Eine Reflexion über die Gèlèdè-Performance in Wien und die Übersetzung lokaler Tradition in „Weltkultur“.
Drei Trommler, zwei Vorsänger, eine kleine Gruppe von Tänzerinnen mit Masken betreten die Bühne. Ich hatte gelesen, in der Aufführung werde die Macht der Frauen in der Yoruba-Gesellschaft thematisiert. Doch die Bedeutung der Masken und ihre Ausstrahlung in der Yoruba-Gesellschaft bleiben mir den Abend über verschlossen. Während der eineinhalb Stunden sehe ich einen relativ monotonen Tanz, mit wenig Rhythmuswechsel, wenig Handlung und wenig Spektakel. Mehrmals habe ich überlegt, den Saal zu verlassen.
Die Performance bleibt für Außenstehende unbestimmt, nicht greifbar. Dem Terminus nach geht es beim Intangiblen um das Unveräußerliche von Kultur. Das englische Adjektiv intangible bezieht sich auf die über das Materielle hinausgehende Kultur, nämlich das Unbestimmbare, enthält das Unveräußerbare von Kultur – das, was der Kultur eigen ist und was ihr nicht genommen werden kann, ohne sie selbst zum Verschwinden zu bringen. Angesichts der Leerstelle, die die Vorführung bei einem österreichischen Publikum hinterlässt, bleibt die Frage, wie sich „das Immaterielle“ der Kultur ohne den „dichten“ lokalen Kontext darstellen lässt, ohne damit semantische Verengung und wesentlichen Bedeutungsverlust in Kauf zu nehmen? Das Publikum kann sich erst recht nur an dem Gegenständlichen, dem Materiellen, den Kostümen und der Musik orientieren. Andere semantische Dimensionen, andere Sinninhalte, kommen in der Vorführung nicht an.
Innerhalb lokaler Masken-Performances in Benin ist der Marktplatz die Bühne. Die Masken agieren in der öffentlichen Menge. Hier werden sie als „soziale Institutionen“ wirkmächtig, sie teilen Strafen für Vergehen aus, in ihrem Namen wird öffentlich Recht gesprochen, sie wirken als „Mediatoren“, als Hexer und Hexerinnen oder als Heiler und Heilerinnen, die in das Geschehen der Gemeinschaft und Einzelner schicksalswendend eingreifen können.
Auf der Bühne im Tanzquartier fehlt dieser „agierende, prozesshafte“ Aspekt des Intangiblen, dadurch bleibt die Vorführung für mich ungreifbar und unbestimmt. Meiner Meinung nach wird der „Weltöffentlichkeit“ – die in dem Fall eine österreichische ist – damit weniger „lokale intangible Yoruba Tradition“ vorgeführt, sondern die Labilität eines Kulturerbekonzeptes mit all seinen Ambivalenzen und Widersprüchen.
Mit der Idee, Gèlèdè-Masken in Europa touren zu lassen, wurde aus einer vorhandenen soziokulturellen Institution eine neue Institution geschaffen. Damit will ich nicht sagen, das eine sei „authentisch“, das andere nicht. Was sich darin zeigt, ist eine Verschiebung in der Konstruktion von Vergangenheit. In den Kulturwissenschaften wird sie als eine Verschiebung von einer kollektiven Geschichte hin zu einem mit Warencharakter behafteten „Erbe“ bezeichnet. Interessant bleibt die Tatsache, dass trotz des zu erwartenden Bruchs zwischen sozialer und materieller „Tradition“ eine hohe symbolische Aufladung der Maskenzeremonie erhalten bleibt. Wie sonst lässt sich das Interesse des Publikums erklären?
Heidi Pichler ist Sozialarbeiterin, Kultur- und Sozialanthropologin und Lektorin an der Universität Wien. Von 2002 bis 2006 war sie wissenschaftliche Assistentin an der Kommission Sozialanthropologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaf