Warum ich wichtig bin

Von Seirian Sumner · · 2021/Mar-Apr
© Alvesgaspar / CC BY-SA 3.0

Eine Forscherin verleiht einem Wesen von erstaunlichem ökologischem Wert ihre Stimme, das Menschen in der Regel als Plagegeist bei sommerlichen Aufenthalten im Freien betrachten.

Ich bin wichtig für euch, weil ich eine der bedeutendsten natürlichen Schädlingsbekämpferinnen bin. Ich bin eine Jägerin. Ich jage die Spinnen in den Regenwäldern Nordaustraliens, vor denen ihr euch so fürchtet. In den endlosen Savannen Afrikas ernähre ich mich von den Fliegen, die eure Krankheiten übertragen. Auf den bunten Wiesen Europas jage ich die Insekten, die sich vom Phloem* der Blumen ernähren, die ihr so bewundert.

Ich bin wichtig, denn ohne mich, wo immer ihr auch lebt, könnt ihr von Scharen von Fliegen, von Heuschreckenschwärmen, Armeen von Spinnen, Raupen und Grashüpfern heimgesucht werden.

Und für euch, die ihr in Vorstädten lebt, bin ich die Haushälterin eures Gartens: Ich pflücke die Blattläuse, die den Saft aus euren Tomatenpflanzen saugen; ich jage die Raupen, die eure Gartenfrüchte verschlingen.

Ich bin wichtig für dich, Bäuerin oder Bauer, besonders in Afrika, Asien und Lateinamerika. Ich bin Teil deiner Lösung, deine Familie zu ernähren, deinen Lebensunterhalt zu sichern. Du weißt das vielleicht noch nicht: Ich bin dein Weg zu einer nachhaltigen Landwirtschaft. Du weißt, dass die Chemikalien, die du auf deine Felder sprühst, schlecht für deine Gesundheit und für die der Natur sind; sie sind ein Todesurteil für die kleinen Dinge, die die Welt in Gang halten.

Ich verstehe, es geht ums Überleben: für deine Familie, deine Kinder muss diese Pflanze wachsen und darf nicht von einer Raupe angenagt und vertilgt werden. Ich kann helfen.

Lass mich helfen. Ich helfe, wenn du wegsiehst und mich nicht bemerkst. Lass mich die Arbeit tun: Lass mich diese saftigen Würmer von deinen Pflanzen pflücken. Lass mich meine Babies ernähren, damit du deine ernähren kannst.

Ich helfe, wenn ich inkognito bin; mit euch, unter euch, unentdeckt. Wenn ihr mich findet, tötet ihr mich. Ich verstehe, warum. Aber das nächste Mal: Tut es nicht! Lasst meine Familie leben: Wir sind auf eurer Seite. Arbeite mit uns, nicht gegen uns. Benutze uns. Wir profitieren beide.

Ich bin wichtig, weil meine Familie widerstandsfähig ist. Wir fürchten euch nicht. Das ärgert euch. Ihr hasst unsere Widerstandskraft, unseren Mut, unsere Kampfbereitschaft. Dass ihr unentwegt Lärm macht, dieses ständige Brummen, Rasseln und Dröhnen, mit dem ihr die Symphonie der Natur übertönt, kümmert uns wenig. Dass ihr euch Licht zunutze macht, um die Nacht zum Tag zu machen, beschert uns leichte Beute, rund um die Uhr. Danke.

Wir haben die Chemikalien bemerkt, die ihr versprüht wie billiges Parfum, und einige von uns sterben daran. Aber wir sind viele, und unsere Jagdstrategien sind vielfältig – wir konzentrieren uns selten auf eine einzige, giftgetränkte Beute.

Ihr habt vielleicht einige unserer Bruthabitate vernichtet, die den Erfolg unserer Vorfahren ermöglicht haben, aber uns auch neue verschafft: eure Dachböden, Schuppen, Scheunen sind ausgezeichnete Kinderstuben für unsere Horden von Babies.

