Mit ihrer Kreditvergabe-Politik zeigt die Weltbank nicht zum ersten Mal, dass Papier geduldig und die Wirklichkeit anders ist. Statt des angekündigten Abbaus der Bedingungen ist die Zahl der Konditionalitäten sogar noch gestiegen, beobachtet Daniela Setton.
Seit den Strukturanpassungsprogrammen der 1980er Jahre steht die Konditionalitätenpolitik der Weltbank unter heftiger Kritik. Die am neoliberalen „Washington Konsens“ orientierten wirtschaftspolitischen Reformprogramme, die Empfängerländer unter der Ägide von IWF und Weltbank durchführen mussten, haben die ökonomische Situation der Empfängerländer verschlechtert, deren Schuldenberg vergrößert und dramatische soziale Folgen für die Bevölkerung gehabt.
Die Bank versprach Besserungen und verkündete Ende der 1990er Jahre mit der Einführung der Armutsstrategiepapiere einen Paradigmenwechsel. Die Armutsbekämpfung sollte ins Zentrum der Politik der Weltbank rücken. Anstelle von „One-Size-Fits-All“- Vorschriften (etwa: Einheitsvorschriften) aus Washington sollten die Empfängerländer auf Armutsbekämpfung hin orientierte Reformen durchführen, die zuvor aus dem Länderkontext heraus und unter Beteiligung der Zivilgesellschaft erarbeitet werden sollten. Das Geber-Nehmer-Verhältnis sollte mit dem Konzept von Eigenverantwortung der Empfängerländer („Country Ownership“) auf eine neue Grundlage gestellt werden. Im Jahr 2004 dann wurden die umstrittenen Strukturanpassungsprogramme reformiert und in „Development Policy Lending“ (entwicklungspolitisch orientierte Kreditvergabe) umgetauft. Die Zahl der Konditionalitäten sollte sinken und Entwicklungsländer mehr Spielraum für die Wahl alternativer Entwicklungsstrategien erhalten. Die Bank nahm schließlich 2005 eine grundlegende Überprüfung ihrer Konditionalitätenpolitik vor und verpflichtete sich auf die Umsetzung so genannter Good Practice Principles, darunter Eigenverantwortung der Empfängerländer und Transparenz.
Doch es ist nicht das erste Mal, dass die Bank gezeigt hat, dass Papier geduldig ist. Mehrere unabhängige Analysen1) der Konditionalitätenpraxis der Weltbank – darunter auch eine im Auftrag der norwegischen Regierung – zeigen auf, dass der angekündigte Politikwechsel bisher weitestgehend Makulatur ist.
So ist die Zahl der Konditionalitäten pro Kredit in den letzten Jahren nicht gesunken, sondern sogar gestiegen. Nach einer Analyse von 20 Weltbankprogrammen stiegen sie im Zeitraum von 2002 bis 2005 von 48 auf durchschnittlich 67. Diese Entwicklung macht deutlich, dass Konditionalitäten trotz aller Partnerschafts- und Ownership-Rhetorik nach wie vor als zentrales Instrument der politischen Einflussnahme auf Empfängerländer fungieren. Der Präsident von Mali, Amadou Toumani Touré, brachte das Geber-Nehmer-Verhältnis auf einem Entwicklungshilfeforum in Washington 2005 folgendermaßen auf den Punkt: „Dies ist keine Partnerschaft. Dies ist ein Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern.“ Bei einer von der Weltbank durchgeführten Umfrage unter Regierungen von Empfängerländern gaben 50 Prozent der RegierungsvertreterInnen an, dass die Weltbank Reformen von ihnen verlange, die nicht Teil ihrer eigenen Länderprogramme seien.
Die Weltbank drängt arme Länder mit ihrer Entwicklungshilfe noch immer zu umstrittenen wirtschaftspolitischen Reformen, bei denen entweder kein positiver Beitrag zur Armutsbekämpfung zu erwarten ist oder die gerade für ärmere und verwundbare Bevölkerungsgruppen eine Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen zur Folge haben. Eine 2006 durchgeführte Analyse ergab, dass 10 von 19 untersuchten Weltbankkrediten Konditionalitäten im Bereich der Privatisierung, Handelsreformen oder Preisliberalisierung enthielten.
Zwar ist damit die absolute Zahl der Konditionalitäten mit direkten Vorgaben zu Liberalisierung oder Privatisierung gesunken. Doch erstens haben viele Länder ihre Märkte unter dem Druck von IWF und Weltbank bereits weitgehend liberalisiert. Aufgrund der vielen gescheiterten Privatisierungen ist die Bank zudem vorsichtiger geworden.
Dafür steigen Konditionalitäten rapide an, die mit der Vorbereitung von Privatisierungen im Zusammenhang stehen, wie z.B. die Kommerzialisierung öffentlicher Unternehmen. Zweitens sind die Konditionalitäten der Weltbank durch eine wachsende Anzahl von auf „gute Regierungsführung“ und Institutionen zielende Bedingungen partiell neu ausgerichtet worden. Inzwischen enthalten 43% aller Konditionalitäten Vorgaben für Reformen des öffentlichen Sektors. Diese sind jedoch nicht auf Armutsbekämpfung oder die Förderung von Transparenz gegenüber der Bevölkerung ausgerichtet, sondern in erster Linie auf die Stärkung von Marktreformen und die Verbesserung des „Investitionsklimas“ für Unternehmen.2)
Im letzten Jahr haben mit Großbritannien und Norwegen sogar wichtige Geberregierungen die Konditionalitätenpolitik der Weltbank offen kritisiert. Europaweit rufen Nichtregierungsorganisationen ihre Regierungen dazu auf, der Weltbank anzudrohen, ihre Einzahlungen so lange zurückzuhalten, bis endlich grundlegende Veränderungen in ihrer Kreditvergabe und ihrer Projektpraxis stattgefunden haben. Es wird also Zeit, dass die Bank ihre Versprechungen endlich einlöst.
1) Action Aid International (2006): What progress? A shadow review of World Bank Conditionality, September 2006; Report prepared for the Norwegian Ministry of Foreign Affairs, November 2006; Oxfam (2006): Kicking the Habit: How the World Bank and the IMF are still addicted to attaching economic policy conditions to aid.
2) Zu einer ausführlichen Analyse der Konditionalitätenpolitik von IWF und Weltbank siehe Setton, Daniela (2006): Vom Washington Konsens zum Genfer Konsens, Strukturanpassung in neuem Gewand, in: VENRO (Hrsg.), Welche Entwicklungszusammenarbeit braucht die Entwicklungszusammenarbeit? Dezember 2006.
Daniela Setton ist Politologin und Mitarbeiterin bei der NGO (WEED) in Berlin. Dort ist sie für die Themenbereiche Internationale Finanzinstitutionen, Energie- und Klimapolitik zuständig, zu denen sie in internationalen und nationalen Netzwerken