Wantoks Wanted

Von Günter Spreitzhofer · · 2004/07

Die pazifische Ruhe trügt. Das Inselreich Papua-Neuguinea steht wieder einmal kurz vor einem politischen Hilferuf an Australien: Ein Lokalaugenschein.

Stap!“ Die zwölf wild entschlossenen Männer, die den vollbesetzten Lastwagen mit Buschmessern und Steinschleudern gestoppt haben, wollen diesmal nur eine Geisel – das Fahrzeug selbst. Einer ihrer Missionare war von einem Trupp aus dem Dorf des Autobesitzers verprügelt worden, also begab man sich auf die Suche nach Kompensation. „Yu go“, ihr geht weiter.
Doch nicht alle Überfälle in Papua-Neuguinea, kurz PNG, enden derart glimpflich. „Bleibt besser weg von den Porgera-Minen, zu viele Räuber dort“, rät Joseph Buka, honoriger Polizeichef der Western Highland Provinz, am abendlichen Kaminfeuer im Missionshaus von Mount Hagen, gleich neben dem Büro der österreichischen Entwicklungsorganisation Horizont 3000. „Wir haben nicht alles im Griff.“
Es gab schon schlimmere Zeiten. Die letzten Parlamentswahlen 2002 etwa eskalierten vor allem in den Highlands. Hunderte Menschen verloren das Leben, bevor Alt-Regierungschef Michael Somare seine National Alliance Party zur stimmenstärksten Partei machen konnte – mit bloß 19 von 93 Sitzen nicht gerade ein stabiler Pakt, mit einem koalitionären Sammelsurium aus Klein- und Kleinstparteien.
Immer noch ist PNG eine parlamentarische Monarchie und seit 1975, nach der Unabhängigkeit von Australien, Mitglied im Commonwealth of Nations. Königin Elisabeth II. ist eigentlich das Staatsoberhaupt, seit 1997 vertreten durch Generalgouverneur Sir Silas Atopare.

Der zehnjährige Bürgerkrieg auf der Insel Bougainville ist zwar seit 2001 offiziell beendet, doch den dortigen Separatisten sind die Auflagen aus dem Abkommen, das mit tatkräftiger Unterstützung Australiens ausgearbeitet wurde, weiterhin herzlich egal. So rief man in PNG wieder einmal nach australischer Hilfe, die derzeit offiziell als Kooperationsprogramm anläuft: 300 Fachleute für Finanzen, Grenzsicherheit, Transport und Justiz sollen im Lauf der nächsten Monate neben der heimischen Wirtschaft auch Verwaltung und Justiz verbessern. Gleichzeitig wird eine australische Spezialeinheit von 20 Mann nach Bougainville verlegt.
Port Moresby, die Hauptstadt im Süden von PNG, ist bis heute nur am Luftweg oder zu Fuß erreichbar. Straßen in den Norden und Osten gibt es keine – ohne Hunderte Landepisten für die Fluggeräte von Air Niugini und MAF (Missionary Aviation Fellowship) wäre die landesweite Güterversorgung noch lückenhafter. Auch sonst existiert ein Straßennetz erst seit einigen Jahrzehnten, ist bruchstückhaft und in kläglichem Zustand: Die Staubstraßen am Fuß des Mount Wilhelm verwandeln sich beim kleinsten Regenguss in schlammige Rutschpartien, ganze Täler sind tagelang unerreichbar. So manche neue Brücke besteht bald nur noch aus dem Stahlskelett, weil die Holzplanken zum Hausbau verwendet werden oder einfach Brückenmaut von ungenehmen Nachbarn erpresst werden soll.

Die fünf Millionen Menschen in PNG sind ein eigener Kosmos. Allein die Papuas gliedern sich in über 750 ethnische Gruppen mit verschiedensten Sprachen und Kulturen, dazu kommen in den Küstenzonen noch malaiische (indonesische), melanesische und polynesische ZuwandererInnen, von der chinesischen Minderheit ganz zu schweigen. Ohne Tok Pisin (Pidgin-Englisch) gäbe es keine Lingua Franca für eine Nation, in der jeder nur den Wantoks traut, die zu seinem Clan gehören: Und ohne Wantoks (One Talk, also derselben Sprache), die einander überall – egal ob im Lande selbst oder in Los Angeles – unterstützen müssen, wäre das soziale Netz längst schon völlig gerissen.
Dieses Inselreich stellt ein weites Betätigungsfeld für Missionare aus aller Herren Länder dar, die dem Land Heil und Erleuchtung und christliche Arbeitsmoral bringen wollen. Neben den Amtskirchen – 58% der EinwohnerInnen sind offiziell protestantisch, 33% katholisch – ackern sich auch die Botschafter merkwürdiger Heilslehren und Sekten durch die schlammigen Dörfer und predigen den Menschen goldene Aussichten für die Zukunft.

Planierraupen und Penisköcher. Corned Beef und Maniok. Kettensägen und Wunderheiler, Pokerhallen und Freiluft-Darts: Der Turboschub in die neue Zeit entwurzelt und verunsichert. Im Land sind drei Viertel der Menschen in der Landwirtschaft tätig, die Hälfte der Wertschöpfung stammt jedoch aus Bergbau und Industrie: 30% aller Exporterlöse liefert Gold, 40% Erdöl und Kupfer. Kaffee und Palmöl halten gerade bei 15%. Gute Verdienstmöglichkeiten bietet zur Zeit vor allem der Anbau von Vanille, für die die chinesischen Kleinhändler im Sepik-Tiefland umgerechnet bis zu 150 Euro je Kilo bezahlen. Die ersten Wanderräuber sind dort schon unterwegs. Wer Geld hat, investiert still und heimlich in Australien, um nicht seine armen Wantoks aushalten zu müssen.
EmTV (Media Niugini) sendet seit 1987 – und zwar vor vor allem australische Seifenopern, ein paar religiöse Shows und häufig Filme mit Sylvester Stallone. Computer und Videorecorder werden häufiger, an Strom hingegen mangelt es. Bierkistentürme der Marke South-Pacific-Lager können als Symbole der neuen Zeit gesehen werden in einem Land, wo Kina-Muscheln, Paradiesvogelfedern oder Doba, das Bananenblattgeld aus der Milne Bay, über Jahrhunderte bleibende Werte darstellten.

Die immer noch vorkommenden blutigen Stammesfehden sind politisch nicht zu lösen, solange sie vielen doch die einzige Möglichkeit bieten, zu ihrem Recht zu kommen. Wer kann der Polizei schon trauen? Die Exekutive entscheidet im Zweifelsfall immer für ihre eigenen Wantoks, klagt Susi Bilas, Krankenschwester im Krankenhaus von Mount Hagen.
Noch erbitterter werden die Auseinandersetzungen, wenn es um Landrechte an den bestens bewachten Minen geht. Die Frage, welcher Ethnie nun ein Stück rohstoffreiches Land gehört, führt immer wieder zu Kämpfen und in weiterer Folge zu Blutrache-Aktionen. Löhne und Ingenieure werden mit Helikoptern herbeigeschafft, nachdem die wenigsten der Fahrzeuge je ihr Ziel erreicht haben. Die Arbeiter wohnen in Containerstädten um die Minen und verdienen mehr Geld in der Landeswährung Kina, als die einflussreichsten Männer in ihren Dörfern je besessen haben.
Einige der australischen Topmanager der Minen haben PNG offiziell überhaupt noch nicht betreten. Sie kennen nur den Landeplatz im Hochsicherheitstrakt der Bergbaugesellschaften.

Viele Orte erinnern an Festungen. Leibesvisitationen sind im größten Supermarkt von Mount Hagen, wo barfüßige Bäuerlein zwischen Gebirgen violetter Seife und Burgen australischer Haltbarmilch aus dem Staunen nicht heraus kommen, an der Tagesordnung. „See Stealman?“, Achtung Dieb, flüstern die Marktfrauen und rücken näher zusammen. Eine trägt ein violettes Rugby-Shirt aus Brisbane, eine andere einen zerschlissenen „Jesus loves you“-Sweater. Die Auswahl an Second-Hand-Kleidung auf den Märkten unter freiem Himmel ist riesig.
Selbst die Bars, wo sich tagsüber Menschenschlangen um Huhn und Chips anstellen, sind engmaschig vergittert und schließen früh. Das Sicherheitspersonal trägt gelbe Bauarbeiterhelme und selbst geschnitzte Schlagstöcke und lächelt nur für Weiße und Wantoks. Alkohol gibt es keinen, seit die meisten Highland-Provinzen zu alkoholfreien Zonen erklärt wurden.

Nach Sonnenuntergang sind die unbeleuchteten Straßenzüge menschenleer. Die Kriminalität steigt dramatisch. Straßenräuber scheint die einzige Berufsperspektive vieler Jugendlicher geworden zu sein. Sonstige Arbeitsmöglichkeiten gibt es wenige, und der Tourismus ist zur Zeit auch keine Option, trotz tropischer Vielfalt. Nicht einmal 70.000 Auslandsgäste finden alljährlich den Weg nach PNG, viele davon rücken im Schutz einer Reisegruppe zu den legendären Highland-Games von Mount Hagen und Goroka an, einem Kulturfestival verschiedenster ethnischer Gruppen.
Der Avis-Schalter in der Flughafenbaracke von Air Niugini ist meist menschenleer und verstaubt. „Herumsitzen verboten“, steht auf dem handgemalten Holzschild – dafür ragen die Fußsohlen zweier Schläfer unter dem Tresen hervor. Tauchen in Madang, Schnorcheln auf den Trobrianden oder Bootstouren auf dem mächtigen Sepik-Fluss reizen nur wenige AusländerInnen, obwohl immer mehr noble Ökotourismus-Unterkünfte entstehen – oft mit australischer Beteiligung. „Zu viele Pressluftgeräte für Taucher eingekauft“, klagt Tauchlehrer Peter von Madang Aquaventures und spuckt eine ansehnliche Ladung Betelsaft auf den verwachsenen Tennisplatz. Seine letzte Tour war vor drei Wochen. Nächste Woche kommen vielleicht seine Wantoks aus Melbourne, wenn Gott so will. Und Air Niugini.

Günter Spreitzhofer ist Geograph in Wien. Er bereiste kürzlich ausgiebig die pazifische Inselwelt, Südamerika und die Karibik.

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