Was passiert mit einer österreichischen Medizinstudentin, die hier ins Flugzeug steigt und Richtung Süden fliegt? Antwort: Sie steigt als Gesundheitsexpertin in Afrika aus. Und was passiert im Gegenzug mit einem afrikanischen Gesundheitsexperten? Der wird als Asylwerber oder Flüchtling maximal geduldet und darf – wenn er Glück hat – in Österreich Geschirr abwaschen oder Taxi fahren.
Die Expertenrolle wird von den entwicklungspolitischen AkteurInnen im Norden offenbar sehr selektiv vergeben. Warum unseren KollegInnen aus dem Süden die Expertenrolle eher widerwillig zuerkannt wird, wäre eine eigene Diskussion wert, die uns in die Untiefen der Kolonialisierung und deren schwieriges Erbe führt.
Bleiben wir in Österreich: Entwicklungszusammenarbeit ist ein gesellschaftspolitisches Nischenthema, dementsprechend überschaubar ist die Schar von ProfessionistInnen, die sich in dieser Nische tummeln. Die Themen, mit denen sie sich auseinandersetzen sollen, sind jedoch komplex: Es wird erwartet, dass sie sich in Kolonialgeschichte und Entwicklungstheorien ebenso gut auskennen wie in der aktuellen Politik der Empfängerländer sowie mit interkultureller Kommunikation und Phänomenen der Globalisierung. Ganz zu schweigen vom notwendigen Fachwissen in ihrer eigentlichen Branche sowie Know-how zu Projektmanagement, Budgetierung und Abrechnung. Dieser Anspruch ist in der Praxis nicht erfüllbar.
In einem kleinen Land wie Österreich wird man für exotische Themen wie „Afrika“ dennoch schnell zum Experten oder zur Expertin gekürt, besonders wenn von hiesigen Medien nach Naturkatastrophen, Militärputschen oder Geiselnahmen O-Töne gefragt sind. So durfte ich zum Jahrestag der Unabhängigkeit des Südsudan mehrere Interviews geben, weil ich mich zu dem Zeitpunkt gerade im Land befand; als Experte für den Südsudan würde ich außerhalb Österreichs kaum durchgehen – aber weder der ORF noch eine der großen Tageszeitungen wollten eigene MitarbeiterInnen schicken oder gar sudanesische ExpertInnen zum Unabhängigkeitstag befragen.
Ist man einmal zum Experten oder zur Expertin geadelt, wird das Mäntelchen nicht mehr abgelegt. Der ZuhörerInnen- und LeserInnenschaft in Österreich mangelt es an Fachwissen und Konkurrenz gibt es kaum, so lässt es sich in der ExpertInnenrolle gut leben – zwar nicht finanziell, aber vom Image und Prestige her.
Ich plädiere für mehr Bescheidenheit und einen restriktiveren Umgang mit dem Expertenbegriff. Denn ein Experte ist jemand, der in einem Spezialgebiet alle Fehler gemacht hat, die man machen kann, meinte der Physiknobelpreisträger Niels Bohr.
Und wenn man diese strenge Definition auf die Welt der Entwicklungszusammenarbeit anwenden würde, bliebe nur eine Handvoll ECHTER ExpertInnen übrig, nicht mehr.
Friedbert Ottacher ist Berater und langjähriger Praktiker in der Entwicklungszusammenarbeit. Abwechselnd mit Petra Navara und Thomas Vogel setzt er sich an dieser Stelle kritisch mit Theorie und Praxis dieses Arbeitsfelds auseinander.
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