Drittel Lehramt.“ Der Steyler-Pater Christian Tauchner sieht die Praxis so: „Spirituell ist jemand, der den Rosenkranz betet und Mutter Teresa verehrt.“ Tatsächlich wurde die Selige inzwischen zu einer Hauptfigur in „Alle Welt“. Zwei Seiten sind Anekdoten aus der persönlichen Erinnerung Maasburgs gewidmet.
Auch auf anderen Tätigkeitsfeldern begab sich Missio in die Isolation. Sie stieg aus der AIDS-Plattform aus, einem breiten Bündnis, das Aufklärung in allen Gesellschaftsschichten betreibt, und zog sich jüngst auch aus einem Kindertheaterprojekt zurück.

Besonders heftige Reaktionen provozierte ein Leitartikel von Leo Maasburg im Mai des Vorjahres, in dem er gegen die angeblich gewaltbereite Befreiungstheologie vom Leder zog. Die Argumentation war theologisch so schwach untermauert, dass sich der Autor später bei einer Aussprache mit Steyler-Brüdern auf seine Übermüdung ausredete. Er hätte den Text um Mitternacht geschrieben.
Es sei legitim, wenn ein Herausgeber die Blattlinie neu definiere, meint ein ehemaliger Mitarbeiter, doch sei Maasburg nicht nur „klerikal bis zum Letzten“, sondern auch extrem hierarchisch und kommunikationsunfähig. Sein Wunderglaube sei irritierend. So empfahl der Geistliche statt einer Fundraising-Kampagne für ein Projekt, sich mit Gebeten an den Heiligen Joseph zu wenden. Binnen weniger Monate verließen fast alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Haus in der Wiener Seilergasse, der Generalsekretär wurde entlassen.
Die neue Ausrichtung kann man in den jüngsten Nummern von „Alle Welt“ nachlesen. Langjährige LeserInnen, die zu einem großen Teil der älteren Generation angehören, folgen nach und nach dem Beispiel von Pater Mitterhöfer und bestellen ihre Abos ab.

Der Autor lebt als freier Journalist in Wien und ist Mitarbeiter des Südwind-Magazins.

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