Viel Mühe, wenig Lohn

Von Heike Hochhauser · · 2012/05

In Nicaragua stammt der Großteil der Kaffeeproduktion von kleinen Fincas. Kaffeekooperativen sind die Partner von Fairtrade. Zu wenig Augenmerk wird jedoch auf jene gerichtet, die als SaisonarbeiterInnen ebenfalls harte Arbeit leisten. Der Mindestlohn reicht nicht für ein würdiges Leben.

"Un cafécito?“, werden wir von Merling Preza gefragt. Wenig später erhalten wir zwei große Tassen mit nicaraguanischem Kaffee. Ein „Kaffeetscherl“, wie man die liebevolle Bezeichnung der NicaraguanerInnen ins Österreichische übertragen könnte, darf bei keinem Besuch fehlen.

Wir treffen die Geschäftsführerin von PRODECOOP, einem Dachverband von 38 Fairtrade-Kooperativen, in der Stadt Estelí im Norden Nicaraguas. „Den ersten Kaffee verkauften wir nach Holland und in die USA. Seit damals haben wir die Qualität kontinuierlich verbessert“, erzählt Preza von den Anfängen in den 1990er Jahren. „Spezialitätenkaffee“ lässt sich auch außerhalb des fairen Handels zu guten Preisen vermarkten. „Wir verkaufen nur etwa 60 Prozent unseres Fairtrade-Kaffees tatsächlich unter diesem Siegel. Manche behaupten, die Nachfrage nach besiegeltem Kaffee könne von kleinen Produzenten nicht befriedigt werden. Das ist aber falsch. Das Problem ist nicht das Angebot, sondern der Preis. Großeinkäufer wollen auch den fairen Kaffee günstiger haben“, kritisiert Preza.

Und damit spricht sie ein aktuelles Problem an: Soll das Fairtrade-Siegel auch an Kaffee von Plantagen vergeben werden, wie das bei anderen Produkten etwa Bananen oder Blumen der Fall ist? Diese Produkte werden für den Export weltweit im großen Stil produziert. Beim Kaffee ist dies anders. Nur Kaffee von kleinbäuerlichen Kooperativen kann mit dem Fairtrade-Siegel ausgezeichnet werden. Und davon gibt es genug: 70 Prozent der weltweiten Kaffee-Produktion stammt von KleinproduzentInnen. In Nicaragua sind rund 90 Prozent Klein- und mittelgroße Produzenten mit Anbauflächen unter 30 Hektar. Vor allem im Hochland von Nicaragua werden nur sehr kleine Flächen bestellt und der Transport ist langwierig und teuer. „Plantagenkaffee würde den Fairtrade-Preis drücken“, ist Preza, Vertreterin von 2.300 KleinproduzentInnen, überzeugt.

Dabei liegt der garantierte Fairtrade-Mindestpreis für Rohkaffee mit 1,4 US Dollar pro Pfund (umgerechnet 2,4 Euro pro Kilogramm) bereits jetzt deutlich unter den 2,3 US-Dollar, die die lateinamerikanische ProduzentInnenvertretung von Fairtrade International (CLAC) fordert. Sie hat die durchschnittlichen Produktionskosten in Mittelamerika in einer Untersuchung erhoben. „Das Problem sind die geringen Erträge. Im Schnitt ernten die Mitglieder von PRODECOOP pro Hektar 500 Kilo Rohkaffee im Jahr. Bei optimaler Pflege und zeitgerechter Erneuerung der Kaffeesträucher sind im Bioanbau rund 900 Kilo Rohkaffee pro Hektar möglich, im konventionellen Anbau dank Dünger sogar 1.300 Kilo“, erklärt Preza.

Maßgeblich für das nicaraguanische Kaffeegeschäft ist der Tagespreis an der New Yorker Börse. Sogar für die entlegensten Gebiete gilt der internationale Handelspreis als Referenz. Während der Erntezeit 2011/2012 ist der Preis hoch wie selten zuvor und liegt zwischen 2,2 und 2,3 Dollar pro Pfund Rohkaffee. „Viele sagen, der aktuelle Kaffeepreis ist zu hoch. Der Preis ist nicht zu hoch, er reicht gerade aus, um halbwegs gut arbeiten zu können“, kommentiert Maurizio Ruiz, Geschäftsführer von CECOCAFEN, dem größten Kaffeekooperativen-Dachverband in der Region Matagalpa, die Preissituation. Liegt der Weltmarktpreis über dem Fairtrade-Mindestpreis, erhalten die Bauern den höheren Preis. Sinkt der Preis an den internationalen Börsen, erhalten die ProduzentInnen in jedem Fall den Fairtrade-Mindestpreis.

