Vom Regenwurm lernen

Von Knut Henkel · · 2004/07

Biologischer Landbau ist in Kuba im Kommen. Immer mehr landwirtschaftliche Betriebe stellen ihre Produktion um. Doch bei der Vermarktung der Produkte hapert es noch.

Wie man den Süßkartoffelbohrer durch den Einsatz von Ameisen bekämpft oder wann man die Schlupfwespe am besten aussetzt, um das Zuckerrohr vor Schädlingsbefall zu schützen, steht auf den kleinen Faltblättern. Sie liegen gleich neben dem Eingang zum Büro auf dem Tisch auf. Die Handzettel sind ein Mittel, mit dem Egidio Paez Medina die Bauern aus der Umgebung von den Vorteilen der ökologischen Landwirtschaft überzeugen möchte. „Lesen ist das Eine, vertrauen und anwenden das Andere“, so der Direktor der kleinen Farm am Rande von Havanna, die von der Gesellschaft für Agrar- und Forsttechniker (ACTAF) betrieben wird.
Hier können sich die Bäuerinnen und Bauern aus der Umgebung nicht nur informieren, was sie auf der eigenen Finca besser machen können, sondern sich gleich vor Ort davon überzeugen, dass die Rezepte greifen.
In säuberlich aufgeschichteten Beeten stehen Tomatenpflanzen neben Süßkartoffeln, Bohnen und Sonnenblumen. Spinat, Knoblauch und Kartoffeln gedeihen gegenüber – keine Schädlinge weit und breit. Ein gutes Omen für misstrauische Bauern, die den Weg auf die sechs Hektar große Versuchsfarm vor den Toren von Havanna finden. Kaum zu übersehen ist auch der stattliche Komposthaufen, neben dem eine alte rostige Badewanne mit frischem Humus steht. Anerkennend nicken die beiden Campesinos mit den Köpfen. Von der Lombricultura, dem Regenwurmkompost, haben sie schon gehört.
Kompostierung, biologische Schädlingsbekämpfung und Fruchtwechsel sind Alternativen für Kuba. Nicht erst seitdem Kuba die Mittel fehlen, um in großen Mengen subventionierte Düngemittel, Pestizide und Dieselkraftstoff einzukaufen. „Die konventionelle extensive Landwirtschaft war Mitte der 1980er Jahre an ihre Grenzen gestoßen“, erklärt Egidio Paez Medina. Der 53-jährige Agrartechniker berät seit Jahren Agrarunternehmen unterschiedlicher Größen in Kuba – Bauern von Staatsfarmen genauso wie Genossenschaften und Kleinbauern.

Viele der Kleinbauern waren frühzeitig andere Wege gegangen als die großen, staatlichen Agrarunternehmen, die auf das konventionelle Modell setzten. Zugang zu den begrenzten Agrarinputs, zu Düngemitteln, Pestiziden und Fungiziden erhielten sie nur beschränkt. Daher besannen sich viele Campesinos auf alternative Methoden. Die Erfahrungen der Kleinbauern, die rund die Hälfte der Lebensmittel auf etwa 25 Prozent der Agrarfläche anbauen, spielen neben den staatlichen Agrarforschungseinrichtungen eine wichtige Rolle für die Verbreitung des Ökolandbaus in Kuba. Als die Lieferungen von Agrarinputs aus dem COMECON, dem Wirtschaftsverband des kommunistischen Osteuropa, ab Mitte der 1980er Jahre spärlicher wurden, begannen die staatlichen Stellen nach Alternativen zu suchen.
Viele Anregungen kamen von den Privatbäuerinnen und -bauern, die ihre Erfahrungen in Anbau und Schädlingsbekämpfung weitergaben. Offen zeigten sie sich auch gegenüber neuen Erkenntnissen aus den staatlichen Instituten und von privaten BeraterInnen aus dem Ausland, die unter anderem über kirchliche Organisationen nach Kuba kamen.

Das hat genauso zum Aufschwung des organischen Landbaus in Kuba beigetragen wie der Wandel in der agrarwissenschaftlichen Ausbildung und Forschung. Anfang der 1990er Jahre wurde der Studiengang Agrarökologie an der Landwirtschaftlichen Universität von Havanna eingeführt. Dort lehrt auch einer der Väter der organischen Agrarwende in Kuba – Fernando Funes Aguilar. Der Präsident der Grupo de Agricultura Organica (GAO), die 1999 den alternativen Nobelpreis für ihre Verdienste um den organischen Landbau in Kuba erhielt, hat vorletztes Jahr ein Buch über den Umbau der kubanischen Landwirtschaft herausgegeben. Für ihn ist Kuba auf dem richtigen Weg, auch wenn bei den klassischen Exportprodukten wie Zucker, Tabak und Zitrusfrüchten nach wie vor der inputintensive Bewirtschaftungsansatz dominiert. Erste positive Erfahrungen mit dem Biolandbau sind aber auch dort nicht zu übersehen.
Alternativen zur Chemie, etwa wie biologische Schädlingsbekämpfungsmittel oder Bakterien zur Bodenverbesserung, werden über ein Netz von 230 Zentren zur Produktion von Pflanzenschutzmitteln angeboten. Pilotanlagen für die industrielle Produktion von Biopestiziden wurden eingerichtet. Derzeit werden rund eine Million Hektar (knapp zwanzig Prozent der Anbaufläche) biologisch vor Schädlingsbefall geschützt. Die Kapazitäten werden zwar kontinuierlich erweitert, aber der Bedarf ist wesentlich größer als das Angebot, so Lukas Kilcher vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau in der Schweiz. Seit 1997 arbeitet er mit kubanischen PartnerInnen am Aufbau der biologischen Obst-, Kaffee- und Zuckerproduktion zusammen.

