Johann Kandler engagiert sich seit 20 Jahren von Österreich aus für die Klimabündnis-Partnerschaft mit den indigenen Völkern am brasilianischen Rio Negro.
Almerinda Ramos ist Präsidentin des dortigen Dachverbandes FOIRN und kämpft tagtäglich für die Rechte der Indigenen.
Nora Holzmann hat mit beiden darüber gesprochen, was ihre Partnerschaft ausmacht und vor welchen Herausforderungen indigene Gemeinschaften in Brasilien heute stehen.
Südwind-Magazin: Seit 1993 arbeitet das Klimabündnis mit dem Dachverband der indigenen Völker am Rio Negro, der FOIRN, zusammen. Was macht diese Partnerschaft so besonders?
Hans Kandler: Es geht uns um Partnerschaft statt Patenschaft. Unsere Zusammenarbeit läuft auf drei Ebenen, und die finanzielle soll nicht die wichtigste davon sein. Wichtiger sind die politische und die ideelle Ebene. Wir wollen zeigen, wie wir in Österreich zur Regenwaldzerstörung beitragen. In den Klimabündnis-Gemeinden soll Bewusstsein dafür entstehen, dass Änderungen in unserem Verhalten notwendig sind. Zentral ist auch, dass es eine langfristige Unterstützung ist, die nicht nach einer Projektlaufzeit von einem oder drei Jahren endet.
Heißt der brasilianische Staat diese Zusammenarbeit zwischen Europäerinnen und Europäern und Indigenen willkommen?
Hans Kandler: Das war und ist eine sehr sensible Sache. Die Oberschicht hat immer argumentiert, dass, wenn Indigene Unterstützung aus dem Ausland bekommen, sie von imperialistischen Kräften instrumentalisiert werden, die die Entwicklung Brasiliens verhindern wollen und außerdem die Ressourcen des Regenwaldes für sich selbst nutzen wollen. Zur Zeit der Militärdiktatur war das ein besonders heikles Thema.
Haben Sie das Gefühl, dass die Unterstützung für die Indigenen heute genauso notwendig ist wie vor 20 Jahren?
Hans Kandler: Ja. Es hat sich viel geändert, aber trotzdem sind die indigenen Völker weiter in ihrem Überleben bedroht.
Und Brasilien tut nicht genug, um sie zu schützen?
Hans Kandler: So ist es. Vor 40 Jahren war die gängige Meinung, die indigenen Völker werden verschwinden, im nächsten Jahrtausend wird es keine mehr geben. Mit der Unterstützung der Kirchen und aus eigener Kraft heraus haben aber Indigene begonnen, sich zu organisieren und zu vernetzen. In der Verfassung von 1988 wurden sogar die Grundrechte der Indigenen festgeschrieben, alle indigenen Gebiete sollten legalisiert werden. Dies ist bis heute nicht geschehen. Nun sind es vor allem wirtschaftliche Interessen, die die indigenen Völker bedrohen, weil sich Zuckerrohrplantagen, Sojaplantagen, die Fleisch verarbeitende Industrie immer mehr ausdehnen.
Wie ist die Einstellung der Mehrheitsgesellschaft gegenüber der indigenen Bevölkerung?
Hans Kandler: Es gibt insgesamt laut einer Umfrage mehr Akzeptanz und Unterstützung für indigene Anliegen als früher. Die Mehrheit der Brasilianer sieht die Frage der Indigenen aber als Hindernis für Entwicklung und ist dabei auf Linie mit der Präsidentin Dilma Rousseff.
Aktuell gibt es zwei Gesetzesanträge zur Änderung der Verfassung. Der eine soll den Zugang zu Bodenschätzen und natürlichen Ressourcen in indigenen Gebieten erleichtern. Der zweite soll die Entscheidungen bezüglich der An- und Aberkennung indigener Gebiete von der Regierung zum Nationalrat verlagern, wo die Vertreter des Agrobusiness mehr Macht haben. Auch für das Gebiet am Rio Negro gibt es über 400 Ansuchen von Bergbauunternehmen für Versuchsschürfungen.