Gut geölte Maschine. Ich bin wichtig, selbst wenn ich nur ein kleines Rädchen unter tausenden in der am besten geölten Maschine bin, die ihr euch vorstellen könnt. Ihr habt Fabriken gebaut, Industrien, die ständig produzieren, die Ressourcen des Planeten verschlingen, mit eurer Effizienz. Das ist euer Erfolg. Und euer Untergang. Bravo. Aber wir haben das schon Millionen Jahre vor euch gemacht. Wir sind Meisterinnen der Arbeitsteilung; wir zerlegen die Aufgabe des Lebens in kleine, präzise Segmente, die für Effizienz und Perfektion sorgen. Millionen Jahre Evolution haben dieses Fließband perfektioniert.

Ihr könnt viel von uns lernen, wenn ihr euch bloß die Zeit nehmt, uns zu beobachten und zu staunen. Ja, wir sind ein Wunder. Wir sind ein Superorganismus. Wir können es mit euren größten Fabriken, euren Städten, eurer modernen Gesellschaft aufnehmen, mit unserer Fähigkeit zur Zusammenarbeit, Arbeitsteilung und Effizienz.

Ich bin wichtig, weil ich keine Biene bin, aber ich bin die ursprüngliche Biene. Die Bienen sind meine Nachfahren in der Evolution, die vergessen haben, wie man jagt. Sie sind eine vegetarische Version von mir.

Im Rahmen der natürlichen Selektion haben einige von meiner Familie den Appetit auf Fleisch verloren, ihre Nachkommen gewöhnten sich an eine neue Diät aus Pollen und Nektar, und die Biene war geboren.

Artenreich & wertvoll. Aber wir sind alles andere als überflüssig. Wir sind reicher an Arten als unsere neuen Cousinen: für jede Bienenart gibt es mindestens fünf Arten meiner Familie. Und doch überseht ihr uns.

Ihr liebt unsere Cousinen, ihr pflanzt spezielle Blumen für sie, ihr baut ihnen sogar eigene Häuser. Das tut ihr, weil ihr versteht, dass sie nützlich und wertvoll sind für euch, für eure Gesellschaft, euer Wohlbefinden, eure Ernährung. Aber wir haben schon Millionen Jahre vor den Bienen Pflanzen bestäubt; heute sind wir für mehr als 700 Pflanzenarten von mehr als 100 Familien wichtig.

Einige, etwa Orchideen, brauchen uns, nicht Bienen, um sich zu vermehren. Sie entwickelten sich, um uns zu täuschen, uns zu ködern als sexuelle Lockvögel, und eingehüllt in Pollen flitzen wir von einer Verlockung zur nächsten. Aber merkt euch: Bienen bestäuben, weil wir bestäuben.

Ich bin wichtig für zukünftige Krebskranke, weil ich bestimmte Chemikalien produziere. Mein Gift ist eine ungenutzte Apotheke, ein komplexer Cocktail von Toxinen, Allergenen, Enzymen und Aminen.

Die Evolution hat mich mit diesem pharmakologischen Werkzeugkasten ausgestattet. Einige von meiner Familie verwenden diese Chemikalien, um Leben zu beenden, lebende Beute in Nahrungsbeutel für hungrige Babies zu verwandeln; andere dazu, ihre Festungen vor Prädatoren zu verteidigen. Ich erzeuge eine mächtige chemische Verbindung, ein Peptid namens Mastoparan, das Zellwände explodieren lässt und den Zelltod herbeiführt. Das tue ich, um mich und meine Gesellschaft zu verteidigen. Ihr lernt, die Macht meines Giftes zu nutzen; meine Mastoparane sind toxischer für Krebszellen als für normale Zellen. Ich bin ziemlich wichtig für euch Krebskranke der Zukunft.

Ich bin für euch alle wichtig, weil ich eine Wespe bin.

Seirian Sumner (@waspwoman) ist Professorin für Verhaltensökologie am University College London. Sie erforscht die Ökologie und Entwicklung des Verhaltens von Wespen und leitet das Citizen-Science-Projekt bigwaspsurvey.org

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* Phloem, auch Siebteil: Siebröhren, ein Teil des Transportgewebes der Pflanzen für Zucker, Hormone und Aminosäuren.

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