Unter Drachen

Von Redaktion · · 2013/10

Die wachsende Einflussnahme Chinas auf dem afrikanischen Kontinent wird in Europa oft kritisch betrachtet. Wie unterschiedlich sind die chinesische und die europäische Entwicklungszusammenarbeit wirklich? Eine Analyse von Merle Becker.

Seit über einem halben Jahrhundert betreibt die Europäische Union Entwicklungszusammenarbeit in Afrika. Nichtsdestotrotz sind große Teile des Kontinents von Armut und korrupten Regierungen geprägt. Im Laufe der Jahre hat es sich die EU zum Ziel gemacht, Entwicklungszusammenarbeit an Bedingungen zu knüpfen, die die politischen Rahmenbedingungen in Afrika nach westlichem Vorbild verbessern sollen.

Die genaue Definition des sogenannten Good Governance-Prinzips, welches seit Beginn der 1990er Jahre diskutiert wird, ist jedoch umstritten. Im Allgemeinen ist die Rede von einer vernünftigen Wirtschafts- und Sozialpolitik und einer demokratischen Beschlussfassung. Hinzu kommen Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption und Wahrung der Rechtsstaatlichkeit, der Menschenrechte sowie der Presse- und Meinungsfreiheit. Seit 2005 zählen auch die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen, Terrorismusbekämpfung und die Unterstützung des Internationalen Strafgerichtshofs dazu. Verstoßen Empfängerstaaten gegen diese Vorgaben, können Sanktionen verhängt oder Unterstützungszahlungen ausgesetzt werden. Die humanitäre Hilfe ist davon allerdings ausgenommen.

Doch die EU ist nicht der einzige entwicklungspolitische Akteur auf dem afrikanischen Kontinent.Vor allem Chinas Einfluss nimmt kontinuierlich zu, was in den europäischen Medien viel Skepsis und negative Resonanz erzeugt. Es wird kritisiert, die chinesische Entwicklungshilfe sei lediglich ein Mittel, um an den Ressourcenreichtum des Kontinents zu gelangen. So nannte der Spiegel Chinas Engagement in Afrika einen „Ansturm von gierigen Helfern“, die Frankfurter Allgemeine Zeitung bezeichnete China als „Kolonialmacht“ und die britische Daily Mail betitelte einen Artikel mit „How China‘s taking over Africa, and why the West should be VERY worried“ – „Wie China Afrika übernimmt und warum das den Westen SEHR beunruhigen sollte“.

Die Selbstwahrnehmung im Reich der Mitte sieht freilich anders aus: China sieht sich nach wie vor als Entwicklungsland und bezeichnet seine Zusammenarbeit mit Afrika als Süd-Süd-Kooperation. Da die Hilfe an wirtschaftliche Zusammenarbeit gebunden ist, versteht sich China nicht als Geberland, sondern als Handelspartner.

Als Leitlinien setzt sich die chinesische Entwicklungshilfe das Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, des gegenseitigen Nutzens, das Prinzip der Solidarität und eine Kooperation auf Augenhöhe. China distanziert sich davon, Abhängigkeiten erzeugen zu wollen, vielmehr wolle man die Empfängerstaaten unterstützen, ihren eigenen Weg zu gehen. Die geteilte Erfahrung einer Unterdrückung durch den Westen bilde die Grundlage für eine gegenseitige Unterstützung. Das Prinzip der Nichteinmischung solle unterstreichen, dass Entwicklungsländer sich gegenseitig respektieren. Durch die Kooperation solle ein Gegenpol zu der Hegemonie des Westens entstehen.

Beide Ansätze, der chinesische und der europäische, sind durchaus kritisch zu betrachten. So kann man der EU vorwerfen, keine partnerschaftliche Zusammenarbeit zu pflegen, sondern eigene Werte als Bedingungen zu stellen. Werden diese nicht eingehalten, wird sanktioniert – was gemeinhin Wirkung zeigt, da die afrikanischen Staaten abhängig von Europa sind. Kulturelle Aspekte der Empfängerstaaten spielen in diesem Prozess nur eine untergeordnete Rolle, gelten doch für Europa die eigenen kulturellen Werte gewissermaßen als natürlich und universell. Die jeweiligen Staaten sollen den gleichen Weg gehen wie die EU, die sich selbst als entwickelt betrachtet.

Die europäischen Mächte haben durch diese Bedingungen politische und ökonomische Einflussmöglichkeiten und somit auch günstigen Zugriff auf die Ressourcen und Kontrolle über die Finanzmärkte. Kritische BeobachterInnen vermuten hinter dem europäischen Engagement kein echtes Interesse an einer Partnerschaft mit Afrika, sondern lediglich die Angst, Exportmärkte zu verlieren. In vielen Entwicklungsländern wird die Konditionalität der Hilfe als moralische Überheblichkeit und neokolonialer Zwang aufgefasst. Gleichzeitig bezweifeln KritikerInnen die Effizienz der Entwicklungszusammenarbeit der EU und befürchten durch die Eingriffe ins System eines Landes einen Schaden an internen Demokratisierungsprozessen. Da das Prinzip der Good Governance nur ungenau definiert ist, gibt es keine eindeutigen Indikatoren, wann von ihr die Rede sein kann. Dies verschafft der EU große Entscheidungsmacht und Raum für Willkür.

