Das Onlinegeschäft ist im Aufwind. Wie kleine Geschäfte, Plattformen und Initiativen, die auf bewussten Konsum setzen, auf die Folgen der Coronakrise reagieren.
Von Milena Österreicher
Frühjahr 2020: Das Coronavirus erreicht Österreich. Die Bundesregierung verkündet Ausgangsbeschränkungen, Geschäfte müssen vorübergehend schließen. Eine Situation, die viele in Sachen Konsum zum Einkauf im Internet verleitet.
Die Linzer Johannes Kepler Universität berechnete, dass hierzulande rund 350.000 Menschen während des „Lockdowns“ zum ersten Mal im Netz einkauften. Bis Jahresende soll die Gesamtzahl an OnlineshopperInnen in Österreich auf 4,3 Millionen anwachsen.
Gleichzeitig rechnen 85 Prozent der Unternehmen mit einem Drittel an Umsatzeinbußen, wie eine Umfrage des österreichischen Handelsverbandes und des Beratungsunternehmens Ernst & Young ergab.
Die Geschäfte müssen reagieren: Knapp die Hälfte der befragten Unternehmen gab an, im Zuge der Covid-Krise ihren Onlineshop ausgebaut zu haben oder einen eigenen aufbauen zu wollen.
Her mit dem Webshop! Wie gehen HändlerInnen, die auf bewussten und nachhaltigen Konsum setzen, damit um? Beispiel Weltladen im niederösterreichischen Baden: Auch das Geschäft am Hauptplatz des Kurortes verzeichnete im ersten Lockdown-Monat April rund ein Drittel weniger Umsatz. „Manche Leute hatten schon davor zu uns gesagt: Ihr müsst auf den Onlinezug aufspringen, sonst bleibt ihr zurück. Corona hat den Online-Trend verstärkt, deshalb setzen wir jetzt einen digitalen Shop um“, berichtet Geschäftsführerin Gertrude Jaksch-Fliegenschnee. „So können wir eine größere Zielgruppe erreichen, vor allem junge Menschen.“
Im November soll der Webshop online gehen. Vorerst werden nur Lebensmittel angeboten.
Exklusive Lieferung. Jaksch-Fliegenschnee selbst ist kein großer Fan von Onlineshopping: „Der persönliche Kontakt und die Beratung im Geschäft, das ist für mich essenziell.“ Zudem seien die Transportwege sowie das viele Verpackungsmaterial durch Lieferungen ökologisch bedenklich. Darum wird der Onlineshop des Weltladens Baden anders aufgezogen, der klassische Versand soll nur die letzte Option sein: Auf der Website erfahren KundInnen, welche Produkte lagernd sind. Die Waren werden online reserviert und im Idealfall selbst im Geschäft abgeholt. Ansonsten stellt Jaksch-Fliegenschnee die Waren in einem Umkreis von fünf Kilometern selbst per Fahrrad zu.
Eine Methode, die schon während des Lockdowns gut funktioniert habe: Die KundInnen riefen an und bestellten, die Geschäftsführerin radelte und stellte zu. Zwischen drei und 20 Packerl führte sie am Tag aus.
David gegen Goliath. Der Webshop gesellt sich zu den mehr als 12.000 bereits bestehenden Onlineshops in Österreich. In den vergangenen Jahren erstellten Privatpersonen sowie verschiedene Institutionen Plattformen und Listen, auf denen lokale Geschäfte und Onlineshops mit regionalem Fokus in den Weiten des Internets gefunden werden können: Nunukaller.com, anna-kauft.at, die österreichische Onlineshop-Fibel der Wochenzeitung Falter, bauernladen.at, laendleshop.at in Vorarlberg oder wirkaufenin.tirol sind einige Beispiele dafür.
Die heimischen Angebote profitieren jedoch nur begrenzt vom wachsenden Online-Markt. Denn: Jede bzw. jeder Zweite bestellt im Ausland. 85 Prozent der österreichischen Online-KäuferInnen gaben in einer Umfrage von Handelsverband und Mindtake Research an, vergangenes Jahr beim US-Versandriesen Amazon bestellt zu haben. Auf Platz zwei folgt die deutsche Konkurrenz Zalando.
Die großen Konzerne stehen immer wieder in der Kritik. Dem weltweit größten Onlinehändler Amazon werden etwa schlechte Arbeitsbedingungen und Steuervermeidung vorgeworfen. International nimmt Amazon eine mächtige Monopolstellung ein, kleine Unternehmen kommen dagegen schwer an.
