Widerstand aus dem Exil

Von Martina Schwikowski · · 2005/05

RegimegegnerInnen, Folter-Überlebende, Kriegsveteranen: In Johannesburg vernetzen sich simbabwische Flüchtlinge und MigrantInnen und machen gegen Mugabes Regime mobil. Martina Schwikowski besuchte eine Wahlveranstaltung der Exil-Opposition.

Das Abtasten nach Waffen ist Routine. Typen mit Schlägermützen und Goldkettchen halten Ausschau nach Spionen und Verdächtigen, die nichts mit der simbabwischen oppositionellen „Bewegung für Demokratischen Wandel“ (MDC) zu tun haben. „Unsere Leute sind informiert. Sie haben auch Quellen innerhalb der Regierungspartei ZANU-PF, denn hier in Südafrika laufen genügend Spitzel für Mugabe herum“, grinst Mbiko Moyo. Der 41-jährige Simbabwer arbeitet für das „Simbabwe Folter-Überlebenden Projekt“ in Johannesburg. Die Organisation ist eine von vielen Gruppen, die sich im Verbund mit der „Krisenkoalition Simbabwe“ in Johannesburg um Flüchtlinge aus dem Nachbarland kümmern.
Nach der Kontrolle öffnet sich das Gatter in dem verrosteten Zaun, der ein altes Basketball-Spielfeld eingrenzt. Rundherum türmen sich die heruntergekommenen Wohnsilos von Hillbrow auf, Johannesburgs einstigem Einwanderungsviertel für weiße EuropäerInnen. Heute ist Hillbrow übervölkert, und die trostlosen Betonklötze, die oft von Slumlords betrieben werden, dienen als Zufluchtsort für meist illegale afrikanische ImmigrantInnen. Viele unter ihnen sind Gewalt und Folter des Regimes von Präsident Robert Mugabe in Simbabwe entkommen. Etwa 300 AnhängerInnen der Opposition sind unten auf dem Platz versammelt und hören den Reden zu, die ihre Anführer durchs Megaphon brüllen.

„Nieder mit Mugabe“, ruft der junge Weiße auf englisch und hebt schwungvoll seinen Arm mit geballter Faust. „Brennt es nieder“ setzt er in Simbabwes Landessprache Shona einen radikalen Aufruf zum Widerstand hinterher. Der Redner mit dem schwarzen Schopf und der blassen Haut ist nur 21 Jahre alt. In den letzten Jahren war er unter Mugabes Regime elf Mal Folterern ausgeliefert und hat qualvolle Stunden bis zum Koma unter Elektroschocks durchlebt. „Wir müssen sie moralisch stärken und sie mit solchen Worten zum absoluten Widerstand langfristig mobilisieren“, sagt er. Sein Name ist Tawanda Spicer, Sohn einer Journalistin in Simbabwe, aufgewachsen in einer seit Generationen gegen Unterdrückung politisch aktiven Familie. Bei der letzten Entführung durch Mugabes Schergen entkam er nur knapp dem Tod und floh nach England. „Die MDCler dort diskutieren erst, ob wir bei unseren Treffen rauchen dürfen – das habe ich nicht ausgehalten“, meint der Student und saugt an seiner Zigarette. Er ging nach Südafrika, wo es „ums nackte Leben“ geht. Um Rivalitäten zwischen den simbabweschen Volksgruppen der Ndebele und Shona zu vermeiden, hat die politische Aktionsgruppe MDC ihn, den „Whitie“, zu ihrem Vorsitzenden ernannt. Er kennt alle auf dem Platz, mit den meisten verbindet ihn eine Geschichte des gemeinsamen Kampfes.

Mit Sprechchören ziehen die Oppositionellen über den Platz. Toyi-Toyi heißt der bei Kundgebungen hier übliche gemeinsame Schritt, wobei die DemonstrantInnen von einem Bein aufs andere tanzen und ihre Parolen singen. Diesmal wirkt der Aufmarsch militärischer als sonst. „Fliege schnell wie eine Taube“, feuern Kriegsveteranen die Protestierenden mit Kommandos an. Auch sie fin-den sich im südafrikanischen Exil: Ehemalige Befreiungskämpfer und spätere Dissidenten, deren gewalttätiger Aufstand Anfang der 1980er Jahre in Matabeleland von Mugabes Truppen brutal niedergeworfen wurde. Viele von ihnen würden am liebsten zum Training mit Waffen übergehen, doch da sind die Meinungen gespalten. „Sie haben keine Vision, wofür sie kämpfen. Es geht ja nicht nur um die Absetzung Mugabes, sondern um den Plan für das Danach“, sagt Spicer. „Bewaffneter Kampf ist aber keine offizielle MDC-Politik.“ Doch das Potenzial sei da, meint auch Moyo. „Wir mussten die Heißblüter schon bei den Präsidentschaftswahlen 2002 ruhig halten“, sagt er.
Etwa drei Millionen SimbabwerInnen leben in Südafrika; rund 1,5 Millionen seien politisch aktiv, schätzt Moyo. Die meisten von ihnen kamen ohne Papiere über die Grenze, leben illegal im Land und werden von südafrikanischen Behörden verfolgt. In den Siedlungen Hillbrows und im angrenzenden „afrikanischen“ Viertel Yeoville vernetzten sich die Gruppen der Krisenkoalition mit Unterstützung südafrikanischer Nichtregierungsorganisationen und Kirchengruppen. Die Exil-MDC war zum Zeitpunkt der Wahlen besser organisiert als zuvor. „Aber Südafrika und auch die umliegenden Länder erlauben kein militärisches Training auf ihrem Boden. Das ist anders als im Anti-Apartheidkampf, als Exil-Länder den bewaffneten Kampf des Afrikanischen Nationalkongresses unterstützten“, sagt Sox Chikohwero. Als ehemaliger Soldat in Simbabwes Luftwaffe wechselte er zur MDC über. Er war Direktor des MDC-Geheimdienstes und als solcher Opfer von Verfolgungen und Folter von Seiten der Regierung. Die schlimmsten Erinnerungen hat er an die Elektroschocks an seinen Genitalien. Und an die Ängste, die er ausstand, als er vermummt, an einem Seil hängend in einen krokodilverseuchten Fluss getaucht und dabei beschossen wurde. „Mugabes Fußtruppen sind größtenteils in Korea ausgebildet worden, dagegen kann keiner leicht gewinnen.“

