Weltreiche ohne Bewusstsein

Von Katharine Ainger · · 2001/05

Die Medien fördern die Globalisierung nicht nur, sie sind selbst ein integraler Bestandteil des Prozesses, argumentiert ťNew-InternationalistŤ-Redakteurin

Als der erste Tag der historischen Straßenproteste gegen das Treffen der Welthandelsorganisation WTO zu Ende ging, war beinahe jeder Zeitungsstand in Seattle mit demselben Wort besprüht: ”Lies“, Lügen. Warum, war nicht schwer zu verstehen: Man brauchte nur die Zeitungen am nächsten Morgen durchzublättern. Die Leitartikel waren voller hysterischer Ergüsse der führenden Meinungsmacher der Welt. Thomas Friedman von der ”New York Times“ beschrieb die GlobalisierungsgegnerInnen als ”eine Arche Noah von Hinterwäldlern, protektionistischen Gewerkschaften und Yuppies, die sich einen 19sechziger-Schuss geben wollen“. Im liberalen britischen Blatt ”The Observer“ beschrieb Andrew Marr ihre Forderungen als ”Kommunistisches Manifest in der Fassung von Christopher Robin“1. Und als die Bewegung im April 2000 die Weltbank aufs Korn nahm, gesellte sich auch das ”Wall Street Journal“ dazu und verhöhnte die ”globalen Dorftrottel (…), die diese Woche mit ihren Lätzchen und Fläschchen [in Washington] auftauchen“.

Die Medien waren bisher weniger ”für die Globalisierung“ als vielmehr ein integraler Bestandteil des Prozesses. Für die meisten JournalistInnen ist Neoliberalismus keine ökonomische Ideologie, deren grundlegende Annahmen in Zweifel gezogen werden können, sondern einfach ”Realität“. Obwohl sie gelegentlich bereit sind, über einzelne Probleme der Marktwirtschaft und der ”Herrschaft der Konzerne“ zu schreiben, reagieren sie auf systemische Kritik an den weltweiten Machtverhältnissen mit Spott und Unverständnis.

Als Unternehmenschefs, Staatspräsidenten und andere Leuchten vergangenen Jänner im Schweizer Davos beim ”Gipfel der Wirtschaftsgipfel“ zusammentrafen, war die Anwesenheit der Medienmagnaten keine Überraschung.

Aber wer sich ebenfalls gemeinsam mit den Architekten der Globalisierung an den Vorspeisen gütlich tat, war eine Gruppe auserwählter ”Media Leaders“ – etwa 200 RedakteurInnen, ProduzentInnen und KolumnistInnen aus der ganzen Welt, die auch bei Treffen hinter verschlossen Türen dabei waren. Darunter etwa Bill Emmot vom ”Economist“, Will Hutton von ”The Observer“, Thomas Friedman von der ”New York Times“ und Alan Yentob von der BBC.

Währenddessen hatten ehrenamtliche JournalistInnen des Davos Independent Media Centre draußen im Schnee ihre Zelte aufgeschlagen und lieferten alternative Berichte über den Gegengipfel der GlobalisierungsgegnerInnen. Viele wurden von bewaffneten Schweizer PolizistInnen drangsaliert, anderen die Ausrüstung weggenommen. Kein Zweifel: Wenn man für das falsche Medium arbeitet und über das falsche Treffen berichtet, ist man nicht JournalistIn. Man ist kriminell.

Aber die globalisierenden Eroberer des 21. Jahrhunderts sind die Mediengiganten des kulturellen Kapitalismus – Disney, AOL Time Warner, Sony, Bertelsmann, News Corporation, Viacom, Vivendi Universal.

Für Subcomandante Marcos, den Sprecher der indianischen Zapatisten in Mexiko, präsentieren die weltumspannenden Medien eine ”virtuelle Welt, geschaffen nach dem Bild, das der Prozess der Globalisierung benötigt“.

