Welche Regierung denkt an Kleinbauern?

Von Ralf Leonhard · · 2000/04

Ein Gespräch mit Doris Gutiérrez vom Koordinationsbüro des internationalen

Doris Gutiérrez ist keine Bäuerin. Sie stammt aus der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa. Wie viele Kinder aus einfachen Verhältnissen erkannte sie in der Ausbildung zur Lehrerin ihre Chance. Ein Posten bei einer Radioschule in der Provinz sollte sich Anfang der Siebziger Jahre als Wendepunkt in ihrem Leben erweisen: „Wir begannen dort die Befreiungspädadgogik des Paulo Freire zu studieren, eine Nonne hatte das Konzept aus den USA mitgebracht.“

Die katholische Organisation, in der sich Doris Gutiérrez engagierte, widmete sich vorrangig der Alphabetisierung von Campesinos und Campesinas. Aus der Radioschule, in der sie zehn Jahre lang tätig war, gingen zahlreiche Anführer von Bauernorganisationen hervor. Es entstanden die ersten Ligas Campesinas, die durch Landbesetzungen die Verwirklichung der Agrarreform einforderten. Eine Entwicklung, die die Militärregimes argwöhnisch verfolgten.

Nach einer großen Demonstration in Olancho wurden einige der Sender und Ausbildungszentren geschlossen. Mehrere Bauerführer bezahlten ihren Einsatz mit dem Leben. Mit Massakern stellten Armee und Großgrundbesitzer klar, dass Rebellion nicht geduldet würde.

1985 stieß Doris Gutiérrez zur kämpferischen Landarbeitergewerkschaft CNTC, wo sie einige der Bauern, die sie Jahre vorher geschult hatte, als Anführer wieder fand. Über das zentralamerikanische Bauernbündnis ASOCODE kam sie dann auch zum weltweit organisierten Bauernverband La Vía Campesina, der bis zur Konferenz von Bangalore im kommenden September seinen Sitz in Tegucigalpa hat.

Seit zwei Jahren ist Doris Gutiérrez auch für die kleine Linkspartei Unificación Democrática im Parlament.

Frage: Wie ist La Vía Campesina entstanden?

GUTIERREZ: La Vía Campesina ist die Antwort der Kleinbauern und Kleinbäuerinnen auf das neoliberale Modell. Die Organisation entstand 1993 auf einem Kongress der nicaraguanischen

Kleinproduzentenvereinigung UNAG, zu dem Bäuerinnen und Bauern aus aller Welt geladen waren. Die verheerenden Auswirkungen der neoliberalen Agrarpolitik auf kleine und mittlere Bauern, die dort analysiert wurden, gaben den Anstoß.

Wenig später wurde in Mons, Belgien, aus dem lockeren Zusammenschluss eine Organisation mit Mitgliedern und Statuten. Auf der Konferenz von Tlaxcala, Mexiko, wurden dann die Ziele definiert: Agrarreform, Nahrungssicherheit, Menschenrechte. Inzwischen haben die Mitgliedorganisationen auf allen Kontinenten einiges bewegt.

Frage: Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit Organisationen, die so weit weg arbeiten wie in Indien oder auf den Philippinen?

GUTIERREZ: Bei meinen Besuchen in Asien und Afrika habe ich gesehen, dass die Kleinbauern dort ganz ähnliche Probleme haben wie bei uns in Lateinamerika. Auf den Philippinen tobt ein heftiger Kampf um das Land. In Indien wehren sich die Bauern gegen die Ausbreitung der transnationalen Konzerne. In Europa ist der Entwicklungsstand natürlich ganz anders. Hier geht es gegen die Agrarpolitik der EU und das genmanipulierte Saatgut. Allen gemeinsam ist uns der Kampf gegen die Ungerechtigkeit, der nur in organisierter Form Aussicht auf Erfolg hat.

Frage: Gibt es eine ständige Zusammenarbeit oder laufen die wichtigen Dinge auf den Konferenzen?

GUTIERREZ: Am Anfang war die Zusammenarbeit sehr konjunkturell bestimmt. Aber mit der Zeit hat sich La Vía Campesina konsolidiert. Jetzt gibt es permanente Kampagnen und die Arbeit ist besser strukturiert. Inzwischen wird mittel- und langfristig geplant.

Frage: Wie läuft die internationale Kampagne für Agrarreform?

GUTIERREZ: Die Eliminierung der Agrarreformprozesse war eines der ersten Vorhaben der neoliberalen Politik. Land wird wie jede andere Ware behandelt und soll nur mehr über die Mechanismen des Marktes den Besitzer wechseln. In Honduras haben die Campesinos unter dem Agrarmodernisierungsgesetz begonnen, ihr Land zu verkaufen weil sie nicht mit den transnationalen Konzernen mithalten können, in deren Händen sich das Land jetzt wieder

konzentriert.