Als Dachverband wickelt CECOCAFEN die Kaffee-Vermarktung ab. Die Organisation kauft den Kaffee von ihren 41 Mitgliedskooperativen an, bereitet ihn zu exportfertigem Rohkaffee auf und liefert ihn an KundInnen in Europa und den USA. Erzielte Überschüsse werden an die Mitglieder ausgeschüttet, ebenso wie die Fairtrade-Sozialprämie, die KäuferInnen von Fairtrade-Kaffee zusätzlich zum vereinbarten Preis bezahlen. Pro Pfund Rohkaffee erhält CECOCAFEN 0,2 Dollar. Derzeit werden 70% der Prämie in Projekte zur Produktivitätssteigerung investiert, so haben es die Mitgliedskooperativen entschieden.

Von Matagalpa, dem wichtigsten Kaffeezentrum des Landes, brauchen wir mit unserem Geländewagen zwei Stunden bis ins Dorf Aguas Amarillas, mitten im feuchten Hochland-Wald, wo wir Mitglieder von CECOCAFEN treffen wollen. Unser Fahrer, dessen Spitzname Don Lolo gut zu seinem kugelrunden Bauch passt, bringt uns sicher die steile Erdstraße zum Versammlungsort der Kleinbauern-Kooperative Augusto César Sandino hinauf. „Als 1990 Violeta Chamorro Präsidentin wurde und die Ära der Sandinisten vorerst beendete, bekam ich als Kleinproduzent keinen Kredit von der Bank. Also gründete ich mit anderen Kaffeebauern eine Kooperative“, erzählt der Präsident Crecencio Pao Espinoza. „Wir verdienen nur zur Erntezeit etwas. Bis wir den Kaffee pflücken und verkaufen, brauchen wir aber auch Geld. Für die Landwirtschaft, für Essen und Kleidung und andere Dinge. Die Vorfinanzierung läuft jetzt über CECOCAFEN.“ Damit sind die Mitglieder der Kooperative nicht weiter abhängig von den lokalen Zwischenhändlern, bei denen sie Kredite nur mit Zinssätzen von bis zu zehn Prozent monatlich bekommen.

 


Pflückerinnen beim Aussortieren minderwertiger Kaffeekirschen.

 

Die meisten ProduzentInnen in der Region pflanzen die Kaffeesträucher auf ihren kleinen Fincas von zwei bis fünf Hektar an, oft auf schwer zugänglichen, steilen Hängen, so auch Dionisia Valdivia, die Vorsitzende der Frauenkooperative El Privilegio. Sie baut im Dorf Yasika auch Bohnen und Mais für die Großfamilie an. 13 Kinder hat sie zur Welt gebracht und inzwischen hat sie fast genauso viele EnkelInnen. „In anderen Kooperativen werden wir Frauen nicht gehört. In der Frauenkooperative bestimmen wir selbst, wie wir unseren Kaffee vermarkten und welche Projekte wir umsetzen. Gerade sind wir mit finanzieller Unterstützung einer dänischen Partnerorganisation dabei, eine Kaffeerösterei aufzubauen. Der fertige Röstkaffee soll direkt in Dänemark verkauft werden“, berichtet Valdivia von dem ehrgeizigen Projekt, für das ein Kaffeekäufer finanzielle Mittel aufstellte. Röstkaffee zu exportieren ist die Ausnahme in Nicaragua, wo fast die gesamte Exportmenge von 90.000 Tonnen jährlich als Rohkaffee verkauft wird.

Wieder zurück aus dem feuchten Hügelland, besuchen wir außerhalb von Matagalpa das Unternehmen Solcafé, das sich im Besitz von CECOCAFEN befindet. Dort werden die nassen Bohnen, die zuvor von den ProduzentInnen mit einfachen Maschinen vom roten Fruchtfleisch befreit wurden, getrocknet und anschließend geschält. Junge Männer entladen schwere rote Säcke mit nassem Pergamentkaffee von den eintreffenden LKWs. Für diese harte Arbeit erhalten sie den gesetzlichen Mindestlohn. „Anders wäre der Kaffee nicht wettbewerbsfähig“, so Geschäftsführer Ruiz. Den Fairtrade-Standards widerspricht das nicht, sie werden damit eingehalten. Einer der Arbeiter, der von seinen Kollegen wegen seines unermüdlichen Lächelns payaso (Clown) genannt wird, erzählt: „In der Erntezeit von November bis Februar arbeiten wir täglich zehn bis zwölf Stunden, sieben Tage die Woche. Am Tag verdienen wir 180 Cordoba (ca. 6 Euro). Wir verdienen immerhin mehr als die Frauen, die den Kaffee auf den Trocken-Terrassen wenden. Sie bekommen nur 140 Cordoba (ca. 5 Euro) am Tag. Unsere Arbeit ist anstrengend, daher ist keiner von uns älter als 30 Jahre.“