Bei einer kürzlich gesendeten CNN-Diskussion prophezeite Gerry Levin, Chief Executive Officer von AOL Time Warner, dass sich die globalen Medien zu der dominierenden Branche dieses Jahrhunderts entwickeln würden, mächtiger noch als Regierungen. US-BürgerInnen geben heute mehr Geld für Unterhaltung aus als für Kleidung oder Gesundheitsversorgung – und diese Entwicklung ist überall in den reichen Ländern festzustellen. Michael J.Wolf, Davos-Intimus und Berater der Medienmagnaten, dazu: ”Unterhaltung – nicht Autos, nicht Stahl, nicht Finanzdienstleistungen – wird rasch zum Motor der neuen Weltwirtschaft.“

Unser Planet wird von einem unaufhörlich expandierenden Netz von Drähten und Kabeln und Satellitenbahnen umzingelt, während Wörter, Ideen, Wissen, Lieder, Geschichten, Daten und Kultur in neuen Reichtum verwandelt werden. Auch die Medienbranche ist eine Industrie, die Rohstoffe ausbeutet. Um es mit Jeremy Rifkin zu formulieren: Sie sind dabei, ”jeden Winkel der Erde nach lokalen kulturellen Ressourcen zu durchforsten und sie in neuer Packung als Kulturwaren und Unterhaltung zu verkaufen“.

Aber Information und Kultur sind nicht bloß handelbare Waren, die auf dem Weltmarkt gekauft und verkauft werden können. Die Informationsfreiheit ist ein Fundament der Demokratie. Bei der Globalisierung geht es weniger um indische Yogis, die die Kurse ihrer Aktien über ihr HighSpeed-Modem abfragen, und auch nicht darum, ob nomadisierende Hirten in der Wüste Gobi sich die Fernsehserie ”Baywatch“ ansehen sollten. Vielmehr geht es um die unhinterfragte Durchsetzung der organisierenden Logik, der ”Anti-Kultur“ des Markts in jedem Winkel unseres Lebens, gegenüber jeder Kultur auf der Erde.

Als der US-Medienkritiker Ben Bagdikian 1982 begann, die Eigentumsverhältnisse der Medienbranche zu untersuchen, teilten sich 50 Firmen den Markt. Heute sind es weniger als zehn – die sechs größten Medienkonglomerate der Welt werden auf Seite 32/33 beschrieben. Und Globalisierung bedeutet, dass regionale Medien – von Mexiko über Indien bis Neuseeland – sich der selben Logik der Fusion, der Konvergenz, des versuchten Wettbewerbs mit den ”Big Boys“ unterwerfen – und von ihnen geschluckt werden. Der indische öffentlichrechtliche Fernsehsender Doordarshan hat dem australischen Medienzar Kerry Packer bereits einen Teil der besten Sendezeit verkauft. Nach den Privatisierungen des letzten Jahrzehnts werden 99 Prozent der 3000 ungarischen Medien weitgehend von Unternehmen aus dem Westen kontrolliert.

Selbstverständlich ist die Tyrannei des Staates über die Medien in vielen Ländern der Erde ein gravierender Angriff auf Demokratie und Menschenrechte. Doch wenn wenige Unternehmen die Informationen der Welt beherrschen, dann heißt es, wir hätten eine ”freie Presse“.

Der uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano drückt das folgendermaßen aus: ”Niemals zuvor wurden so viele von so wenigen in Isolationshaft gehalten.“ Er beschreibt diesen Zustand als eine ”Diktatur des Einheitsworts und des Einheitsbilds, viel zerstörerischer als die Diktatur der Einheitspartei“.

Wir schaffen eine Welt, in der es einem immer mächtigeren Oligopol gelingt, alle Geschichten zu erzählen, und der Rest von uns nur mehr zusieht und zuhört.

Was wir miterleben, ist die Entstehung eines einheitlichen Weltreichs gemäß einer einheitlichen Marktlogik, und seine Römerstraßen sind die weltumspannenden Kommunikationsnetzwerke – Kanäle sowohl für die herrschende Ideologie als auch für Handelswaren. Mit den Glasfaserkabeln kommt einem nicht nur ein Telefon ins Haus, sondern auch Internet-Anschlüsse und Kabelfernsehen. Die Liberalisierung des Telekommunikationssektors von 1997 übergab die Kontrolle dieser Römerstraßen an globale Unternehmen, die in diesem digitalen Zeitalter zunehmend aus einer Kreuzung von transnationalen Telekom- mit Medien/Software-Konzernen entstehen. Und wenn man sowohl den Inhalt als auch den ”Kanal“ kontrolliert, dann kann man die Konkurrenz immer im Preiskrieg aus dem Markt werfen.

Heute kann man Nachrichten per Telefon erhalten, dem Korrespondenten seiner Zeitung im Internet zuhören und am Computer fernsehen – und alles stammt vom selben Unternehmen.

