„Wir skypen nur mit der Natur“

Von Redaktion · · 2011/10

Die Mitglieder der Tuareg-Rockband Tinariwen sehen sich als Botschafter ihres Volkes. Michaela Krimmer sprach mit dem Bassisten der Band, Eyadou Ag Leche, über das nomadische Leben und die gefährliche Loyalität der Tuareg zu Muammar Gaddafi.

Südwind Magazin: Viele der Bandmitglieder von Tinariwen haben früher als Rebellen mit der Waffe für die Rechte der Tuareg gekämpft. Setzen Sie sich immer noch dafür ein?
Eyadou Ag Leche:
Wir sind keine politischen Aktivisten in dem Sinn. Aber wir sind ein Sprachrohr der Tuareg und wir sind ihre Botschafter. Die Menschen in der Wüste haben keine Möglichkeit, ihre Anliegen in die Welt hinauszutragen. Genau so wenig wie sie etwas vom Weltgeschehen mitbekommen. Es gibt kein Internet oder andere moderne Kommunikationsmittel. Wir erzählen den Menschen vor Ort, was in der Welt passiert.

Mit welchen Problemen müssen die Tuareg zurecht kommen?
Im Augenblick machen mir die internationalen Konzerne Angst. Denn es gibt viel Rohstoffe in der Wüste, auf die sie es abgesehen haben. Und viele Tuareg wollen daran auch mitverdienen. Wir haben einen großen Reichtum in der Wüste. Doch sobald du etwas Materielles besitzt, wirst du dir Probleme einhandeln. Wenn du etwas Gold zu Hause hast, wirst du sicher gleich Diebe bei dir haben. Es ist besser, keine Bodenschätze zu haben. Wir versuchen, das den Menschen zu erklären. Die Ausbeutung der Natur, der Bodenschätze zerstört unsere Erde. Das Wichtige ist, mit der Familie, den Kindern, den Tieren und der Natur zusammenzuleben. Das ist der echte Reichtum.

Ihre Band hat sich in den 1990er Jahren in einem der Rebellencamps in Libyen formiert, die von Gaddafi unterstützt wurden. Welche Rolle spielen die Tuareg in Libyen derzeit?
Das ist im Augenblick ein wenig kompliziert. In Libyen gibt es Tuareg, die schon sehr lange dort leben. Und die politischen Umwälzungen in Libyen zur Zeit sind sehr gefährlich für sie. In den 1990er Jahren hat Gaddafi den Tuareg in ihrem Kampf um Selbstbestimmung sehr geholfen. Er hat ihnen Geld, Wasser und Waffen gegeben. Deswegen glauben die Tuareg, dass Gaddafi eine gute Person ist und sind loyal zu ihm. Gaddafi hat genug Verbrechen in und an seinem Land begangen. Die Tuareg haben jedoch nie eine Schule besucht, sie schauen nicht auf Facebook oder ins Internet oder chatten über Skype. Wir Tuareg skypen nur mit der Natur. Sie wissen nur, dass Gaddafi ihnen geholfen hat. Viele libysche Rebellen sehen die Tuareg als Verbündete von Gaddafi – das ist eine gefährliche Situation für sie! Das macht mir Angst. Aber es gibt auch Tuareg, die sich den Rebellen angeschlossen haben.

Gaddafi und die Tuareg

Die Nomadenvölker der Tuareg gehören zu den wenigen Gruppen in Libyen, auf die Muammar Gaddafi (teilweise) noch vertrauen kann. Denn Gaddafi hat den Selbstbehauptungswillen der Tuareg fast immer unterstützt. Das Wüstenvolk musste immer wieder um das Recht kämpfen, als freies Volk anerkannt zu werden und nach seiner alten Tradition leben zu dürfen. Ihr Siedlungsgebiet wurde nach Ende der Kolonialzeit zwischen den Staaten Mali, Niger und Algerien aufgeteilt, kleinere Gruppen leben auch in Libyen und Burkina Faso. 1990–1995 revoltierten die Tuareg in Mali und Niger gegen die Unterdrückung und Ausgrenzung durch die jeweiligen Regierungen. 2007 begannen die Tuareg erneut einen Aufstand. Nicht zuletzt durch das Eingreifen Gaddafis – es soll damals viel libysches Geld geflossen sein – wurde der Aufstand zwei Jahre später beendet. Bis heute fordern die Tuareg eine Teilhabe an den Gewinnen des Rohstoffhandels in ihrem Siedlungsgebiet, vor allem bei Uran, das insbesondere in Niger abgebaut wird.
MiK

Gibt es also Tuareg in Libyen, die sich bei den Kämpfen Gaddafi angeschlossen haben?
Trotz allem eher wenige, glaube ich. Vor allem da die Kämpfe weiter nördlich stattfinden. Ich habe gestern mit einem Freund in Libyen telefoniert. Er glaubt, dass nur wenige tatsächlich für Gaddafi kämpfen oder kämpfen würden.

Hat der Erfolg mit Tinariwen ihr Leben als Tuareg verändert?
Wir reisen jetzt viel und sehen mehr von der Welt. Aber der Geist und die Einstellung von Tinariwen, unsere Nomadenseele, unser Leben als Tuareg steht weiterhin im Vordergrund und ist gleich geblieben. Wir leben immer noch am selben Ort: ich in Tamanrasset in Algerien. Der Rest der Band lebt zwischen Algerien und Mali. Wir produzieren sogar unsere CDs dort. Wir haben einfach ein Studio in der Wüste. Das ist unsere Heimat, von dort könnten wir niemals weg. Andererseits bin ich immer in Bewegung. Hier und dort. Dort bin ich in der Wüste auf Reisen und hier bin ich auf Tour, das ist fast dasselbe. Ich bleibe selten über eine Woche am selben Ort.

Tinariwen gaben vor kurzem ein Konzert im Wiener WUK. Soeben erschien ihre neue CD „Tassili“ bei Universal.

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