Ein langer Diskussionsprozess in La Vía Campesina hat ergeben, dass es notwendig ist, das Thema Agarreform wieder auf die Tagesordnung der Regierungen und internationaler Institutionen wie der Weltbank und der WTO zu setzen. Gemeinsam mit FIAN International wurde dann die Idee einer globalen Agrarreformkampagne entworfen. Das war vor etwa drei Jahren.

Am 12. Oktober 1999 hat sie dann mit gleichzeitigen Veranstaltungen in mindestens 18 Ländern begonnen. In Honduras konnte durch die Mobilisierung ein vom Kongress bereits genehmigter Plan gestoppt werden, der die afrohonduranischen Gemeinden an der Atlantikküste ihres Landes beraubt

hätte. In Brasilien, Kolumbien und anderen lateinamerikanischen Ländern gab es große Märsche. Die Kampagne soll drei Jahre dauern.

Frage: Seit den Sechziger Jahren und zum Teil schon viel früher hat es unzählige Agrarreformprojekte gegeben. Die Erfolge waren in der Regel sehr bescheiden.

GUTIERREZ: Was es gegeben hat, war keine Agrarreform, sondern bestenfalls Landverteilungsprogramme. Agrarreform bedeutet radikale Veränderungen in der Agrarstruktur unserer Länder. Das heißt, dass die Landverteilung von Ausbildungsprogrammen, Krediten, Zugang zum Markt, gerechten Preisen aber auch Gesundheitsprogrammen begleitet sein muss. Landreform muss ein integraler Prozess sein. Wenn wir uns für Agrarreform einsetzen, reklamieren

wir nicht nur das Recht auf Ernährung, sondern auch das Recht auf Produktion, auf Gesundheit und eine Anzahl von Serviceleistungen für die Campesinos. Ich weiß, dass die Begleitumstände nicht günstig sind. Welche Regierung denkt schon an die Kleinbauern? Aber wir müssen unser Überleben und unsere Kultur schützen. Wir müssen uns gegen die Transnationalen

Konzerne wehren, die uns sogar das Recht, unsere eigenen Saaten zu züchten, streitig machen.

Frage: Die Agrarpolitik in Zentralamerika basiert auf dem Export von Rohstoffen. Was Ihr vorhabt, bedeutet eine radikale Wende.

GUTIERREZ: Vielleicht ist es eine Utopie. Auf jedenfall wird es sehr schwer sein, dieses Modell, das nicht unseres ist, abzuschütteln. Leider haben unsere Regierungen nicht das Rückgrat, sich gegen die von außen aufgezwungenen Regeln zu wehren. Immerhin ist es uns gelungen, den Charakter und die Konsequenzen des neoliberalen Modells über ein breites Informationsnetzwerk

bekannt zu machen. In Ausbildungsprogrammen und Workshops steht dieses Thema ständig im Mittelpunkt.

Ich bin Abgeordnete im Parlament von Honduras. Dort haben wir gemeinsam mit den Campesino-Organisationen durchgesetzt, dass sie bei der Revision des Agrarmodernisierungsgesetzes gehört werden. Ein Volk, das organisiert ist, kann von keiner Regierung auf Dauer ignoriert werden. Eine ungerechte Herrschaft muss früher oder später stürzen. Die Mobilisierungen gegen die WTO in Seattle waren eine beeindruckende Manifestation der Entrüstung von Bauern, Arbeitern, Jugendlichen, Menschen aller sozialen Schichten. Am 17. April, dem internationen Tag der Agrarreform, tagen die Weltbank und der Weltwährungsfonds in Washington. Wir werden wieder dort sein. Es wird bereits eine Großdemonstration gegen diese gefräßigen Kraken, die nur die Wirtschaftsentwicklung interessiert, vorbereitet.

Frage: Welche Alternativen offeriert Ihr den zentralamerikanischen

Kleinbauern? Subsistenzproduktion oder doch auch Anbau von Exportprodukten?

GUTIERREZ: Zuerst muss die Ernährung der Familie sichergestellt werden. Dafür müssen die Grundnahrungsmittel angebaut werden. In unserem Fall Mais, Bohnen, Reis, Gemüse. Wir sind aber keine Gegner der Exportproduktion. Es gibt in Lateinamerika einige Bauerngenossenschaften, die zu erfolgreichen Unternehmen wurden. In Honduras ist eine Palmölkooperative durchaus

konkurrenzfähig. Dann geht es um Gerechtigkeit auf dem Markt. In Europa wird die Agrarproduktion stark subventioniert. Wie sollen wir da ohne Zuschüsse mithalten können? Die Kombination von gerechtem Handel und dem Einsatz angepasster Technologie kann eine Alternative sein. Wir wollen die Bauern nicht auf Subsistenzniveau halten. Denn neben der Ernährung müssen andere Grundbedürfnisse befriedigt werden. Das Recht auf Bildung,

Gesundheit, Kultur und Freizeitgestaltung darf nicht übersehen werden.

Der Autor ist freier Mitarbeiter des SÜDWIND-Magazins mit langjähriger Lateinamerika-Erfahrung. Er lebt in Wien und ist gegenwärtig Geschäftsführer von FIAN Österreich.

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