Der Gewerkschafter Roger Barrantes steht der Idee des fairen Handels kritisch gegenüber: „Was ist fair daran, wenn die einen mehr für ihr Produkt bekommen, die anderen aber weiterhin nur den Mindestlohn verdienen?“ Barrantes meint, dass auch die SaisonarbeiterInnen vom fairen Geschäft mehr profitieren sollten. Sie sollten so viel verdienen können, dass auch für sie ein Leben in Würde möglich wäre. Laut aktuellen Fairtrade-Standards muss Lohnarbeit, ohne die weder die Kaffee-Ernte noch die Kaffee-Aufbereitung machbar wäre, nur mit dem gesetzlichen Mindestlohn abgegolten werden. Das greift aber zu kurz. ArbeiterInnen brauchen einen Existenzlohn, der die Grundbedürfnisse wie Ernährung, Wohnen, Ausbildung und Mobilität abdeckt. Dieses Thema wird auch innerhalb von Fairtrade diskutiert.

Wir treffen Barrantes mit zwei Stunden Verspätung in seinem Büro in der Hauptstadt Managua. Eine Entschuldigung ist nicht nötig, Terminvereinbarungen werden in Nicaragua nicht so eng gesehen. Zeit für ausgiebige Gespräche gibt es dafür immer. Als Vertreter der Central Sandinista de Trabajadores, dem sandinistischen Flügel der Gewerkschaften in Nicaragua, verhandelt Barrantes zweimal jährlich die Mindestlöhne. Aktuell liegt der monatliche Mindestlohn für eine 48-Stunden-Woche in der Kaffee verarbeitenden Industrie bei 3.350 Cordoba (ca. 112 Euro), die Lebenserhaltungskosten für eine fünfköpfige Familie betragen jedoch 9.600 Cordoba (ca. 320 Euro). Zwei Drittel davon müssen alleine für Nahrungsmittel aufgewendet werden. Beschäftigte in der Landwirtschaft verdienen mit 1.970 Cordoba (cirka 60 Euro) noch deutlich weniger. Vom Stundenlohn kann sich ein Landarbeiter gerade einmal ein Kilo Reis leisten.

„Zu den niedrigen Löhnen kommt hinzu, dass nur etwa 25 Prozent der ArbeiterInnen versichert sind. Sie haben daher kein Einkommen im Krankheitsfall und auch keine Pension“, so Barrantes.

Für Nicaraguas Wirtschaft ist die Kaffeeproduktion ein zentraler Sektor. Etwa 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden mit dem wichtigsten Exportgut des Landes erwirtschaftet. Mehr als die Hälfte des Rohkaffees wird von zwei Exportfirmen aufgekauft und exportiert. Fairtrade-Kaffee spielt im Verhältnis dazu eine untergeordnete Rolle. Rund 100.000 Menschen arbeiten in der Kaffeeindustrie. Viele Arbeitsplätze sind jedoch prekär, wie jene der ErntehelferInnen, die als Tagelöhner ohne Arbeitsvertrag Kaffee pflücken, was vermutlich auch bei Fairtrade-Kooperativen der Fall ist. Die niedrigen Löhne bessern sie durch Mithilfe ihrer Kinder auf. „Kinderarbeit ist ein weit verbreitetes Phänomen in der Landwirtschaft. Wir haben zwar ein Gesetz, das Arbeiten unter 16 Jahren verbietet. Aber die Kaffeepflücker und -pflückerinnen werden für die Menge der geernteten Kirschen bezahlt. Mehr pflückende Hände bedeuten einen höheren Tageslohn.“ Auch für den fairen Handel gibt es in Bezug auf solche sozialen Fragen noch viel zu tun.

Heike Hochhauser ist ehemalige Mitarbeiterin der Südwind Agentur und nahm im Jänner 2012 an einer Recherchereise zu Kaffeeproduzenten in Nicaragua teil.

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