Der Großteil der Felder ist schon abgeerntet, zwischen den Traktoren, die an diesem strahlenden Sommertag die Strohballen einsammeln, suchen Fasane übrig gebliebene Körner. 20 Kilometer östlich von Linz, am Rande von Gallneukirchen, wohnt in einem vierstöckigen Neubau die Familie Pacolli. Die Pacollis, das sind Vater Izjadin, seine Frau Selvente und die drei Söhne Alban (14), Arianit (11) und Rmadan (10). Vater Izjadan hat einen Job bei einer Wiener Reinigungsfirma, die Spezialmaschinen für Schlachtereien putzt und wartet, Frau Pacolli kümmert sich um den Haushalt und sorgt dafür, dass für die drei immer hungrigen Söhne genügend Essen auf den Tisch kommt. Die Buben besuchen die örtliche Hauptschule in Gallneukirchen. Eine normale Familie. Was die Pacollis aber von ihren Nachbarn neben ihrer Herkunft unterscheidet: Sie leben auf Abruf. Ab 31. August droht ihnen die Abschiebung, dann könnten sie jederzeit von der Polizei abgeholt und außer Landes geschafft werden.
„Der Tag rückt immer näher, das ist sehr schwierig, vor allem für die Kinder“, erzählt Herr Pacolli. Er ist 2001 aus dem Kosovo nach Österreich gekommen und hat hier einen Asylantrag gestellt. Seit April 2002 arbeitet er, zuerst drei Jahre bei einer Stahlfirma, dann hat er seinen jetzigen Job gefunden. Als es so schien, dass ein sicheres Leben in Österreich möglich wäre, holte er 2003 seine Familie nach. Seither leben die Pacollis in Gallneukirchen. Die Familie ist ein Musterbeispiel für das, was als „integriert“ bezeichnet wird: Alle sprechen Deutsch, die jüngeren Kinder sind schon in den Kindergarten gegangen, nur der Älteste hatte, erzählt sein Vater, anfangs ein wenig Probleme mit der Sprache, jetzt möchte er, wenn das letzte Schuljahr abgeschlossen ist, eine Kochlehre beginnen. Die Buben haben sich auch zu Stützen des Gallneukirchner Nachwuchsfußballs entwickelt.
„Das alles soll jetzt nichts gelten“, empört sich Bürgermeister Walter Böck und zitiert aus einem Brief, den er an seinen Parteifreund Landeshauptmann Josef Pühringer geschrieben hat: „Gerade im Fall Pacolli ist es aus Sicht der Gemeinde/des Gemeinderates unverständlich und nicht nachvollziehbar, nach welchen Kriterien entschieden wurde, um nun doch die Abschiebung anzuordnen.“ Böck schrieb auch etliche Briefe an den damaligen Innenminister Platter, in denen er im Namen seiner Gemeinde um ein humanitäres Aufenthaltsrecht für die Familie Pacolli ersuchte. Dass jetzt die Ablehnung aus Wien gekommen ist, empfindet der Bürgermeister auch als Missachtung. „Es ist, wie wenn da ein eiserner Vorhang wäre.“
Diese Ablehnung ist das vorläufige Ende des seit 2001 dauernden Kampfes der Familie um einen legalen Aufenthaltstitel. Nach dem negativen Ausgang des jahrelangen Asylverfahrens in allen Instanzen erging nun aus dem Innenministerium in Wien an die Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung die Aufforderung, eine Ausweisung zu verfügen.
Aus den Argumenten des Bürgermeisters gegen eine solche Abschiebung spricht eine Logik, die man als „gesunden Menschenverstand“ bezeichnen könnte. „Rein rechtlich ist schon klar, dass die Familie eher wirtschaftliche Gründe als politische hatte – warum auch nicht. Es ist jetzt aber vor allem gegenüber den Kindern nicht nachvollziehbar, wo sie jetzt schon so lange bei uns leben, sie wieder wegzuschicken. Wir brauchen außerdem die Fachkräfte.“
Den Kniefall vor einer als unmenschlich empfundenen Politik und Ministerialbürokratie verweigert nicht nur der streitbare Bürgermeister. Vor allem NachbarInnen und andere Menschen, die die Familie persönlich kennen, engagieren sich gemeinsam mit BürgerInnen, die schon bei anderen Gelegenheiten Flüchtlingen geholfen haben, seit geraumer Zeit für die Pacollis. Das Engagement geht dabei über Partei- und Konfessionsgrenzen hinaus. „Natürlich war Überzeugungsarbeit in beiden großen Fraktionen notwendig“, schildert Rupert Huber, Gemeinderat und pensionierter Erwachsenenbildner, den Weg zur fast geschlossenen Unterstützung der Forderung nach einem Bleiberecht für Familie Pacolli.
