Die Bewegung für Klimagerechtigkeit bekommt Auftrieb aus Bolivien. Zigtausende Menschen aus der ganzen Welt folgten einem Aufruf von Präsident Morales und diskutierten in Cochabamba über den Klimawandel. Für das Südwind-Magazin mit dabei war Gerhard Dilger.
Es war fast wie beim ersten Weltsozialforum 2001 in Porto Alegre: Weitgehend unbeobachtet von der Weltpresse läuteten tausende AktivistInnen eine neue Etappe der Globalisierungskritik ein. Gut 35.000 TeilnehmerInnen aus insgesamt 142 Ländern seien zur „Weltkonferenz der Völker über Klimawandel und Rechte der Mutter Erde“ nach Cochabamba gekommen, vermeldete Boliviens Außenminister David Choquehuanca.
Und wie damals kam das Gros der Anwesenden aus Lateinamerika, viele aber auch aus den USA und Kanada. Die Vulkanwolke über Europa machte hunderten Reisewilligen, auch aus Afrika und Asien, einen Strich durch die Rechnung. Der Dynamik auf dem Campus der Valle-Universität tat das keinen Abbruch. „Hier gibt es tatsächlich den Versuch, so etwas wie einen demokratischen Raum zu schaffen, wie ich es noch nie auf einer Klimakonferenz erlebt habe“, lobte Daphne Wysham von „Earthbeat Radio“ aus Washington. Dabei ging es nicht nur um Vorträge und Vernetzung, sondern vor allem um zielstrebiges Ringen um Inhalte – die gastgebende Regierung Boliviens wollte Ergebnisse und nicht nur Diskussionen. Besonders stark war das Treffen durch Indígenas geprägt; das andine Konzept vom „Guten Leben“ war in aller Munde.
In etlichen der siebzehn offiziellen Arbeitsgruppen tat sich Erstaunliches: Nach teils zähen Debatten wichen manche Endergebnisse deutlich von den Vorlagen ab, die unter der Regie der bolivianischen Regierung entstanden waren. In der Arbeitsgruppe „Wälder“ etwa setzten sich die KritikerInnen des Emissionshandels gegenüber regierungsnahen Funktionären durch, die für eine Autonomie der Indígenas nur wenig Verständnis zeigten. Die Vorsitzende dieser Arbeitsgruppe, Camila Moreno aus Brasilien, zeigte sich höchst zufrieden: „Anders als bislang in der Klimakonvention dürfen künstlich angelegte Monokulturen wie Eukalyptusplantagen nicht als Wälder definiert werden, und die Rechte der Indígenas müssen ausdrücklich berücksichtigt werden.“ Besonders freute sie sich über das klare Nein zum Emissionshandel nach dem „neoliberalen“ REDD-Mechanismus (Emissionsgutschriften für die Vermeidung von Entwaldung etc.; Anm. d. Red.), der zur Privatisierung der Urwälder führe. Stattdessen wurde die Einrichtung von freiwilligen Fonds befürwortet, die auf der Anerkennung der „Klimaschulden“ des Nordens gründen.
„Das ist ein ganz entscheidender Unterschied“, erläuterte Moreno, „wir wollen keine Almosen des Nordens als Gegenleistung für so genannte Umweltdienstleistungen und keine Gelder, die an bestimmte Marktbedingungen geknüpft sind und erst noch als Ablasszahlungen innerhalb des Emissionshandels gutgeschrieben werden.“
Schützenhilfe leistete Tom Goldtooth vom US-amerikanischen Indigenous Environmental Network: „Wenn ein indigenes Volk denselben Regierungen und Multis, die unsere Ökosysteme zerstören, CO2-Kredite verkauft, macht es sich zum Komplizen seiner eigenen Zerstörung.“
Um solche Details machte Evo Morales, dem Goldtooth einen Protestbrief wegen eines REDD-Projekts in einem bolivianischen Nationalpark geschickt hatte, auf seiner Pressekonferenz einen großen Bogen. „Es geht nicht mehr um Kapitalismus, Sozialismus oder Kommunismus, sondern um etwas Tieferes, um ein neues planetarisches Paradigma“, sagte der Staatschef. „Wenn wir die Rechte der Natur verteidigen, dann verteidigen wir auch die Menschenrechte.“
Doch zur Förderung und zum Export der südamerikanischen Bodenschätze, dem von der Basis kritisierten „neuen Extraktivismus“, sehen Morales und sein Vize Álvaro García Linera offenbar keine Alternative. Alberto Acosta, Ecuadors führender Öko-Intellektueller, findet es „fatal, die nationale oder lokale Ebene auszuklammern: Der Widerstand gegen den Bergbau an einem bestimmten Ort betrifft uns alle, wir müssen ‚glokal‘ denken“. (Vgl. auch Interview in SWM 12/09.)
