Heute hat jede Frau ihren eigenen Teil vom Feld. Heute weiß ich, was mir gehört. Das war früher nicht so.“ Der klare Ton und die entschlossene Miene der jungen Bäuerin unterstreichen das Gewicht dieser Veränderung. Koumba Diallo baut mit ihrer Familie in Ndebou in der Region Kédougou im äußersten Südosten Senegals Baumwolle an. Die Ernte hat eben begonnen. Es ist kurz nach der Regenzeit, das milde Grün der Bäume und Büsche kontrastiert mit dem leuchtenden Rot der Erde, tagsüber flirrt die Luft vor Hitze.
Wer bei „Baumwolle“ Bilder von riesigen Agrarbetrieben, von Monokulturen und industrieller Landwirtschaft im Kopf hat, wird hier überrascht. Die Felder schmiegen sich zwischen Hügel, Bäume und das Gras der Savanne. Bewirtschaftet werden sie im Familienverband, die Fläche beträgt durchschnittlich etwas mehr als einen halben Hektar, selten sind die Felder größer als zwei Hektar. Wie die meisten Bäuerinnen teilt Koumba Diallo Arbeit, den Haushalt und die Zuwendung ihres Ehemannes – sowohl die emotionale als auch die ökonomische – mit einer zweiten Ehefrau, oft sind es auch mehr. Eifersucht will sie sich nicht leisten. „Würde ich in der Stadt leben, wäre es anders. Hier im Dorf hat eine Frau, die allein mit ihrem Mann ist, sehr viel Arbeit“, erzählt sie mit deutlicher Abgeklärtheit in der Stimme.
Ndebou mit seinen rund 300 EinwohnerInnen war eines der ersten Dörfer im Land, die ihre Baumwollproduktion nach den Kriterien des Fairen Handels umstellten (siehe auch „Marktplatz“, Seite 37). 2003 wurde die Region Kédougou von der staatlichen Gesellschaft für Entwicklung und Textilfasern, Sodefitex, und der Nationalen Vereinigung von Baumwollproduzenten für das Pilotprojekt ausgewählt. 2004 erhielten die ersten drei Kooperativen vom internationalen Dachverband des Fairen Handels FLO mit Sitz in Bonn ihr Gütesiegel. 2007 waren in Senegal 59 Produzentenverbände mit rund 2.500 Mitgliedern zertifiziert, mit einer Gesamtproduktion von 740 Tonnen. Die Wahl fiel nicht zufällig auf die Provinz. Sie zählt zu den ärmsten des Landes. Die meisten leben von der Landwirtschaft und Viehzucht in kleinbäuerlichen Familienbetrieben. Der Baumwollanbau ist hier insgesamt noch jung, reicht kaum weiter als sieben Jahre zurück. „Bevor wir selbst mit Baumwolle begannen, gingen die Jungen weg und verdingten sich in der Plantagenwirtschaft“, erinnert sich Thidambé Diallo, der vor Ort über die Einhaltung der Fairtrade-Standards wacht. Das neue Produkt soll helfen, Einkommensmöglichkeiten vor Ort zu schaffen. Denn der Exodus ist groß. „Sehr viele gehen weg und kommen nicht wieder“, weiß auch Abdoul Nila Kante, Vorsitzender des lokalen Produzentenverbands. Vor allem die gut Ausgebildeten suchen mangels bezahlter Arbeitsstellen das Weite, das oft „Europa“ heißt, und riskieren ihr Leben auf der Überfahrt über den Atlantik.