Mach es fair. Den Kampf gegen Giganten nahmen Petra Etzelstorfer und Judith List auf. Anfang des Sommers gründeten sie das Online-Kaufhaus Doitfair. Zu kaufen gibt es fast alles: von Kleidung über Spielzeug bis zu Kosmetikprodukten, Saft und Teigtaschen. „Wir möchten langfristig eine Alternative zu internationalen Mega-Marktplätzen bieten“, erzählt Etzelstorfer.
Auf der Online-Plattform sind lokale und zu fairen Bedingungen produzierende Unternehmen vertreten. 150 ProduzentInnen waren es im Sommer, bis Jahresende sollen es tausend sein.
Auch Beeanco, ein virtueller Marktplatz für nachhaltige Produkte, verzeichnete Zulauf durch die Coronakrise. „Wir wurden von viel mehr ProduzentInnen kontaktiert, die bei uns zusätzlich online verkaufen wollen“, erzählt Markus Rosenberger.
2019 gründete er gemeinsam mit Michael Frey, Christoph Widl und Anya Hubmayer die Verkaufsplattform. Die angebotenen Produkte und Dienstleistungen – von Haushaltsgeräten über Bekleidung bis hin zu Stromlieferungen – müssen mindestens zwei von neun Nachhaltigkeitskriterien erfüllen, darunter soziales Engagement und Langlebigkeit der Produkte.
Die HerstellerInnen verpflichten sich dabei, eine Reparatur der Waren anzubieten sowie Austausch- und Ersatzteile für den Zeitraum der Lebensdauer zu führen.
Für Beeanco und Doitfair ist der Versand eine Herausforderung. Momentan verschicken die ProduzentInnen beider Plattformen selbst. Beeanco verfügt noch über kein eigenes Lager, Doitfair arbeitet zurzeit mit dem Versanddienstleister Logwin ein Basismodell für den Versand aus, das die faire Bezahlung der Menschen im Versanddienst berücksichtigen soll. In den vergangenen Jahren habe es großes Preisdumping bei Versanddienstleistern gegeben, betont Etzelstorfer. „Aber warum soll der Mensch, der mir das Packerl nach Hause bringt, nicht auch fair bezahlt werden?“
Es bewegt sich was. Trotz Platzhirsch Amazon & Co – Regionalität, Transparenz und reduzierte Verpackung sind vielen Menschen ein Anliegen. In einer Umfrage des Gallup-Instituts im Auftrag von Fairtrade Österreich im Juni 2020 gab ein Drittel der Befragten an, dass Nachhaltigkeitsthemen wie der Schutz der Umwelt, soziale Verantwortung und umsichtiges Wirtschaften für sie persönlich als Folge der Coronakrise wichtiger geworden sind.
Das 2018 gegründete Start-up markta.at profitiert von diesem Trend. Der „digitale Bauernladen“, so die Selbstbezeichnung, liefert Lebensmittel von österreichischen Bauernhöfen nach Hause. Während des Lockdowns stiegen die Bestellungen um das Zwanzigfache, das junge Unternehmen gewann 15.000 neue KundInnen.
Wird sich der Lebensmitteleinkauf längerfristig ins Internet verlagern? Konsumforscherin Nina Tröger ist skeptisch (siehe auch folgendes Interview). Eine Änderung im Einkaufsverhalten brauche einen gewissen Gewöhnungseffekt und hänge auch stark davon ab, wie das Einkaufserlebnis war: „Wurde es als positiv empfunden? Oder war es aufwendig, man musste die Hälfte zurückschicken und erst recht wieder zur Post gehen?“, so Tröger.
Bewusst offline. Nicht alle setzen dabei auf Web: Kathrin Haumer führt seit zwölf Jahren das Geschäft Green Ground in Wien-Alsergrund, wo sie ökologische und fair produzierte Mode verkauft. Die Geschäftsführerin bat die KundInnen während des Lockdowns, Gutscheine zu kaufen und nach der Krise wieder ins Geschäft zu kommen. „Unsere Kunden nahmen das super an“, betont Haumer. Die Lockdown-Einbußen konnten so wettgemacht werden.
Haumer entschied sich dabei ganz bewusst gegen einen Webshop. „Ich finde beim Online-Modekauf die Retourenquote zu hoch. Viele bestellen sechs T-Shirts und schicken davon vier wieder zurück. Das finde ich ökologisch bedenklich.“
Zudem dürfe man den Aufwand, den ein Webshop mit sich bringt, nicht unterschätzen. Energie, die Haumer lieber in den Fortbestand ihres Geschäftslokals steckt – und dabei auf das Bewusstsein ihrer KundInnen zählt.
Milena Österreicher ist freie Journalistin und Übersetzerin für Spanisch und Portugiesisch.
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