Die Welt ist ganz schön kompliziert geworden, das Individuum überfordert. Die Globalisierung stellt uns auch vor eine gigantische Bildungsaufgabe.
Über die Medien werden wirder ka mit fernen Konflikten konfrontiert, die nicht die unseren sind. Um nach dieser krassen Fehleinschätzung zu erfahren, dass wir sehr wohl verwickelt sind. Islamfeindliche Karikaturen in einer dänischen Tageszeitung führen fünf Monate später zu Attacken auf die österreichische Botschaft in Teheran. Und plötzlich hinterfragt ganz Europa sein Umgehen mit der eigenen muslimischen Bevölkerung.
Noch nie hatten wir so viele Informationen über den Zustand der Welt. Und vermutlich noch nie fühlten wir uns so ohnmächtig wie heute. In der Globalisierungskritik soll das Individuum treibende Kraft einer Veränderung der Welt zum Besseren sein und ist damit heillos überfordert. Die Politik scheint längst vor der entfesselten Marktwirtschaft kapituliert zu haben.
Der Karikaturenstreit bietet Stoff für so manche wichtige Auseinandersetzung. Ohne den Konflikt damit zu „kulturalisieren“, könnte er auch eine überfällige Debatte über kulturelles Selbstverständnis und unterschiedliche Werte im Zeitalter der Globalisierung in Gang setzen.
Doch die spärlichen Äußerungen europäischer PolitikerInnen dazu lassen befürchten, dass uns abgesehen von unseren ökonomischen Interessen nichts so „heilig“ ist, dass es sich lohnt, darüber ernsthaft eine Auseinandersetzung zu führen.
Europa zeigt hier mangelnde Kompetenz in der eigenen Kultur. Dieser Mangel erschwert es, sich selbstbewusst in eine fair ausgetragene Auseinandersetzung zu begeben. Nur eine Gesellschaft, die sich ihrer gemeinsamen Werte bewusst und sicher ist, bringt die für eine ernsthafte Diskussion von Kultur in der Globalisierung nötigen Voraussetzungen mit. Sonst bleibt der Einzelne allein gelassen in einem Amalgam aus Meinungen und Interessen.
Was braucht das Individuum, um handlungsfähig zu bleiben und gleichzeitig der Wirklichkeit der Welt halbwegs gerecht zu werden?
Information allein und Aufrufe zur Toleranz reichen nicht aus. Die real existierende Globalisierung lässt es auch nicht mehr zu, sich hinter einer relativistischen Beliebigkeit zu verstecken. Die Globalisierung stellt uns vor eine gigantische Bildungsaufgabe. Wer vermittelt in einer individualistischen Gesellschaft die Haltungen, die Fähigkeiten, kulturelle Identität – die eigene wie die fremde – mit der nötigen Distanz und Selbstreflexion zu betrachten?
Ausbildung, Fortbildung, Eliteuniversitäten und schnelle Trainings vermitteln die Fertigkeiten, die wir brauchen, um uns kurzfristig in der Jobwelt zu behaupten. Doch wir brauchen auch Bildung, die uns das notwendige Wissen, die Werte und die kommunikativen Fähigkeiten gegen die Ohnmacht vermittelt. Diese Art von Bildung ist noch ein Minderheitenprogramm. Zum Beispiel das „Globale Lernen“, das hauptsächlich von außerschulischen Institutionen vorangetrieben wird.
Diese Art von „Bildung“ ist scheinbar nicht modern. Doch mittelfristig könnte es sich bitter rächen, dass ihre Bedeutung bislang völlig unterschätzt wird.