China versucht sich mit seiner Entwicklungszusammenarbeit von der westlichen abzugrenzen. Doch auch Chinas Vorgehensweise ist kritisch zu sehen. Durch Freihandelsabkommen bekommt China leichteren Zugang zu afrikanischen Rohstoffen. Lokale Märkte werden durch den Import chinesischer Industrieprodukte zerstört, gleichzeitig besteht die Gefahr starker Abhängigkeit: Eine OECD-Studie prognostiziert, dass die afrikanischen Volkswirtschaften langfristig unter dem chinesischen Einfluss leiden werden, da sie lediglich als Rohstofflieferanten gelten und somit keine Differenzierung der Ökonomie erfolgen könne.

Doch China kooperiert auch mit Staaten, in welchen Rohstoffe eine geringere Rolle spielen. So liefern zum Beispiel nur 14 afrikanische Staaten Öl an China, während China auf dem „Forum on China-Africa Cooperation“ 2009 mit insgesamt 49 afrikanischen Staaten verhandelte.

Das Prinzip der Nichteinmischung ermöglicht es China, ohne Rücksicht auf die politische Lage eines Landes wirtschaftlich zu intervenieren. Das bedeutet, dass China sich damit in Staaten engagieren kann, die von der EU und anderen westlichen Gebern gemieden werden, etwa wegen Menschenrechtsverletzungen oder Korruption. Das kann dazu führen, dass Unrechtsregime unterstützt und Volk und Zivilgesellschaft geschwächt werden. Beispiel Simbabwe: Während die EU mehrfach Sanktionen gegen die Führung des südafrikanischen Landes verhängt hat, kooperiert China weiterhin mit dem Präsidenten Robert Mugabe. Der Westen wirft China vor, Mugabe an der Macht zu halten, um weiterhin an Ressourcen zu kommen.

Jedoch auch durch die Zusammenarbeit mit der EU werden Unrechtsregime unterstützt. Die EU sanktioniert zwar „Bad Governance“, stellt aber die wirtschaftliche Zusammenarbeit meist nicht ein. Die Wirksamkeit der Sanktionen, zu denen Einfrieren von Hilfsgeldern, diplomatische Sanktionen, Einreiseverbote, Kontensperren, Waffen- sowie Wirtschaftsembargos zählen, ist jedoch vor allem aufgrund der Anwendung ausführlicher Ausnahmeregelungen umstritten.

Die wirtschaftlichen Konditionen, die die chinesischen Darlehen mit sich bringen, zeugen vor allem von Chinas Interesse an der Ankurbelung der eigenen Wirtschaft. So verpflichten sich Empfängerländer etwa zur Bereitstellung natürlicher Ressourcen oder zur Vergabe von 50 Prozent der Aufträge im Rahmen der finanzierten Projekte an chinesische Unternehmen. Dies kann langfristig dazu führen, dass afrikanische Firmen dem Wettbewerb nicht standhalten können.

Sind die beiden zunächst sehr unterschiedlichen Ansätze der Entwicklungszusammenarbeit am Ende gar nicht so unterschiedlich motiviert? Sowohl die EU als auch China verfolgen national-egoistische Interessen. Hilfe aus ausschließlich gutem Willen kann keinem der beiden Geber bescheinigt werden. Beide Vorgehensweisen bergen ihre Vor- und Nachteile und zum Teil laufen sie auch konträr gegeneinander und stehen sich gegenseitig im Weg. So bewirken etwa die EU-Sanktionen in Simbabwe wenig, wenn China den Präsidenten weiterhin unterstützt. Doch es zeigt sich auch, dass beide Geber voneinander lernen können und die Ziele beider Ansätze nicht unvereinbar sind.

2005 setzte sich die EU das Ziel, die europäisch-afrikanische Partnerschaft auf eine neue Grundlage zu stellen, um Afrika weniger diskriminierend gegenüber zu stehen. Außerdem gibt es mittlerweile KritikerInnen, die die Maxime der Good Governance durch Good Enough Governance ersetzen wollen. Sie gehen davon aus, dass die Idealvorstellung, man könne alle Punkte aus dem umfangreichen Forderungskatalog auf einmal in einem Land durchsetzen, utopisch sei. Deshalb sollen Prioritäten gesetzt werden, welche sich an den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten eines Landes orientieren.

Auch in der chinesischen Außenpolitik zeichnet sich ein Wandel ab. China macht sich vermehrt die Diplomatie zu Nutze, um auch auf innerstaatliche Angelegenheiten der Empfängerländer Einfluss zu nehmen. 2007 stimmte China sogar einer UN-Resolution gegen Sudan zu – ein Novum.

In Afrika sollte der Rohstoffhunger der beiden Mächte nicht als Gefahr, sondern als Chance gesehen werden. Denn dadurch, dass der Westen in Afrika Konkurrenz aus China bekommt, verbessert sich die Verhandlungsposition der afrikanischen Staaten. Die Ablöse der einseitigen Abhängigkeit vom Westen kann Afrika neue Handlungsmöglichkeiten und Wettbewerbsvorteile verschaffen.  

Merle Becker studierte Politikwissenschaften in Frankfurt am Main und schrieb ihre Abschlussarbeit zum Thema „Chinesische und europäische Entwicklungszusammenarbeit in Afrika – ein Vergleich“. Momentan arbeitet sie als freie Redakteurin in Frankfurt.

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