Über Online-Medien verändern Aktivistinnen und Aktivisten die politische Landschaft Lateinamerikas. Redakteurin Nora Holzmann hat sich im digitalen Dschungel umgesehen.
Ohne Netz geht nix: Websites, Facebook-Auftritte, Online-Kampagnen sind in vielen Teilen der Welt schon längst zu einem fixen Bestandteil von politischem Engagement geworden. Auch in Lateinamerika gelingt es Menschen zunehmend, durch digitalen Aktivismus Einfluss auf die Politik zu nehmen. Während in Europa viel darüber diskutiert wird, welche Rolle soziale Medien beim Arabischen Frühling gespielt haben oder was sie in China bewirken könnten, bleiben die virtuellen Aufstände in Lateinamerika hierzulande eher unbekannt. Dabei waren die ZapatistInnen in Mexiko sogar eine der ersten sozialen Bewegungen, die das Internet gekonnt für sich nutzten.
Öffentlichkeit 2.0. Mittlerweile hat das Phänomen viele Gesichter: In Brasilien stellten die Mídia NINJA während der Proteste gegen die Fußball-WM eine Flut von Videos und Informationen ins Netz, um die Deutungshoheit der konservativen Medien zu brechen. In Kuba fordern Bloggerinnen und Blogger das Medienmonopol des sozialistischen Staates heraus. Und in Guatemala wurden unter dem Motto #RenunciaYa („Rücktritt jetzt“) gerade über soziale Netzwerke Proteste gegen den Präsidenten und die – mittlwerweile zurückgetretene – Vizepräsidentin organisiert, die in einen Korruptionsskandal verwickelt sind.
Oft ist es das erste Ziel des digitalen Aktivismus in Lateinamerika, eine Art „Öffentlichkeit 2.0“ zu schaffen. In vielen Ländern des Kontinents werden traditionelle Medien wie Fernsehen oder Zeitungen von Medienunternehmen gesteuert, die der Regierung oder konservativen Eliten nahestehen. Ins Visier der Online-Aktivistinnen und -Aktivisten kommt meist, was auch die breite Masse empört: Korruption, Amtsmissbrauch, Menschenrechtsverletzungen und sozio-ökonomische Missstände. Facebook und Twitter liegen als Mittel der Wahl bei Lateinamerikas Netz-Aktivistinnen und -Aktivisten klar voran, wie eine US-amerikanische Vergleichsstudie zeigt. Auch Videos, die ins Internet gestellt und geteilt werden, spielen eine große Rolle. Online-Petitionen wiederum, mit Abstand das wichtigste Werkzeug digital politisch Aktiver in Nordamerika, gibt es verhältnismäßig selten.
#
Slacktivismus: Steht für einen Pseudo-Aktivismus, der dazu beiträgt, dass sich eine Person ohne viel Aufwand (zum Beispiel durch einen „Gefällt mir“-Klick) gut fühlt.
Hacktivismus: Bezeichnet Angriffe auf Websites oder Computernetzwerke, um politische Ziele zu erreichen. Dazu kann das „Spammen“ von E-Mail-Adressen durch Beschicken mit zahlreichen Mails gehören oder das Verändern des Aussehens ganzer Webseiten.
Hashtag: Das #-Symbol wird im Internet zur Verschlagwortung verwendet. Soziale Netzwerke wie Twitter oder Pinterest nutzen es, um die Begriffssuche zu erleichtern und Diskussionen zu einem Thema zu vereinfachen.
Shitstorm: Meint einen Sturm der Entrüstung im Internet, bei dem in kurzer Zeit eine große Zahl kritischer bis beleidigender Äußerungen gegen eine Person, ein Unternehmen etc. gerichtet wird.
Viral: Wenn etwa ein Video viral wird, heißt das, dass es binnen kürzester Zeit über das Internet unter sehr vielen Menschen verbreitet wird.
Im Netz und auf der Straße. Besteht nicht die Gefahr, dass die Menschen nun durch einen schnellen „Gefällt mir“-Klick ihre Solidarität ausdrücken, anstatt auf die Straße zu gehen? Politikwissenschaftlerin Anita Breuer (siehe Interview S. 11) sagt nein. „Die klare Grenze zwischen wertvollem, weil mit Aufwand verbundenem Offline-Aktivismus und schlechtem, weil oberflächlichem Online-Aktivismus ist vor allem eine künstliche. In Wirklichkeit sind die Übergänge fließend, und das gilt nicht nur für Lateinamerika.“
Dass das Internet allein nicht reicht, um Veränderungen zu bewirken, dessen sind sich die meisten Lateinamerikanerinnen und -amerikaner bewusst. Sie erachten die Online-Medien ganz klar als eine zusätzliche Ressource, die traditionelle Formen des Aktivismus unterstützt, stellte die frühere Bloggerin und heutige Uni-Professorin Summer Harlow in ihren Forschungen fest.
Kleiner Klick, große Wirkung? Smartphones mit Internet-Zugang sind bei jungen Lateinamerikanerinnen und Lateinamerikanern genauso beliebt wie anderswo. Der Großteil möchte – wenn man zu jenen gehört, die sich das Gerät leisten können – damit aber eher ein Selfie auf Facebook stellen als sich im Netz politisch engagieren. Online aktiv werden vor allem jene, die auch bisher schon interessiert waren und die die entsprechenden zeitlichen und finanziellen Mittel haben. Kleineren Organisationen oder nicht-etablierten Parteien würden die Online-Medien aber sehr wohl helfen, ihre Ideen zu verbreiten, meint Anita Breuer.
Regierungen wurden durch Online-Aktivismus in Lateinamerika noch keine gestürzt. Die Machthabenden müssen aber damit rechnen, dass ihnen ihre Bürgerinnen und Bürger auch in den nächsten Jahren im Internet Paroli bieten.
Das Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin hat Online-Aktivismus in Lateinamerika zum Thema eines Seminars gemacht. Die entstandenen Projektarbeiten sind hier nachzulesen: www.lai.fu-berlin.de/forschung/lehrforschung/Online_Aktivismus/index.html
Berichte aus aller Welt: Lesen Sie das Südwind-Magazin in Print und Online!
Mit einem Förder-Abo finanzieren Sie den ermäßigten Abo-Tarif und ermöglichen so den Zugang zum Südwind-Magazin für mehr Menschen.
Jedes Förder-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.
Mit einem Solidaritäts-Abo unterstützen Sie unabhängigen Qualitätsjournalismus!
Jedes Soli-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.