„Wie ein verfaulter Apfel“

Von Redaktion · · 2010/10

Zum ersten Mal in der Geschichte Boliviens wird die Korruptionsbekämpfung ernst genommen. Gegen mehrere Oppositionspolitiker wird bereits ermittelt, aber auch gegen ranghohe Mitglieder der Regierungspartei. Mit der Ressortleiterin des neuen Anti-Korruptions-Ministeriums, Nardi Suxo Iturry, sprach Südwind-Mitarbeiter Robert Lessmann.1)

Die Justiz im neuen Bolivien ist weiblich: Nardi Suxo Iturry war zunächst Vizeministerin für Transparenz und Korruptionsbekämpfung unter Justizministerin Celima Torrico. Nun wurde ihr Ressort zum Ministerium aufgewertet und ein neues Anti-Korruptionsgesetz verabschiedet. Davor war die gelernte Anwältin Mitarbeiterin im Büro der Ombudsfrau für Menschenrechte Ana María Romero de Campero. Suxo weilte zu einer Evaluierungskonferenz der Vereinten Nationen zur Umsetzung der Anti-Korruptions-Konvention der UNO in Wien, die vom 28. Juni bis 2. Juli stattfand.

Südwind Magazin: Bolivien hat soeben ein neues Antikorruptionsgesetz verabschiedet. Was ist daran neu?
Nardi Suxo Iturry: Das neue Gesetz erlaubt es uns, die Bestimmungen der UN-Konvention gegen Korruption umzusetzen, also einen frontalen Kampf gegen die illegale Bereicherung zu führen.

Welche konkreten Werkzeuge liefert das Gesetz dazu?
Wir werden unter anderem Richter, Staatsanwälte und eine Elite-Polizeieinheit bekommen, die auf Korruptionsfälle spezialisiert sind. Diese sind ja meist besonders schwierig zu durchleuchten. Da gibt es keine Quittungen, keine Buchführung, keine Spuren. Ein anderer Schwerpunkt liegt auf dem Zeugenschutz, den wir vorher nicht kannten. Ein weiterer Punkt ist die Erhöhung des Strafausmaßes für Delikte der Korruption: harte Strafen zwischen fünf und zehn Jahren. Vorher lag die Höchststrafe bei sechs Jahren.

Beispielsweise war ein ehemaliger Präfekt des Departements Tarija, dem Selbstbereicherung auf unverschämteste Weise sowie Begünstigung ihm nahe stehender Personen durch Posten und öffentliche Aufträge nachgewiesen werden konnten, zu nur einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Er ging nicht als Delinquent nach Hause, sondern quasi als Held. Das gibt es heute nicht mehr. Wegen Korruption Verurteilte gehen ins Gefängnis.

Korruptionsbekämpfung braucht gute Gesetze, vor allem aber politischen Willen.
Richtig. Ohne den entsprechenden politischen Willen nützen die besten Gesetze nichts, beziehungsweise sie würden erst gar nicht verabschiedet. Ich glaube, Bolivien hat hier sehr überzeugend seinen festen politischen Willen zur Korruptionsbekämpfung bewiesen. Angefangen von Evo Morales. Der Präsident gibt klare Linien vor und er hat selbst sehr klare Grundsätze im Kampf gegen die Korruption. Man muss ihn nicht erst von einer Aktion überzeugen. Vergessen wir nicht den Korruptionsfall bei der staatlichen Energiegesellschaft YPFB (Schmiergelder für Auftragsvergabe, Anm. R.L.), der deren Präsident und zugleich die Nummer zwei der Regierungspartei MAS betraf, Santos Ramírez. Ein Mann, der innerhalb der Parteistruktur, aber auch in der Regierung großes Gewicht hatte. Als Anfang 2009 Verdachtsmomente gegen ihn auftauchten, entschied der Präsident sofort seine Entlassung und dass der Fall untersucht werden müsse. Santos Ramírez solle gegebenenfalls vor Gericht gestellt werden wie jeder andere auch. Genauso haben wir es gemacht, und wir stehen in diesem Verfahren kurz vor der Urteilsverkündung. Aber wir haben noch andere Fälle von ehemaligen Ministerinnen und Ministern, wie den Bergbauminister Milton Gómez (der im Jänner 2010 von Morales entlassen wurde), meine Ex-Kollegin aus dem Justizministerium María Cecilia Rocabado (gegen die wir heuer im Februar Anklage erheben mussten) sowie die ehemalige Gesundheitsministerin Sonia Polo (die im Juni 2010 bereits nach dem neuen Gesetz angeklagt wurde). Leider gibt es solche Anklagen auch gegen (ehemalige) Mitglieder des Kabinetts von Evo Morales – und wir verfolgen sie mit aller Konsequenz.