Im März sind Sie gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen vom Klimabündnis und von Horizont 3000 an den Rio Negro gereist. Was hat Sie auf der Reise am meisten beeindruckt?
Hans Kandler: Ich war viele Jahre nicht mehr in der Region und die Veränderungen haben mich überrascht. Die FOIRN hat erkämpft, dass die indigene Bevölkerung Dokumente bekommt. Die Menschen können so Anträge auf Beihilfen, die die Regierung eingeführt hat, stellen. Damit haben die meisten Familien nun fixe monatliche Einkommen, auch wenn sie gering sind. Das hat bewirkt, dass die Geldwirtschaft sich bis in die letzten Dörfer verbreitet hat. Das zweite, das mir aufgefallen ist, ist das Selbstbewusstsein der Leute. Die Anerkennung von drei indigenen Sprachen als offizielle Amtssprachen und die Alphabetisierung darin haben dazu geführt, dass den jungen Leuten selbst bewusst geworden ist, dass sie eine Kultur, eine Jahrtausende alte Geschichte haben.
Immer wieder kommen ja Delegationen vom Rio Negro nach Österreich. Was für Eindrücke nehmen sie von hier mit?
Hans Kandler: Viele verstehen den Widerspruch bei den Weißen nicht zwischen dem, was sie wissen und dem, was sie tun. Sie sagen: Wenn ihr über den Klimawandel und die Bedrohungen für die Erde Bescheid wisst, weshalb passiert nichts? Ihr habt das Wissen und das Geld, warum tut ihr nichts?
Klimabündnis-Partnerschaft
Seit 20 Jahren sind Gemeinden und Länder in Österreich mit den Völkern am Rio Negro durch eine Partnerschaft verbunden. Die über 940 Klimabündnis-Gemeinden zahlen solidarische, regelmäßige Beiträge, von denen knapp die Hälfte als Unterstützung an den Dachverband der indigenen Völker am Rio Negro (FOIRN) geht. Das Geld wird durch Horizont 3000 übermittelt.
Seit 1998 erlangte die FOIRN von der brasilianischen Regierung mit österreichischer Unterstützung Landrechte für 114.000 km2. Am 19. April diesen Jahres kamen weitere 8.000 km2 hinzu. Insgesamt entspricht der geschützte Lebensraum nun der eineinhalbfachen Fläche Österreichs. Etwa 35.000 Menschen aus über 20 ethnischen Gruppen leben dort in einem intakten Regenwald.
Insgesamt bezeichnen sich über 800.000 der 194 Mio. BrasilianerInnen als Indigene. noh
www.klimabuendnis.at
Südwind-Magazin: Was macht die Partnerschaft mit Österreich in Ihren Augen so besonders?
Almerinda Ramos: Was so wichtig an dieser Partnerschaft ist, ist die institutionelle Stärkung unseres Dachverbandes. Ohne diese Partnerschaft hätte die FOIRN nicht ihre Arbeit fortsetzen und sich um die Bedürfnisse der indigenen Gemeinschaften kümmern können. Sie ist sehr wichtig für uns, weil sie die Institution und die indigene Bewegung langfristig stärkt. Für uns ist es zentral, diese Unterstützung aus dem Ausland zu haben. Auch wenn uns die brasilianische Regierung nicht unterstützt, andere wollen Gutes für uns.
Was sind für Sie die größten Herausforderungen bei Ihrer Arbeit?