Bleiberecht jetzt!Eine breite Plattform, die von kleinen Bürgerinitiativen bis zu Caritas und Rotem Kreuz alle einschließt, die im Flüchtlingsbereich tätig sind, bereitet für den 10. Oktober in ganz Österreich Aktionen vor. Die Bleiberechts-Bewegung hat sich von Oberösterreich aus im letzten Jahr immer weiter ausgedehnt. Bei einer Konferenz Anfang April in Linz trafen sich ca. 200 Leute, am 29. August findet in Wien eine Mobilisierungskonferenz statt. Am 21. August wurde im Rahmen einer Kundgebung vor dem Rathaus Gallneukirchen ein Baum aufgestellt, an dem die Bevölkerung Zettel mit Wünschen für die Familie Pacolli und mit Forderungen an die Politik befestigt. SOS Mitmensch tingelt im September und Oktober mit einem dreirädrigen Infomobil durch Wien, um mit PassantInnen über die Vorzüge einer fairen Bleiberechtsregelung zu diskutieren. Termine und nähere Infos auf
www.sosmitmensch.at Informationen: www.tagdesbleiberechts.at www.asyl.at www.plattform-bleiberecht.at Gallneukirchen hat zurzeit 6.751 EinwohnerInnen. Von den 286 aus dem Ausland Zugezogenen kommt mehr als die Hälfte aus der EU, die meisten aus Deutschland; aus Nicht-EU-Staaten kommen statistisch gesehen 1,5% der Bevölkerung. „Hier von Überfremdung zu sprechen, ist lächerlich, bei uns werden die Leute fast automatisch integriert“, meint Bürgermeister Böck. Trotz oder gerade wegen des geringen Ausländeranteils bemüht sich die von Zuwanderung aus dem nahen Linz (die Bevölkerung hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten verdreifacht) geprägte Gemeinde um eine vorbildliche Integrationspolitik. So wurde die Anregung des Landes Oberösterreich, in jeder Gemeinde einen Integrationsausschuss einzurichten, in Gallneukirchen rasch umgesetzt; Rupert Huber führt den Vorsitz.
In einem anderen Fall, jenem der Familie Kabashi, waren die Gallneukirchner bereits erfolgreich. Das kosovarische Ehepaar und seine drei Kinder hatten auf Grund zahlreicher Fürsprachen einen Aufenthaltstitel zuerkannt bekommen. Tatsächlich ist eine Aufenthaltsberechtigung aus humanitären Gründen (§ 72 und § 73 Niederlassungsgesetz) bis jetzt ein reines Gnadenrecht, welches der Innenminister (und nur der Minister) „in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen“ verleihen kann. Es hat allerdings schon Zeiten gegeben, in denen von dieser Möglichkeit, abgelehnten AsylwerberInnen und anderen „Fremden“, die durch die Mühlen der Bürokratie illegalisiert wurden, zu einem legalen Aufenthaltstitel zu verhelfen, großzügiger Gebrauch gemacht wurde. Noch 2004 gab es 1.327 und im Jahr 2001 waren es sogar 1.500 humanitäre Aufenthaltsbewilligungen – eine Zahl, die in den letzten Jahren trotz zahlreicher Härtefälle nicht annähernd erreicht wurde (2006: 293, 2007: 460). Im Juni dieses Jahres beendete der Verfassungsgerichtshof (VfGH) diese in einem Rechtsstaat untragbare staatliche Willkür. In Zukunft muss es AusländerInnen ohne Chance auf Aufenthaltstitel, aber „mit starken Bindungen in Österreich“, möglich sein, von sich aus einen Antrag auf Bleiberecht zu stellen, der dann ein komplettes Verfahren mit Fristenlauf und Berufungsmöglichkeit, von den Bezirkshauptmannschaften bis hin zum Innenministerium, nach sich zieht. Der Gesetzgeber hat bis 31. März 2009 Zeit, das Gesetz dahingehend zu ändern.
Zwar hat die oberösterreichische Landesregierung daraufhin von der neuen Innenministerin Maria Fekter einen Abschiebestopp für gut integrierte Langzeit-AsylwerberInnen gefordert, trotzdem bleibt für die Familie Pacolli und zahlreiche andere abgelehnte AsylwerberInnen die Situation bedrohlich. Für sie könnte eine Änderung des Gesetzes zu spät kommen.
Eine immer breiter werdende Allianz von Initiativen, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und PolitikerInnen in ganz Österreich fordert eine pauschale Lösung für alle Betroffenen. Dass tausende AsylwerberInnen jahrelang auf den Ausgang ihres Verfahrens warten müssen, liege in der Verantwortung der Behörden, es sei unmenschlich, die Flüchtlinge, von denen inzwischen viele trotz aller Schwierigkeiten in Österreich Fuß gefasst haben, jetzt abzuschieben. Gefordert wird daher: „Kein weiterer Tag Lebenszeit dieser Menschen darf mehr ungenutzt verstreichen. Wer länger als fünf Jahre hier ist, kann bleiben!“
Der Forderung nach einem Bleiberecht für alle, die sich länger als fünf Jahre in Österreich aufhalten, kann sich auch Bürgermeister Böck anschließen: „Es gehört ein Schnitt gemacht, dass die, die so lange da sind und ein Mindestmaß an Integration erreicht haben – da sollte man die Gemeinde fragen – , hier bleiben dürfen.“
Für Izjadin Pacolli und seine Familie ist Gallneukirchen längst eine neue Heimat geworden. „Im Kosovo würden wir vor dem Nichts stehen, ich hätte keine Arbeit und die Buben könnten ihre Ausbildung nicht fortsetzen.“ Nun ist Innenministerin Fekter am Zug.