Kritiker sagen, die Regierung benutze die Justiz als Waffe gegen die Opposition und sie richte sich vorrangig gegen Funktionäre früherer Regierungen und aktuelle Oppositionspolitiker.
Ich habe gerade vier prominente Fälle genannt, wo MAS-Minister von Verfahren betroffen sind, und ich könnte noch eine Reihe von Vizeministern hinzufügen. Der Vorwurf der Einseitigkeit entbehrt jeder Grundlage. Aber genauso ist es natürlich unsere Pflicht, Korruptionsfällen nachzugehen, die Politiker der Opposition betreffen, zum Beispiel Manfred Reyes Villa 2). In seinem Fall geht es um eine Schadenshöhe von mehr als 27 Millionen US-Dollar. Gegen Mario Cossio, den gewählten Gouverneur des Departments Tarija, liegen Beweise vor und es gibt bereits eine formelle Anklage. Gegen Leopoldo Fernández, dem nicht nur die Verantwortung für das Massaker von Porvenir im September 2008 (mehr als ein Dutzend Bauern wurden erschossen, R.L.) zur Last gelegt wird, sondern der als Präfekt des Departements Pando mit öffentlichen Geldern die oppositionellen Zivilkomitees finanziert hat, wurde kürzlich der Prozess eröffnet.

Wie wurde denn die bolivianische Politik hier bei den Vereinten Nationen aufgenommen?
Wir haben von Anfang an erklärt, dass wir offen sind für eine Kontrolle der Umsetzung der UN-Konvention. Zusammen mit Ländern wie Panama, Finnland, den Niederlanden und Kolumbien haben wir uns für ein Pilotprojekt zur Evaluierung gemeldet. Kolumbien und die Niederlande haben dann vor Ort die Situation evaluiert. Delegationen haben Bolivien besucht, vor Ort recherchiert und Gespräche geführt. Das hilft uns sicher auch, eventuelle Lücken und Fehler zu erkennen.

Justitia ist im neuen Bolivien weiblich. Wie sind denn Ihre persönlichen Erfahrungen in diesem konfliktreichen Ressort?
Nicht nur die Justiz ist weiblich. Seit Jänner haben wir Geschlechterparität im Kabinett: zehn Minister und zehn Ministerinnen. Aber zu Ihrer Frage. Natürlich stehen wir mit der Korruptionsbekämpfung im Feuer komplizierter und politisierter Konflikte. Vergessen Sie nicht, dass wir einen Staat übernommen haben, der – im übertragenen Sinne – wie ein völlig verfaulter Apfel war. Korruption war ein tragendes Element der politischen Kultur. Da geht es letztlich auch um Machtfragen. Unsere Arbeit bringt insofern persönliche Risiken mit sich, auch Risiken für unsere Familien, Aggressionen, Drohungen. Mitarbeiter von mir wurden geschlagen und beinahe getötet. Aber wir sind uns auch bewusst, dass die Kultur des bolivianischen Volkes nichts mit Korruption zu tun hat. Sie basiert auf den alten Grundsätzen ama sua, ama qhella, ama llulla: du sollst nicht lügen, nicht stehlen, nicht faul sein. Das sind auch die Prinzipien unseres Kampfes gegen die Korruption. Wir arbeiten an der Wiedergewinnung dieser Prinzipien, wenn Sie so wollen. Die einfachen Bolivianerinnen und Bolivianer haben nichts mit der Korruption zu tun. Es waren die politisch dominanten Klassen der Vergangenheit und es sind die Nachwirkungen ihrer politischen Kultur.

1) Siehe auch die Besprechung des neuen Bolivien-Buches von Robert Lessmann auf Seite 39 .
2) Spitzenkandidat der Oppositionsgruppierung PPB. Er erreichte bei den Präsidentschaftswahlen vom Dezember 2009 26% der Stimmen. Gegen den Exbürgermeister und -präfekten von Cochabamba lagen schon damals elf Anzeigen vor. Er hat sich im Jänner 2010 in die USA abgesetzt.

Der Autor ist freier Mitarbeiter des Südwind-Magazins und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Lateinamerika und der internationalen Drogenpolitik.

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