Werkzeug der Gerechtigkeit

Von Ralf Leonhard · · 2005/03

Wie viel Erde braucht der Mensch? So heißt eine Erzählung von Leo Tolstoj über einen russischen Bauern, der, so sehr er sein Land auch vergrößern kann, immer befürchtet, es sei zuwenig. Die Geschichte schließt mit der warnenden Erkenntnis: Der Mensch braucht nicht mehr als drei Ellen Land – wo er begraben wird. Das denken auch zynische Großgrundbesitzer, die ihre Paramilitärs oder Militärpolizisten auf protestierende Bauern oder LandbesetzerInnen hetzen. Denn für viele endet der Kampf um das Land unter der Erde und nicht auf ihr.
Aber wie viel Land braucht man wirklich, um in Würde davon leben zu können? In Taiwan konnte man auf 0,7 Hektar eine Existenz gründen. In Simbabwe gelten 30 Hektar als Kleinbesitz während in Venezuela erst ab 500 Hektar enteignet werden kann.
Es gibt also keine weltweit gültige Antwort. Klima, Bodenqualität und Bewirtschaftungsart sind ebenso entscheidend wie Subventionen und Marktzugang.

Unbestritten ist, dass weltweit zu viele Menschen, die auf dem Land leben, zu wenig Land haben. Sie müssen pachten oder sich als Landarbeiter verdingen. Oder sie ziehen in die Städte, wo das Elend durch Entwurzelung noch gesteigert wird. Dazu kommt, dass die Latifundien meist durch historisches Unrecht, Betrug oder offene Gewalt auf Kosten von Kleinbäuerinnen und -bauern oder indigenen Gemeinschaften wachsen konnten. Landreform ist also ein Werkzeug der Gerechtigkeit. Und sie wird zunehmend als Mittel zur Durchsetzung des Menschenrechts auf Nahrung gesehen. Wer zu wenig Land hat, um das Überleben der Familie zu erwirtschaften, dessen Menschenrecht auf Nahrung wird permanent verletzt. Die Umverteilung von Land kann aber auch die Produktivität steigern, das Einkommen der Landbevölkerung anheben, damit die Nachfrage nach Konsumgütern und insgesamt die Volkswirtschaft stimulieren. Sie kann. Leider haben viele Landreformen, die halbherzig angegangen oder verwässert wurden, nicht nur ihr Ziel verfehlt, sondern durch ihr Scheitern das Instrument der Umverteilung diskreditiert. Das ändert nichts daran, dass Agrarreform in vielen Ländern heute noch ein Gebot der Stunde ist. Im Interesse der Menschenrechte und der Volkswirtschaft.

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