García Linera, der strategische Kopf der Regierung Morales, wandte sich hingegen in einem Grundsatzreferat gegen einen „romantischen Konservierungsglauben“ – eine klare Abgrenzung gegen jene KritikerInnen, die sich außerhalb des Campus in der nicht zugelassenen „Arbeitsgruppe 18“ trafen. Dort ging es um den Bau von Fernstraßen durch Naturschutzgebiete, die Verseuchung von Flüssen durch Minenprojekte oder Erdölexploration im Amazonasgebiet.
„Wir unterstützen den Diskurs von Evo Morales, aber zuerst muss man das, was man in der Welt predigt, daheim praktizieren“, sagte Rafael Quispe vom Indígena-Rat CONAMAQ. Zwei konservative Politiker wurden mit Sprechchören hinauskomplimentiert. Die Regierung hält den KritikerInnen von links vor, sie betrieben die Sache der Rechten. Doch die Ausgrenzung bescherte den „18ern“ erst richtig Aufmerksamkeit. Prominente wie Acosta oder Naomi Klein aus Kanada zeigten demonstrativ Flagge, und schließlich fand sich die zentrale Forderung – nämlich nach einer verbindlichen vorherigen Befragung der Betroffenen bei Megaprojekten – auch in der Abschlusserklärung wieder.
Das zehnseitige „Abkommen der Völker“ hat es überhaupt in sich. Vielfach stellt es den Wachstumsfetischismus auch der linken Regierungen Lateinamerikas infrage. So bezeichnet es das Agrobusiness, das Lebensmittel für den Markt, aber nicht für die Ernährung aller Menschen produziere, als einen der Hauptverursacher des Klimawandels. Agrosprit, Emissionshandel, Gentechik, Geo-Engineering oder Monokulturen seien allesamt falsche Lösungen im Kampf gegen den Klimawandel, heißt es da, durch große Infrastruktur- und Bergbauprojekte würden indigene und bäuerliche Gemeinschaften in ihrer Existenz bedroht.
Die UNO soll eine Erklärung für die Rechte der Natur, der „Mutter Erde“, verabschieden – in diesem Punkt ist die Verfassung Ecuadors wegweisend. An die Industrieländer ist die Forderung gerichtet, ihren CO2-Ausstoß bis 2020 zu halbieren und sechs Prozent ihres Bruttoinlandprodukts in einen Weltklimafonds einzuzahlen. Über ein weltweites Referendum soll im April 2011 dafür geworben werden, die Verteidigungsausgaben für den Klimaschutz umzuwidmen. Unternehmen und Regierungen schließlich sollten künftig vor einem Weltklimagerichtshof verklagt werden können.
Morales’ Ansinnen, eine neue Internationale sozialer Bewegungen zu gründen, wurde bestimmt zurückgewiesen. Doch in Sachen Klimaschutz will man künftig noch enger zusammenarbeiten. Bereits Ende April leitete Bolivien das „Abkommen der Völker“ an die UN-Klimagremien weiter.
Nahziel ist der UN-Klimagipfel, der im Dezember im mexikanischen Seebad Cancún stattfinden wird. Zum Abschluss beschwor Boliviens Präsident die TeilnehmerInnen der Konferenz: „In Cancún müssen wir überzeugen, erklären, überreden und uns Gehör verschaffen. Unsere Bewegung muss auf der ganzen Welt wachsen, um die Industrieländer dazu zu zwingen, die Positionen der sozialen Bewegungen zu respektieren.“
Gerhard Dilger lebt seit Jahren als Korrespondent mehrerer deutschsprachiger Medien in Porto Alegre, der Geburtsstadt des Weltsozialforums.
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