Überlegungen zu Krankheit, medizinischer Versorgung und welche Rolle der Glauben in Syrien dabei spielt.
Neulich habe ich gelesen: In Deutschland lebende Syrer:innen gehen vorwiegend zu syrischen Ärzt:innen. Da ist freilich die gemeinsame Sprache. Und mittlerweile stammen die meisten ausländischen Mediziner:innen, die in Deutschland arbeiten, aus Syrien. In Österreich ist es wahrscheinlich ähnlich.
Mich verwundert es aber, da die Menschen in ihrem Heimatland, wenn sie es sich leisten können, dort nicht zu syrischen Ärzt:innen gehen, sondern zu ausländischen. Diese haben den Ruf besser ausgebildet zu sein.
Das Gesundheitssystem in Syrien ist schon seit der Zeit vor dem Krieg miserabel. Gratis Behandlungen bekommt man in öffentlichen Spitälern. Davon gibt es nicht so viele – sie sind daher überfüllt und die Qualität ist tatsächlich schlecht. Die Arbeit dort ist Teil des Medizinstudiums – das heißt, die angehenden Ärzt:innen lernen zwar viel in der vierjährigen obligatorischen Praxis. Gleichzeitig ist das für Patient:innen wahrscheinlich nicht immer nur günstig. Wer schwer erkrankt und kein Geld hat, wird meist nicht mehr gesund. Was den Gläubigen bleibt, ist das Beten.
Wer Geld hat, geht in Privatordinationen und zahlt Länge mal Breite. Am Liebsten für Medikamente, hält sich doch nach wie vor der Glauben, dass man schneller gesund wird, je mehr man davon nimmt.
Dafür erwarten sich die Menschen im Allgemeinen weniger Erklärungen beim Arzt oder der Ärztin. Das hat vielleicht u. a. damit zu tun, dass Gläubige das Krankwerden als gottgewollt nehmen.
Für mich – einem wissbegierigen und nicht gläubigen Syrer – war es in Österreich eine ganz neue Erfahrung, dass mir mein Hausarzt alles genau erklärt, was ich von ihm über meinen Gesundheitszustand wissen will. Von ihm habe ich auch gelernt, dass es nicht immer unbedingt ein Antibiotikum sein muss, und dass manchmal weniger mehr sein kann.
Im Gegensatz zu vielen anderen Syrer:innen gilt für mich, wie man hier so schön sagt: „Wer viel weiß, muss weniger glauben“, und damit lebe ich ganz gut hier.
Ahmad Ibesh, 30, kommt aus Aleppo in Syrien. Als er in die Armee sollte, floh er in die Türkei und kam 2015 nach Österreich. Seither lebt er u. a. als Schneider von seinem Label „Herzgenäht“ (vgl. Rubrik Lokalaugenschein, Südwind-Magazin 7-8/2020) in Kärnten.
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