Südwind: Frau Chiziane, in Ihren Büchern nehmen Geister- und Ahnenglaube einen breiten Raum ein. Welche Rolle spielt Magie im Leben der Menschen in Mosambik?
Paulina Chiziane: Wir alle haben unsere irrationale Seite, und für uns in Mosambik ist die Magie Teil des täglichen Lebens. Ich meine aber, dass die Frage des Glaubens nicht nur eine afrikanische ist, sondern eine universelle. Die katholische Kirche beispielsweise hat ihre Heiligen und deren Wunder, während wir Afrikaner an Wunder verstorbener Personen glauben.
Bei uns ist viel von überlieferten Traditionen und Glauben an übersinnliche Kräfte verloren gegangen. Ist dies auch in Mosambik mit zunehmender Modernisierung zu beobachten?
Während der marxistischen, leninistischen Periode unserer Geschichte versuchte die Regierung, den Glauben abzuschaffen. Aber die Menschen praktizierten ihn im Geheimen. Jetzt ist in Mosambik eine Explosion der verschiedensten Kirchen zu beobachten, auch der Islam hat viel Zulauf. Und jene Kirchen, die sagen, sie vollbringen Wunder, sind am beliebtesten. Ob das moderne Mosambik ohne diese verschiedensten Glaubensrichtungen leben kann? Momentan ist eher ein Anstieg des Glaubens zu beobachten.
Viele Menschen in Mosambik gehören etwa einer christlichen Kirche an und praktizieren daneben Riten des Ahnenglaubens. Das lässt sich ohne weiteres miteinander verbinden?
Die afrikanischen Geister leben friedlich mit den Geistern aller Religionen zusammen. Die Menschen suchen auf verschiedene Weise Lösungen für ihre Probleme.
Was können Sie Ihrer Meinung nach mit Ihren Büchern in der Gesellschaft bewirken?
Mein letztes Buch, „Niketche“, das von der Polygamie in Mosambik handelt und sehr offen die Beziehung zwischen Mann und Frau anspricht, hat viele Diskussionen ausgelöst. Einige Leser haben gemeint, dass der Inhalt des Buches zwar nichts Neues bringe, aber die Tatsache, dass so etwas aufgeschrieben werde, veranlasse viele Menschen innezuhalten und ihre eigenen Verhaltensmuster zu überdenken. Also hat das Buch etwas provoziert, aber bis zu welchem Punkt sich die Menschen deshalb verändern, das kann ich nicht sagen.
Sehen Sie es überhaupt als eine der Aufgaben von Kunst an, Themen und Probleme bewusst zu machen oder zu provozieren?
Nehmen wir den Befreiungskrieg gegen die Portugiesen. Die Bewusstmachung erfolgte durch Lieder. Poeten begannen sich für die Sache zu engagieren und Gedichte zu schreiben, die überall vorgetragen wurden. Der berühmteste war José Craveirinha. Ein anderer großer Poet und Sänger jener Zeit war Luis Bernardo. Während des Bürgerkriegs war es Lina Magaia, die in zwei Büchern der ganzen Welt von den Massakern, die in Mosambik stattfanden, berichtete.
Auch jetzt, wenn es etwa um HIV/Aids geht, wird die Botschaft über Lieder verbreitet. Die Kunstform des Gesangs, aber auch das Erzählen sind bei uns deshalb wichtig, weil Bücher für die meisten Menschen keine so große Rolle spielen.
Sie sind eine erfolgreiche Schriftstellerin. Dürfen wir Sie fragen, ob Sie vom Verkauf Ihrer Bücher leben können? Oder gehen Sie auch einem anderen Beruf nach?
(Lacht) Gute Frage! Die Schreiberei hat mir nie Geld eingebracht. Stimmt nicht, einmal habe ich Geld bekommen, von dem ich mir einen Computer gekauft habe, der nach einem halben Jahr kaputt war. Für mich ist das Schreiben keine Frage des Geldes. Ich schreibe, weil ich Dinge zu sagen habe. Es macht mir Spaß. Um Geld zu verdienen habe ich immer wieder in Nichtregierungsorganisationen gearbeitet, im Bereich der ländlichen Gemeindeentwicklung oder beim Roten Kreuz.
Mosambik gilt bei uns als Beispiel für ein Land in Afrika, das auf einem guten Weg ist. Wie sehen Sie ganz im Allgemeinen die Entwicklung Ihres Landes seit dem Ende des Bürgerkriegs im Jahr 1992?
Als ich beim Roten Kreuz arbeitete, habe ich die komplette Zerstörung des Landes miterlebt. Die Menschen hatten nichts, sie starben zuhauf, alles war zerstört. Das Leben war ein absolutes Chaos. Wer heute nach Mosambik kommt, wird vielleicht nicht verstehen, was für einen Fortschritt wir in Mosambik gemacht haben. Ich aber sehe jetzt trotz Armut lachende Gesichter, die Menschen sind bunt gekleidet, ich sehe neue Häuser, ich sehe Schulen und Straßen. Seit Ende des Krieges gab es geradezu eine Explosion der Entwicklung, als ob wir vom Winter in den Frühling gekommen wären. Heute gibt es Hoffnung. Das ist der Unterschied.
Was gilt es in Zukunft noch zu bewältigen?