Durch die Kooperation mit Fairtrade hoffen die Landwirte einige ihrer Probleme zu lösen. Die beteiligten ProduzentInnen erhalten für ihre Baumwolle einen garantierten Mindestpreis von 0,36 Cent pro Kilo. Was angesichts des Aufwands und der Mühe, die in jedem Kilo stecken, beschämend wenig klingt, liegt doch ein Drittel über dem üblichen Preis, den die Landwirte ab Hof bekommen. Kultiviert wird die Pflanze im Fruchtwechsel mit Hirse, Mais und Erdnüssen und weitgehend ohne künstliche Bewässerung, was hier aufgrund des günstigen Rhythmus von Regen- und Trockenzeiten möglich ist. Und, worauf außer Koumba Diallo auch andere GesprächspartnerInnen mit Nachdruck hinweisen: Frauen erhalten ihren Teil an den Einkünften. Die Felder werden von der ganzen Familie bewirtschaftet wie zuvor. Doch hat früher der Ehemann das Geld kassiert und intern verteilt, ist die Anbaufläche nun aufgeteilt, und die Frauen verkaufen ihren Anteil der Ernte selbst. Zusätzlich zahlen die Fairtrade-Lizenzpartner pro Kilo Baumwolle eine Prämie von fünf Cent in einen Topf für gemeinschaftliche Ausgaben – wie zum Beispiel Hirsemühlen und Schulmaterial -, über den gewählte Komitees in den Genossenschaften entscheiden. Für den Erntezyklus 2004/05 hatten die 59 zertifizierten Verbände so eine Prämie von knapp 64.000 Euro erwirtschaftet, die hauptsächlich für die Ausstattung von Schulen verwendet wurde.
Auch die Sodefitex, die in Senegal das Monopol über den Baumwollhandel hält, setzt Hoffnungen in den fairen Handel. Senegal ist in der Region Westafrika im Verhältnis zu Mali, Burkina Faso und Benin ein kleiner Produzent, leidet aber wie die anderen am Einbruch des westafrikanischen Baumwollsektors. Vom gestiegenen Weltmarktpreis kommt hier aufgrund des US-Dollarverfalls gegenüber dem Euro, an den die nationale Währung Franc CFA gebunden ist, nichts an (siehe SWM 6/2007, S. 33).
Wie benachteiligend und absurd Weltmarktstrukturen sein können, wird in der Sodefitex-Fabrik in Tambacounda recht plastisch. In einem kleinen Raum mit Regalen, die mit den Kürzeln der einzelnen Baumwollprovinzen beschriftet sind, hantiert Moustapha Ndiaye mit weichen Faserballen. Hier werden die Lieferungen der Landwirte in verschiedene Güteklassen sortiert: Zuerst händisch nach Farbe, Reinheit und Glanz, danach wird die Qualität mit Hightech fein geprüft. Wo für das Auge der Beobachterin kaum wahrnehmbare Nuancen anders sind, liegen für den jungen Textilschulabsolventen Welten dazwischen, wie er anhand verschiedener Ballen lebhaft demonstriert. Doch selbst dem ungeübten Auge offenbart sich der Unterschied zwischen senegalesischer und US-Baumwolle der Güteklasse 1. Erstere hat sehr lange Fasern, einen warmen Crèmeton und seidigen Glanz. „Senegalesische Baumwolle hat eine hohe Qualität“, erklärt Ndiaye, „89 Prozent der Ernte sind erste Güteklasse.“ Bei der US-Baumwolle, die er zum Vergleich zeigt, sind die Fasern mehr von Kernpartikeln durchsetzt, weil maschinell gepflückt, und schneeweiß, weil gebleicht. Doch sie gibt den Standard vor. Ihr Preis liegt am Weltmarkt mehr als das Doppelte über dem der reinen, von Hand gepflückten Konkurrentin, deren Crèmeton als Abweichung vom Standard und daher als wertmindernd gilt.
Für die Bauern und Bäuerinnen des Landes sind die Bedingungen hart. Im konventionellen Anbau bleibt ihnen pro Hektar Baumwolle nach Abzug aller Ausgaben für Samen, Dünger und Pestizide eine Jahresausbeute von rund 236 Euro. Das in einem Land, in dem die Benzinpreise in etwa gleich hoch sind wie in Österreich. Wohl ein Grund, dass die bisher Beteiligten auf den fairen Handel setzen. Magnang Niang, Geschäftsführer der Sodefitex, ist mit der Kooperation bisher zufrieden, in drei Jahren sollen 40 Prozent der heimischen Baumwollproduktion über den fairen Handel laufen. Für die Bauern und Bäuerinnen ist es eine Chance, in die Ausbildung ihrer Kinder und in Geräte zu investieren. Ein Kampf bleibt es für sie allemal. Und was sagen die Männer dazu, dass die Frauen jetzt in die eigene Tasche arbeiten? Die Frage löst erst einmal Gelächter aus, dann kommt die überraschende Antwort: „Das entspannt die familiären Beziehungen ungemein“, versichert Thidambé Diallo. Er wird darauf achten, dass sich die Mitglieder seiner Kooperative auch weiterhin an die Regel halten.