AOL Time Warner, mit seiner Palette ”unternehmenseigener Marken“, könnte Ihnen Nachrichten über CNN und ”Time Magazine“ übermitteln, sein Kundendienst könnte sich an das Madonna-Album erinnern, das Sie letztes Monat heruntergeladen haben, und eine Konzert-Erinnerung an Ihren persönlichen Online-Kalender senden, während Ihre medizinischen Daten und Ihr Bankkonto von AOL-Partnerunternehmen verwaltet werden.

Die Datenbanken, die Millionen detaillierter Kundenprofile enthalten, sind für Unternehmen ein Vermögen wert. Dazu das ”Fortune Magazine“ (ein anderer Titel aus dem Hause AOL Time Warner): ”Die ’Eyeballs‘ [der Kunden] werden, sind sie einmal eingefangen, an Werbeagenturen und Geschäftspartner weiterverkauft.“2 In dieser Unterhaltungsökonomie wird die Definition eines ”Medienunternehmens“ immer verschwommener. Manche haben spekuliert, AOL Time Warner könnte als nächstes WalMart3 kaufen; Vivendi betreibt genauso Themenparks wie Wasserwerke, die von der Weltbank privatisiert wurden; Disney ist ins Immobiliengeschäft eingestiegen, seit privatisierte, von Unternehmen verwaltete Städte in den USA in Mode kommen. Microsoft bereitet Rupert Murdoch von News Corp mehr schlaflose Nächte als seine traditionelle Konkurrenz, während Nike sich eher im Wettbewerb mit Disney sieht als mit Reebok.

Die besondere Ironie daran ist der Umstand, dass sich zwar die Wirtschaft globalisiert, wir aber über die Medien immer weniger voneinander erfahren. Wachsender Wettbewerbsdruck und Kosteneinsparung bedeuten, dass die Auslandsberichterstattung im Westen in den letzten zehn Jahren im Schnitt um 50 Prozent reduziert wurde. Im Gegensatz dazu sind SeherInnen im Süden einem stetigen Strom von billigen Fernsehproduktionen aus dem Westen ausgesetzt, die lokale Produktionen und Kreativität unterhöhlen. Und den Bildern folgt das Geschäft auf den Fuß: Zu den ersten ausländischen Branchen, die sich nach der wirtschaftlichen Liberalisierung in Indien engagierten, gehörten transnationale Medien und Werbeunternehmen, die es auf reiche Eliten abgesehen hatten.

Besorgnis über die Sturzflut an Informationen aus dem Norden, die über den Süden niedergeht, ist nichts Neues. 1980 veröffentlichte die UN-Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) eine Studie mit dem Titel ”Many Voices, One World“, die zu einer ”Neuen Weltinformationsordnung“ aufrief und die Gründung einer unabhängigen internationalen Nachrichtenagentur mit Sitz im Süden befürwortete. In einem Schritt, der verdeutlichte, wie weit die globale Kommunikation von purer Machtpolitik beherrscht wird, erklärten die USA und Großbritannien – unter Reagan und Thatcher – diese Initiative zu einem Angriff auf die ”Freiheit der Meinungsäußerung“ und zogen sich völlig aus der UNESCO zurück. Der Vorschlag wurde daraufhin stillschweigend ad acta gelegt.

Heute produziert zwar das indische Filmmekka Bollywood sieben mal mehr Filme als die USA, doch in Hollywood entstehen 85 Prozent der Kinofilme, die weltweit gesehen werden. Zum Teil deshalb erlebt die Film- und Verlagsbranche in den meisten Entwicklungsländern einen Niedergang. 95 Prozent der in Lateinamerika gesehenen Kinofilme werden in den USA produziert, und Afrika – wo nur 42 Filme pro Jahr entstehen – importiert einen noch größeren Anteil.

Knapp hinter der Palmenallee, genau gegenüber dem ”Hard Rock Café“ (Motto: ”In Rock We Trust“), entsteht in der Wüste von Dubai eine 200 Hektar große ”Media City“. In dieser multimedialen Freihandelszone eröffnen Multis regionale Büros, 100 Prozent steuerfrei. In Indien wird unterdessen dem lokalen Personal von Call Centers für KundInnen aus dem Westen beigebracht, mit US-amerikanischem Akzent zu sprechen. AnruferInnen brauchen nicht zu wissen, dass sie mit jemandem in einem Vorort von Delhi und nicht von Dallas sprechen.

