Unter der Taliban-Herrschaft in Afghanistan war von einer Gleichberechtigung der Frauen keine Spur. Aber ist die Lage heute besser?
Ein Bericht von New Internationalist-Autorin Mariam Rawi
Als die USA am 7. Oktober 2001 mit dem Bombardement von Afghanistan begannen, diente die Unterdrückung der Frauen in Afghanistan als Rechtfertigung für den Sturz des Taliban-Regimes. Fünf Wochen später verkündete die „First Lady“ der USA, Laura Bush, triumphierend: „Aufgrund unserer jüngsten militärischen Erfolge in weiten Teilen Afghanistans sind Frauen nicht mehr in ihren Häusern eingesperrt (…) Der Kampf gegen den Terrorismus ist auch ein Kampf für die Rechte und Würde der Frauen.“
Ein ganz anderes Bild zeichnete jedoch Amnesty International in einem ausführlichen Bericht vom 6. Oktober 2003: „Zwei Jahre nach dem Ende des Taliban-Regimes haben sich die internationale Gemeinschaft und die afghanische Übergangsregierung unter Präsident Hamid Karsai als unfähig erwiesen, Frauen zu schützen.“ „Das Risiko, von Angehörigen bewaffneter Gruppen und früheren Kämpfern vergewaltigt und sexuell missbraucht zu werden, ist nach wie vor hoch. Zwangsverheiratung, insbesondere von Mädchen, und Gewalt gegen Frauen in der Familie sind in vielen Gebieten des Landes weit verbreitet.“
Tatsächlich ist die Lage der Frauen in Afghanistan nach wie vor verheerend. Zwar dürfen Mädchen und Frauen in Kabul und in einigen anderen Städten nun zur Schule gehen und arbeiten. In den meisten Regionen des Landes ist das jedoch nicht der Fall. In der westlichen Provinz Herat etwa hat der Machthaber Ismail Khan Verordnungen erlassen, die an die Taliban erinnern. Viele Frauen haben noch immer keinen Zugang zu Schulbildung, dürfen nicht für ausländische Organisationen oder für UN-Büros arbeiten und sind in offiziellen Institutionen kaum vertreten. Sie dürfen ohne einen nahen männlichen Verwandten nicht mit dem Taxi fahren oder auf die Straße gehen.
Werden Frauen mit Männern angetroffen, die keine nahen Verwandten sind, können sie von der „Sonderpolizei“ festgenommen und zu einer medizinischen Untersuchung in einem Krankenhaus gezwungen werden, um herauszufinden, ob sie kürzlich Sex hatten. In der Stadt Herat und den umliegenden Provinzen gibt es jeden Monat Berichte über Dutzende Selbstverbrennungen junger Mädchen und Frauen. Die weibliche Selbstmordrate ist heute höher als unter den Taliban.
Unter den Kommandanten der Nordallianz im südlichen und nördlichen Afghanistan steht es um die Rechte der Frauen auch nicht besser. Eine Mitarbeiterin einer ausländischen NGO erzählte Amnesty International: „Wenn eine Frau am Markt einen Zentimeter nackte Haut gezeigt hätte, wäre sie unter den Taliban ausgepeitscht worden; heute wird sie vergewaltigt.“ In Kabul, trotz der Präsenz tausender ausländischer Soldaten, fühlen sich Frauen nicht sicher und tragen die Burka als Schutz. Selbst in Gebieten, wo Mädchen zur Schule gehen dürfen, behalten die Eltern ihre Töchter aus Angst zuhause, nachdem mehrere Mädchenschulen in Brand gesteckt wurden. Mädchen wurden auf dem Schulweg entführt, und sexuelle Belästigung von Kindern beiderlei Geschlechts ist an der Tagesordnung, berichtete Human Rights Watch vergangenen Juli.
Im Gegensatz zu ihren öffentlichen Stellungnahmen verfolgt die Regierung Karsai einen frauenfeindlichen Kurs. Frauen finden keine Arbeit, und Mädchenschulen verfügen oft nicht einmal über genügend Schulbücher und Stühle. Es gibt keinen rechtlichen Schutz für Frauen. Das Kabuler Fernsehen zeigt keine Sängerinnen und spielt keine Frauenlieder, während Filmszenen mit Frauen ohne Hejab (Kopfbedeckung) zensuriert werden.
Der „Krieg gegen den Terror“ hat zum Sturz des Taliban-Regimes geführt, aber den religiösen Fundamentalismus nicht beseitigt, den Hauptgrund der elenden Lage der afghanischen Frauen. Tatsächlich haben die USA bloß ein frauenfeindliches Regime durch ein anderes ersetzt.
Doch afghanische Frauen sind keine schweigenden Opfer. Es gibt Widerstand. Im vergangenen Jahr wurden die Fundamentalisten von den Frauen in der traditionellen Ratsversammlung, der Loya Jirga, vehement angegriffen. Und die anhaltenden Aktivitäten der RAWA für Freiheit, Demokratie, Säkularisierung und Frauenrechte beweisen, dass der Feminismus auch in Afghanistan existiert.
Aber das Klima von Angst und Terror wirkt sich auf den Widerstand der Frauen und das ganze Land aus. Opposition wird mit Waffengewalt und Drohungen zum Schweigen gebracht, und jede ernsthaft anti-fundamentalistische Gruppe muss daher teilweise im Untergrund arbeiten. RAWA kann nach wie vor kein Büro in Kabul eröffnen, und viele unserer Projekte im Inneren des Landes sind nicht als RAWA-Projekte erkennbar. Wir können unsere Zeitschrift Payam-e-Zan (Botschaft der Frauen) nicht offen verkaufen.
Die Frauen von RAWA glauben, dass Bildung Macht ist, und dass afghanische Frauen nicht für ihre Rechte kämpfen können, solange sie nicht über diese schärfste Waffe gegen Unwissenheit und Fundamentalismus verfügen. Deshalb haben wir uns darauf konzentriert, Frauen im Rechts- und Sozialbereich zu organisieren und ihr Bildungsniveau zu verbessern. Sind afghanische Frauen einmal mit den Waffen der Bildung ausgestattet, können sie nicht weiter ignoriert werden, von keiner Regierung des Landes.
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Mariam Rawi, Mitglied der Revolutionary Association of Women in Afghanistan (RAWA), schreibt unter einem Pseudonym. Weitere Informationen über RAWA gibt es im Web unter www.rawa.org