Das verhasste Regime hat die Menschen vertrieben. Einige hungern, denn sie finden in Südafrika keine oder nur illegale Arbeit. Alle haben eine traumatische Geschichte zu erzählen: Die Frau, die drei Wochen lang in einem Verschlag von betrunkenen Jugendmilizionären vergewaltigt wurde und nun mit HIV infiziert ist. Oder der Mann, der kastriert wurde und jetzt in Südafrika psychologische Betreuung erhält. Bis hin zum Nachrichtensprecher des staatlichen Fernsehens, der Mugabes Lügen nicht mehr verbreiten wollte und verfolgt wurde. Sie alle sitzen auf dem Sportplatz in Hillbrow.
Remember Moyo hält ein Stück Papier in den Händen. Er hat gerade vorübergehendes Asyl erhalten. Drei Jahre saß er unter Folter im Gefängnis, da er angeblich einen bekannten Führer der Kriegsveteranen 2001 umgebracht haben soll – ein vom Regime fabrizierter Fall, der ihm angehängt wurde. „Wir haben uns hier zu spät formiert“, sagt er. „Es gibt die MDCler, die hier seit zwanzig Jahren leben und bei Firmen angestellt sind, im schönen Vorort wohnen. Aber das sind in der Regel nicht die, die sich aktiv mobilisieren, die ihre Familien zurücklassen mussten.“
„Flüchtlinge wie wir haben diese Netzwerke gegründet und wir bereiten uns jetzt auf die Präsidentschaftswahl 2008 vor. Wir versuchen, bis dahin alle notwendigen Institutionen für eine ordentliche Wähleraufklärung, Registrierung und Beobachtung vor Ort zu haben“, erklärt Remember. Für die vergangenen Parlamentswahlen wurden etwa zwei Drittel der Aktiven im Exil – die normalerweise nicht wählen dürfen – mobilisiert, in ihre Dörfer zurückzukehren und zu wählen. Sie waren schon zu Weihnachten mit finanzieller Unterstützung der Organisationen geschickt worden, um sich bei ihrem Besuch lange vor den Wahlen unauffällig registrieren zu lassen. Grenzen sind durchlässig, es gibt immer einen Weg, und sei es Bestechung der Taxifahrer und Polizisten. In Johannesburg organisierte die Exil-Opposition für den 29. März eine symbolische Wahl unter den ImmigrantInnen. Per Textnachricht auf Telefonen konnten sie ihre Stimmen abgeben – MDC-Stimmen, die eigentlich zum Wahlergebnis dazugerechnet werden müssten. Simbabwische Oppositionelle haben auch einen Protest-Marsch vor dem ANC-Büro im Zentrum von Johannesburg veranstaltet: „Präsident Thabo Mbekis Schweigepolitik ist unverantwortlich“, sagt Remember.
Auf dem Nachhauseweg ins Viertel Yeoville geht Mbiko Moyo in Gedanken seinen vollgepackten Arbeitsplan durch: Berichte von Neuankömmlingen über Gewalt und Folter aufnehmen, Termine ausmachen mit ÄrztInnen, PsychologInnen und KollegInnen aus anderen Hilfsgruppen für Frauen und HIV-Infizierte, für Kinder Unterricht organisieren, Rechtsberatung geben, bei südafrikanischen Behörden um Sozialhilfe ansuchen und Asylanträge einreichen, die selten durchgehen. Das Zentrum für Gewaltstudien und Versöhnung in Johannesburg stellt Büroräume zur Verfügung und das Institut für Demokratie hilft mit Spenden. Eigentlich ist Moyo Künstler, der das Theater liebt und Tanzgruppen betreut. Er lebt schon seit 18 Jahren in Südafrika und hat daher nützliche Kontakte für seine Landsleute. „Ich weiß manchmal nicht mehr, was ich zuerst koordinieren soll, und die schlaflosen Nächte reihen sich aneinander.“

Martina Schwikowski ist Korrespondentin der Berliner „tageszeitung“ für das südliche Afrika und lebt in Johannesburg.

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