Diese nach den Regeln einer einheitlichen Marktwirtschaft globalisierte Welt gliedert jede Kultur und jeden Ort in ihr ständig expandierendes Territorium ein. Das ist nicht die ”Neue Weltinformationsordnung“, von der die UNESCO träumte, sondern eine Verallgemeinerung der alten Weltinformationsordnung, die sich von ihren geographischen und kulturellen Wurzeln löst. In diesem Kontext wird eine Regulierung der Medien im Sinne der Pflege einer Vielfalt an Standpunkten und Kulturen – Ziele öffentlich-rechtlicher Medien – zum Anachronismus. Stattdessen ”werden wir Unternehmen zu Instrumenten des öffentlichen Dienstes umdefinieren lassen müssen“, wie Gerry Levin von AOL Time Warner betont. Medienkonzerne fordern derzeit ein Handelsabkommen im Rahmen der WTO, das das Ende der Medienregulierung und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bedeuten würde – einschließlich der BBC.

Darüber wird derzeit verhandelt, aber laut Medien zugespielten WTO-Dokumenten wurde bereits ausgeschlossen, dass ”die Gewährleistung von Pluralismus und eines Mediensystems, das sich auf freie und demokratische Grundsätze stützt“ ein legitimes Regierungsziel sein könnte. Die Branche argumentiert, digitale Technologien und die neuen Medienkanäle würden für Medienpluralismus, die Deckung spezieller Bedürfnisse und kulturelle Vielfalt sorgen. Der Markt wird jeden Bedarf der Gesellschaft erfüllen – will heißen, von allen, die zahlen können.

Glücklicherweise gehören Kultur und Medien zu den umstrittensten Themen der WTO. Sollte der Konflikt eskalieren, könnte sich für uns die Chance ergeben, unseren Widerstand gegen Welten ausdrücken, wie sie von Orwell und Huxley beschrieben wurden – denn was unsere Kommunikationsbedürfnisse betrifft, können wir uns weder auf Staaten noch den Markt verlassen. An vielen Orten rund um die Welt organisieren sich bereits Menschen, um ihre eigenen Geschichten zu erzählen, um Lügen und Verschleierung aufzudecken. Medienaktivismus nimmt zu, und er beschränkt sich nicht auf ”Cultural jammers“4 im Norden.

Als die Spezis des philippinischen Präsidenten Estrada eine Zeitung nach der anderen aufkauften, um die Kritik an seiner Regierung abzustellen, leisteten BürgerInnen einen Beitrag zu seinem Sturz, indem sie Beweise seiner Korruptheit anonym auf dem Website des Guerilla Information Network veröffentlichten.

Und während sich Unternehmen globalisieren, wird auch der Widerstand transnational. MedienaktivistInnen gründen internationale Netzwerke, von Indymedia (siehe Kasten auf Seite 29) bis zum MediaChannel, die Medienbeobachtungsgruppen und NGOs im Kommunikationssektor von den USA bis Afrika miteinander vernetzen. Genauso wie AktivistInnen, die gegen die Macht der Konzerne protestieren, die die Agroindustrie wegen der Gentechnik angegriffen haben, gründen immer mehr Menschen nicht nur alternative Kanäle, sondern nehmen die etablierten Medien selbst aufs Korn. AktivistInnen in Brasilien protestierten vor den Hauptsitzen der nationalen Medienkonglomerate gegen deren dürftige Berichterstattung über soziale Probleme. In Indien rief die National Alliance of People’s Movements zur korrekten Berichterstattung über die negativen Folgen der Globalisierung auf die Armen auf – sowohl im Norden als auch im Süden. In den USA haben Protestgruppen die zuständige Aufsichtsbehörde FCC aufgefordert, Frequenzbereiche für Community-Rundfunk freizugeben. Die französische Gruppe MediaLibre stapelte Fernsehgeräte vor dem französischen Ministerium für Kultur und Kommunikation, stellvertretend für Medien, die ohne Beeinflussung durch Regierung und Unternehmen im öffentlichen Interesse arbeiten. Genauso wie sich in den sechziger Jahren das politische Bewusstsein über die Zerstörung der natürlichen Umwelt entwickelte, erleben wir nun die Geburt einer Bewegung, die sich den Schutz der Vielfalt unserer kulturellen Umwelt und unserer Informationsumgebung zum Ziel gesetzt hat.

Š New Internationalist


1.Hauptfigur der britischen Kinderbuchserie ”Winnie the Pooh“

2.Customer’s eyeballs (Augäpfel) – Jargon u. a. für die Kundeninteressen/-profile

3.Größte Einzelhandelskette der Welt

4.Wörtlich: ”kulturelle Störsender“; AktivistInnen attackieren Unternehmen und kulturelle Muster u. a. durch Manipulation von Werbebotschaften auf Plakaten. Siehe: www.adbusters.org

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