Insektenfresser, die wie die Schlupfwespe Eier von Schädlingen fressen, werden bei der alternativen Schädlingsbekämpfung genauso eingesetzt wie Mikroorganismen oder aus ihnen gewonnene Toxine, die auf Insekten, Milben oder Fadenwürmer tödlich wirken. Und als Drittes werden pflanzliche Extrakte zum Schutz der Kulturpflanzen vor Schädlingen genutzt – Tabakbrühe oder Extrakte des Neembaums etwa.
Für die Verbreitung der neuesten Forschungserkenntnisse sorgen auch die ACTAF-Modellfarmen, die wie Schulen in Sachen alternativer Landbau funktionieren. Zudem organisiert die ACTAF alle zwei Jahre die internationale Konferenz der organischen Landwirtschaft in Havanna. Sie dient als Info- und Kontaktbörse, aber auch als Schaufenster für die kubanischen Erfolge. Die sind mittlerweile recht beachtlich.
Diversifizierung, die Aufteilung der großen staatlichen Kooperativen in kleinere genossenschaftlich organisierte Einheiten, die so genannten Unidades Basicas de Producción cooperativa (UBPC), und die Entwicklung neuer landwirtschaftlicher Konzepte sind die wichtigsten Elemente des laufenden Umstrukturierungsprozesses. Der muss mit einem Minimum an Ressourcen auskommen. Im Zuge der „Low Input-Landwirtschaft“ gewann auch der Biolandbau in Kuba an Zugkraft. Detaillierte Angaben von kubanischer Seite gibt es allerdings nur bezüglich der zertifizierten Flächen.
Derzeit wird dem Landwirtschaftsministerium zufolge auf 10.445 Hektar Biolandbau betrieben. Faktisch dürften die Flächen, auf denen Biolandbau betrieben wird, jedoch deutlich größer sein, schätzt Egidio Paez Medina.
Er kümmert sich auch um den Verkauf der Produkte aus dem Biolandbau. So werden einige Hotels und Restaurants mit frischem Gemüse beliefert, während der Rest an die BewohnerInnen des Stadtviertels verkauft wird.

Die Vermarktung der Bioprodukte „hecho en Cuba“ (erzeugt in Kuba) auf internationaler Ebene steckt hingegen noch in den Kinderschuhen. Allerdings ist das Exportpotenzial beachtlich, so der kubanische Sozialwissenschaftler Armando Nova, der den internationalen Markt für Bioprodukte sondiert hat. Bisher werden Kaffee, Kakao, Honig, Zitrusfrüchte und Zucker aus ökologischem Landbau ins Ausland geliefert, vor allem nach Japan, Kanada, England und in die Schweiz. Um den Handel auszuweiten, müssten allerdings noch einige Defizite abgebaut werden, urteilt Santiago Rodríguez Castellón in einer aktuellen Untersuchung des Forschungszentrums der kubanischen Wirtschaft (CEEC). Fehlende Infrastruktur, zu wenig Produktionsanreize, aber auch das Fehlen einer nationalen Kontrollgesellschaft sind die wichtigsten Hürden, so der Wissenschaftler.
Bürokratische Hürden sind ein weiteres Hindernis, so Hermann Heidberg vom deutschen Naturkost-Großhändler Elkershausen. Bis der Vertrag über die Lieferung von Biozucker an das Unternehmen zustande kam, hatte er es mit insgesamt 17 Ministerien zu tun, klagt Heidberg. Der Papierkrieg ist der wichtigste Grund dafür, dass Heidberg das über die staatliche deutsche Entwicklungsagentur GTZ (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit) vermittelte Projekt nach dreijähriger Dauer im Dezember auslaufen ließ – obwohl das Unternehmen grundsätzlich Interesse hat, Bioprodukte aus Kuba zu importieren.
Ganz andere Erfahrungen hat hingegen Lukas Kilcher in Kuba gemacht. Er berät die kubanische Seite nicht nur bei der Einhaltung der biologischen Kriterien , sondern hat auch den Kontakt zur Wirtschaft hergestellt. Seit mehreren Jahren finden sich Bio-Zitrussäfte im Angebot der Schweizer Coop-Supermärkte. „Ausdauer und Fingerspitzengefühl sind nötig, um mit den Kubanern ins Geschäft zu kommen“, meint Kilcher. Das läuft so gut, dass Kokosnüsse, Mangosaft, Kakao und Kaffee aus ökologischem Anbau in naher Zukunft die Angebotspalette ergänzen sollen.

Knut Henkel ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freiberuflicher Publizist und Journalist. Arbeitsschwerpunkte sind: Entwicklungspolitik im lateinamerikanischen Kontext, internationale Konventionen und ihre Auswirkungen auf den Handel, Menschenrech

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