Am 6. Dezember gewann die Regierung Nicolás Maduro die Präsidentschaftswahl in Venezuela. Mit einer mehrheitlichen Anerkennung kann er aber weder im eigenen Land noch auf internationaler Ebene rechnen.
Von Tobias Lambert
Aus Sicht der Regierung konnte Nicolás Maduro (Vereinigte Sozialistische Partei Venezuelas, PSUV) bei der von gewichtigen Teilen der Opposition boykottierten Parlamentswahl in Venezuela einen Sieg verbuchen. Der selbsternannte Interimspräsident Juan Guaidó – er ist Anfang des Jahres aus seiner Partei Voluntad Popular ausgetreten, weil er als „Interimspräsident“ über den Parteien stehen will – konterte aber mit einer selbst organisierten „Volksbefragung“.
Bis vergangenen Samstag konnten die VenezolanerInnen mehrere Tage lang darüber abstimmen, ob sie den Abgang von Präsident Nicolás Maduro und freie Wahlen mit internationaler Unterstützung wollen.
Laut Oppositionsangaben beteiligten sich digital und in Präsenzform knapp 6,5 Millionen der insgesamt 20,7 Millionen wahlberechtigten Personen. Dies wären ein paar hunderttausend Menschen mehr als bei der Parlamentswahl. Guaidó sprach von einer „massiven Antwort der Hoffnung“ und rief zu einer Straßenmobilisierung am 5. Jänner 2021 auf. An diesem Tag beginnt die neue Legislaturperiode.
Unabhängig überprüfbar sind Guaidós Zahlen nicht. An der von ihm initiierten Abstimmung konnten zudem auch die schätzungsweise fünf Millionen VenezolanerInnen teilnehmen, die außerhalb des Landes leben. Doch selbst wenn es wirklich 6,5 Millionen waren, ist es unwahrscheinlich, dass sich Guaidó als ernsthafter Widersacher von Präsident Maduro behaupten kann.
Aus für Interimspräsidentschaft. Guaidós Wahlboykott sorgt dafür, dass die RegierungsgegnerInnen ihre Parlamentsmehrheit und mit dem Parlament die letzte von ihnen zumindest auf dem Papier kontrollierte Institution einbüßen. Guaidó verliert somit auch seinen verfassungsrechtlich ohnehin fragwürdigen Anspruch auf eine Interimspräsidentschaft. Das Einzige, was ihm noch bleibt, ist internationale Unterstützung.
Noch-US-Außenminister Mike Pompeo bezeichnete die Parlamentswahl als „Farce“, laut dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell habe sie nicht die „internationalen Mindeststandards“ erfüllt. Das regierungsnah besetzte Oberste Gericht hatte im Vorfeld intransparent in die Führungsebene mehrerer rechter wie linker Parteien eingegriffen. Auch besetzte es den Nationalen Wahlrat (Consejo Nacional Electoral) neu, was eigentlich Aufgabe des Parlaments gewesen wäre.
Die Frage ist dennoch, was sich politisch tun wird, wenn Guaidó ab Jänner kein Parlamentsmandat mehr besitzt und gut zwei Wochen später Joe Biden den abgewählten Donald Trump als US-Präsident ablöst.
Innerhalb der uneinigen Opposition drängen Hardliner wie María Corina Machado schon seit Längerem auf eine US-Militärintervention, während sich der moderatere zweimalige Präsidentschaftskandidat Henrique Capriles für die Teilnahme an Wahlen ausspricht. Beide trugen Guaidós Interimspräsidentschaft zu Beginn mit, distanzieren sich mittlerweile aber mehr oder weniger offen von ihm.
Schwierig für Regierung. Wenngleich Maduro einen „gigantischen Wahlsieg“ ausmachte, ist die Lage aber auch für die Regierung alles andere als positiv. Bei einer niedrigen Wahlbeteiligung von 31 Prozent hatte die regierende Vereinigte Sozialistische Partei Venezuelas (PSUV) 69 Prozent der Stimmen geholt. Aufgrund des partiellen Mehrheitswahlrechts gewann sie damit mehr als 90 Prozent der Sitze.
Moderat-rechte Parteien konnten der Regierung aufgrund der Spaltung der Opposition nicht gefährlich werden. Das mit 2,7 Prozent der Stimmen schwache Abschneiden des alternativen Linksbündnisses APR um die Kommunistische Partei (PCV) zeigt, dass auch eine Opposition innerhalb der „chavistischen“ Parteien (benannt nach dem 2013 verstorbenen Langzeitpräsident Hugo Chávez) zurzeit keine Erfolgsaussichten hat.
Zwar kontrolliert die Regierung nun offiziell alle politischen Gewalten im Land. Doch de facto ändert sich nicht viel, denn das bislang oppositionell dominierte Parlament war in den vergangenen Jahren ohnehin juristisch kaltgestellt.
Maduros Problem ist vor allem die fehlende Legitimität in breiten Teilen der Bevölkerung und auf internationaler Ebene. Und die Regierung hat weder die politischen noch die finanziellen Mittel, um die Dauerkrise im Land zu beenden.
Damit dies gelingt, ist ein breiter gesellschaftlicher Dialog unabdingbar. Dieser müsste die Aufhebung der US-Sanktionen sowie gegenseitige Garantien wie einen Verzicht auf Repression beinhalten und am Ende zu einer demokratischen Re-Legitimierung aller staatlichen Institutionen führen. Und zwar unter Bedingungen, die sowohl rechte wie auch linke Oppositionsparteien und zivilgesellschaftliche Gruppen mit einbeziehen. Aufgrund der verhärteten Positionen scheint dies kurzfristig jedoch unrealistisch.
Tobias Lambert arbeitet als freier Autor, Redakteur und Übersetzer überwiegend zu Lateinamerika. Er twittert unter @lambert_to.
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