Almerinda Ramos: Im letzten halben Jahr, seitdem ich im Amt bin, war für mich persönlich die größte Herausforderung, dass wir nicht alle Basisorganisationen, die dringend finanzielle Hilfe brauchen würden, unterstützen können. Wir haben auch bei unserem Personal nicht genügend Ressourcen, um Unterstützung zu leisten. Viele Leute kommen bei uns vorbei, hätten gerne Geld oder logistische Hilfe und wir können sie nicht geben. Viele Menschen haben große Erwartungen an uns, bräuchten zum Beispiel Geld für Transport oder Nahrungsmittel, und wir können nicht helfen. Es bricht uns manchmal das Herz, dass wir dafür nicht genug Möglichkeiten haben.
Mit Ihnen wurde im November erstmals eine Frau an die Spitze des Dachverbandes der indigenen Völker am Rio Negro gewählt. Wie fühlt sich das an?
Almerinda Ramos: Für mich ist es eine Herausforderung, allerdings nicht in dem Maß, dass ich aufgeben würde. Aber ich trage eine große Verantwortung auf den Schultern, ich habe sehr viele Aufgaben.
Wie sieht Ihre Arbeit konkret aus?
Almerinda Ramos: Ich begleite alle Themen und Projekte, habe viele Besprechungen und Sitzungen. Ich fahre auch durch die ganze Region und treffe Basisorganisationen, um zu erklären, was die FOIRN tatsächlich tut. Das sind sehr produktive Besuche, und für mich sind sie sehr wichtig.
Die Reisen sind allerdings sehr zeitaufwändig, wir sind lange per Boot auf den Flüssen unterwegs, machen weite Fußmärsche.
Ich reise immer wieder in andere brasilianische Bundesstaaten und sehe, wie dort indigene Gemeinschaften leben. Dieser Austausch ist sehr wichtig. Ich möchte auch gerne einmal Europa besuchen und die Erfahrungen von dort hier einbringen.
In Brasilien sehen viele Menschen die Lebensweise der indigenen Bevölkerung als Hindernis für Entwicklung an. Wie gehen Sie mit dieser Einstellung um? Ist das ein Thema bei Ihrer Arbeit?
Almerinda Ramos: Mit Sicherheit. Besonders jetzt, wo man neue Gesetze durchsetzen will, die unsere Rechte noch mehr bedrohen. Für die Agrarlobby sind wir Feinde. Also sind wir tagtäglich im Kampf mit jenen, die das Land regieren. Für sie behindern wir die Entwicklung und den Fortschritt.
Aber Sie haben mit Ihrer Arbeit auch viel Erfolg.
Almerinda Ramos: Auf jeden Fall. In letzter Zeit etwa haben wir es geschafft, uns selbst auch in rechtlicher Hinsicht zu organisieren. Wir haben einen Kulturpreis gewonnen. Und wir hatten Besuch aus Österreich und waren sehr stolz, diesen zu begleiten. Wir konnten auch unseren politischen Interessen im Nationalrat und auf bundesstaatlicher Ebene Ausdruck verleihen. Trotz aller Schwierigkeiten schaffen wir es doch, unsere Ziele zu erreichen.
Der Erhalt des Regenwaldes und die Unterstützung indigener Gemeinschaften liegt vielen Menschen in Österreich sehr am Herzen. Gibt es etwas, was Sie den Leuten hier mitteilen möchten?
Almerinda Ramos: Vergesst den Amazonas nicht! Wir brauchen dringend eure Unterstützung, wir stehen unter großem Druck. Die Agrarlobby versucht, uns unsere Rechte streitig zu machen. Wir brauchen die Solidarität der Menschen in Österreich. Gemeinsam müssen wir Bewusstsein dafür schaffen, dass die Umwelt und die Biodiversität geschützt werden müssen. Wir Menschen müssen die Reichtümer der Natur wertschätzen und uns gut überlegen, wie wir mit ihnen umgehen. Was dem Amazonas schadet, schadet der ganzen Welt.
Wir leben in zwei sehr unterschiedlichen Welten. Aber diese Partnerschaft, die wir aufgebaut haben, muss weitergehen. Es gibt noch so viel zu tun.
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