Unterwegs mit dem Dabbawalla Shankar Dhumal

Von Lisa Rieger · · 2024/Jul-Aug
Shankar Dhumal, Speisen-Zusteller in Mumbai unterwegs mit seinen Liefertaschen
© Lisa Rieger

Shankar Dhumal arbeitet für einen der größten und umweltfreundlichsten Essens-lieferdienste weltweit und kommt trotzdem nur sehr sparsam über die Runden.

Shankar Dhumal ist Dabbawalla, ein Speisen-Zusteller, in der indischen 21-Millionen-Metropole Mumbai. Er wohnt in Dharavi, dem größten Slum Asiens, hier ist er auch geboren. Nach einem langen Arbeitstag bahnt er sich den Weg durch enge Gassen, klettert dann die kurze Leiter zu seinem Apartment hinauf und begrüßt seine Familie. Der 30-Jährige lebt gemeinsam mit seiner Mutter, seinem großen Bruder, dessen Frau und deren drei Kindern auf rund 30 Quadratmetern. Verheiratet ist er nicht. Wenn Dhumal heimkommt, spielt er gern mit seiner Hündin, der fünfjährigen Himanshu, die sein Ein und Alles ist. Die Schwägerin kocht für alle. Im Kreis sitzend nimmt die Familie ihr Abendessen ein.

Seit zehn Jahren ist Dhumal als Dabbawalla tätig. „Und das in vierter Generation“, wie er nicht ohne Stolz erklärt. Als solcher ist er Teil einer der umweltfreundlichsten Speisen-Lieferdienstsysteme der Welt, das schon über 100 Jahre besteht.

Ausgeklügeltes System. Die Dabbawalla sind in Kollektiven organisiert und transportieren täglich via Zug, Rad und zu Fuß an die 200.000 mit Farben, Buchstaben und Ziffern kodierte Boxen. Der Inhalt: Zuhause frisch gekochtes Mittagessen für arbeitende Familienmitglieder. Das System funktioniert so gut, dass es schon von der US-amerikanische Eliteuniversität Harvard studiert wurde, um der Effizienz auf den Grund zu gehen. Sogar ein Hollywood-Film basiert auf der Grundlage der Essensversorgung in Mumbai: Bei „The Lunchbox“ wird eine Lieferung vertauscht, was eine Liebesbeziehung zur Folge hat. „So etwas habe ich in der Realität noch nicht erlebt“, sagt Dhumal und fügt hinzu: „Aber ich kenne manche, die schon seit über 20 Jahren täglich ihr frisches Essen auf diese Art und Weise in die Arbeit geliefert bekommen.“

 „Meine Tätigkeit ist extrem anstrengend. Ich bin von früh bis spät unterwegs, sehr viele Strecken lege ich zu Fuß zurück und dabei trage ich immer Dutzende Lunchboxen mit mir herum. Das hängt sich an. Vor allem bei der Hitze in Mumbai“, erklärt Dhumal. „Das Frustrierende ist, dass ich mir trotzdem kein gutes Leben leisten kann“, fährt er fort.

Karge Löhne. „Auch wenn es ärmliche Bedingungen waren, unter denen wir lebten, die Gegend, in der ich früher mit meinen Eltern und Geschwistern lebte, war super: Kumbharwada, das Töpferviertel“, erzählt er und fährt fort: „Heute wohnen wir in einem anderen Teil von Dharavi. Ich würde gerne außerhalb leben, aber mit den hohen Immobilienpreisen ist das für mich unleistbar.“

Obwohl Dhumal immer von neun Uhr in der Früh bis um 19 Uhr am Abend arbeitet, verdient er nicht mehr als 18.000 indische Rupien (umgerechnet knapp 200 Euro). „Außerhalb von Dharavi, kostet ein Apartment, ein kleines wohlgemerkt, mindestens vier Millionen Rupien. Das liegt für immer außerhalb meiner Reichweite.“ Auf die Frage, ob er an politische Veränderungen glaubt, zuckt er mit der Schulter. Von Premierminister Narendra Modi hält er nichts. Er meint, er mache die Reichen noch reicher und die Armen hätten nichts von seiner Politik. 

Frustration ist bei Dhumal bei seiner Arbeit nicht spürbar. Zuerst holt er die Lunchboxen bei den Familien ab, bringt sie dann per Rad und Zug nach Churchgate, einem Knotenpunkt in Mumbai. Dort werden die Boxen neu verteilt und das ist ein beliebtes Fotomotiv bei Tourist:innen. Da blüht Dhumal auf. Er genießt die Aufmerksamkeit und Anerkennung. Gleichsam gibt er die Boxen bei den Empfänger:innen im Büroviertel ab. „Na, was gibt es heute, was hat Ihre Frau für Sie gezaubert?“, fragt er dann mitunter keck bei der Übergabe und hat den nächsten Schmäh schon in petto.

Wichtige Stärkung. In ihrer Mittagspause setzen sich die Dabbawalla-Kolleg:innen im Schatten zusammen. „Die Pause ist wichtig, damit wir am Nachmittag genug Kraft haben“, sagt er. Auch Dhumal hat seine eigene Lunchbox. Auch seine besteht aus mehreren aufeinandergestapelten Metallschüsseln, die mit einem Deckel verschlossen sind. Sie sind gefüllt mit Reis, Chapati, Gemüsecurry und Linsen, alles von seiner Schwägerin am Vorabend gekocht. Im Kreis sitzend essen die Dabbawalla gemeinsam, bevor die Arbeit wieder losgeht: Denn täglich werden die Boxen wieder abgeholt und zu den Familien zurückgebracht.

Lisa Rieger ist freie Journalistin, lebt in Wien und besucht oft und gerne Indien. Zuletzt war sie im Mai in Mumbai, wo sie Shankar Dhumal zum zweiten Mal getroffen hat.

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