Wissen und Entwicklung – Neue Schüsselkompetenz

Von Robert Poth · · 2000/04

Wissen, das heißt die effiziente Nutzung von Information, und Innovationsfähigkeit, wozu die Bereitschaft gehört, veraltetes, unbrauchbares Wissen über Bord zu werfen, gelten heute als Schlüsselkompetenzen für ein Überleben und Prosperieren am Markt, ob für Individuen oder Unternehmen. Je mehr der Markt zum Weltmarkt wird, desto mehr wird solches „Wissen“ zum zentralen Faktor für die Entwicklung aller Länder, ob arm oder reich. Rohstoffreichtum, niedriges Lohnniveau oder sonstige „Standortvorteile“ werden wirtschaftlich keine Rolle mehr spielen. Früher hieß es, die „Kapitalarmut“ der Entwicklungsländer durch den Transfer von „Kapitalüberschüssen“ der reichen Länder in Form von Krediten oder Zuwendungen zu beseitigen; heute ist von „Wissensarmut“ die Rede. Die Sorge, mit der die wachsende „Wissenskluft“ zwischen Nord und Süd betrachtet wird, ist berechtigt.

Nur eines ist klar: Der Markt allein wird die Wissenskluft nicht verringern. Er versagt gerade in zwei für die armen Länder zentralen Bereichen, nämlich der Gesundheitsversorgung und der Ernährung, wie zwei Beiträge dieses SÜDWIND-Themas zeigen.

Was dem Geldgeber der Zins, ist dem Wissensgeber die Lizenzgebühr. Wo kein Geld, da keine Forschung. Die Politik ist gefordert.

Es ist wichtig zu wissen, dass Globalisierung und Handelsliberalisierung kein Rezept sind, die Armut zu bekämpfen, sondern dazu tendieren, die Armut zu vertiefen. Wissen ist, was von der Armut befreit, sagt Ela Bhatt von der indischen Frauenorganisation SEWA. In 25 Jahren Arbeit mit armen Frauen hat sie erfahren, dass dieses Wissen oft nicht existiert. Es muss erst geschaffen werden, von den Armen selbst. Es gehört zu jenem langfristig erworbenen „gesellschaftlichen Wissen“, das die Stabilität und soziale Ausgeglichenheit der reichen Gesellschaften ausmacht, wie Rubens Ricupero, der Generaldirektor der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung anerkennt: Seine Heimat Brasilien gehört zu den Ländern mit den weltweit schärfsten sozialen Gegensätzen. Solche Phänomene waren den indigenen Völkern Brasiliens früher unbekannt: Für sie ist Wissen gleichbedeutend mit Verantwortung – nicht nur gegenüber den Mitgliedern der eigenen Kultur, sondern gegenüber allen Wesen und für zukünftige Generationen. Ihnen fällt es leicht, einen Mangel der Gesellschaften der Weißen zu erkennen: Sie wissen nicht, wie sie in einer Welt mit beschränkten Ressourcen überleben können. Und das ist wohl die gefährlichste Wissenskluft.

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