Es gibt noch viel zu tun. Die Verteilung ist nicht gerecht. Wer im Süden des Landes lebt, der hat es etwas besser, man profitiert auch von der Nähe zu Südafrika. Aber das Zentrum und der Norden, die bräuchten mehr Aufmerksamkeit sowohl vom Staat als auch von den Hilfsorganisationen. Und natürlich hängt die Entwicklung des Landes auch von den Frauen ab. Viele Männer ziehen auf der Suche nach Jobs weg. So bleiben die Frauen und die Kinder zurück. Es braucht mehr Investitionen für die Frauen, sonst werden wir in der Entwicklung vielleicht wieder etwas zurückfallen. Aber unser neuer Krieg, den wir wie alle afrikanischen Länder zu führen haben, ist gegen HIV/Aids, das so viele Menschen tötet. Da muss etwas getan werden, aber was das genau ist, weiß ich nicht.
Viele Menschen, die im Bereich von HIV/Aids tätig sind, glauben, dass die Maßnahmen erst bei den Kindern wirklich greifen werden und die heutige erwachsene Generation ihr Verhalten nicht mehr ändern wird. Was ist Ihre Meinung?
Es ist sehr kompliziert. Ich habe auch in einem Programm zu HIV/Aids gearbeitet. Die Menschen über 50 haben Angst den Test zu machen, sie haben Angst über ihren Zustand Bescheid zu wissen. Sie akzeptieren es nicht, Kondome zu verwenden. Ja, die Hoffnung liegt bei den Jungen. Ich glaube, auch der Zugang zur antiretroviralen Therapie wird einiges verändern.
Die Menschen sehen, dass der Nachbar, der schon bettlägerig war, plötzlich wieder arbeiten geht. Lindert das die Angst vor dem Testergebnis?
Ja, ohne Zweifel, das ändert etwas. Aber nur sehr langsam. Zum einen ist diese Therapie noch nicht allen zugänglich. Zum anderen muss man jeden Tag viele Tabletten einnehmen und genügend essen. Das ist für Arme ein Problem. Trotzdem gibt diese Behandlung Hoffnung. Die Menschen beginnen zu rechnen, wenn ich noch fünf Jahre leben kann, dann ist mein Kind wenigstens schon 18 Jahre alt.
Wenn Sie die Beziehungen zwischen reichen und armen Ländern ansehen, was bewegt Sie heute am meisten?
Die ungleiche Verteilung ist etwas, das mich stört. Aber eine Sache, bei der mir das Herz weh tut, ist, dass derzeit ständig Menschen aus Afrika sterben müssen, weil sie unbedingt nach Europa kommen wollen. Viele Boote sinken, auf Flüchtlinge wird geschossen oder sie werden gefangen genommen. Wovor hat Europa Angst? Mit diesen Aktionen wird kein Problem gelöst. Menschen, die Hunger haben, lassen sich nicht abhalten. Das ist das Gesetz des Überlebens.
Und warum habe ich noch keinen einzigen afrikanischen Politiker gehört, der zu der Sache Stellung nehmen würde? Es gibt die EU und die Afrikanische Union. Klar kann Europa nicht einfach seine Türen öffnen und sagen, jeder kann kommen. Aber die Politiker wurden gewählt, damit sie an Lösungen arbeiten und nicht diese Entwürdigung zulassen. Für mich ist das ein Genozid. Die großen Lösungen werden kommen, wenn der Dialog beginnt.
Was können Ihrer Meinung nach Menschen in Europa von Afrika lernen?
Da gibt es viel zu lernen. Das europäische Leben ist komplett anders als das der Afrikaner. Die Europäer laufen ständig hierhin und dorthin, um Geld zu verdienen. Die Zeit für Vergnügen, für das Zusammensein und Muße ist verloren gegangen. Wir haben das alles noch, vielleicht weil wir arm sind, aber manchmal frage ich mich, was ist besser: Geld und Einsamkeit? Oder Armut und Gemeinschaft?
Die Europäer haben quasi alles entdeckt. Der Mond hat keine Geheimnisse mehr. Man weiß schon, dass der Mond nur aus Steinen besteht. Mit diesem Akt, den Mond und die Natur komplett zu erforschen haben die Europäer und Amerikaner ihre Träume verloren, zum Beispiel den Traum, den Mond anzuschauen und daran zu glauben, dass er Wunder der Liebe vollbringt. Wir in Afrika träumen noch immer davon. Das ist schön. Die Phantasie, die Irrationalität ist ein großer Teil des Menschseins.
Paulina Chiziane nahm am 25.1.2008 in Wien im Parlament an der Veranstaltung „Blickwechsel“ zu Kultur und Entwicklung teil, die vom „Parlamentarischen Nord-Süd-Dialog“ und dem VIDC veranstaltet wurde (siehe
www.nordsued-dialog.org).
Stefanie Edwards, Sozialarbeiterin, hat von 2004 – 2007 in einem Projekt von HORIZONT3000 für Aids-Waisenkinder in Mosambik gearbeitet.
Brigitte Pilz ist freie Journalistin mit dem Schwerpunkt Entwicklungspolitik.
Bücher von Paulina Chiziane
Wind der Apokalypse
Übersetzung Elisa Fuchs, 1997, 261 Seiten, € 19,50
Liebeslied an den Wind
Übersetzung Michael Kegler und Claudia Stein, 2001, 140 Seiten, € 16,-
Das siebte Gelöbnis
Übersetzung Michael Kegler, 2003, 246 Seiten, € 20,50
Alle Bücher sind bei Brandes & Apsel, Frankfurt / Main (die ersten beiden gemeinsam mit Südwind-Buchwelt) erschienen. Das neueste Buch „Niketche“ wurde noch nicht ins Deutsche übersetzt.