Unbequeme Kinder der Globalisierung

Von Knut Henkel · · 2004/12

Der Rock Mestizo ist die musikalische Hochzeit zwischen Lateinamerika und der Alten Welt. Ein ganzer Sack unterschiedlicher Musikstile wird miteinander verwoben. Die Bands artikulieren sich sehr politisch – gegen die sozialen Folgen der Globalisierung.

Señor Judas“ ist ein Song, an den sich Amparo Sánchez gerne erinnert. Bilder vom Zócalo, dem Hauptplatz von Mexiko-Stadt, von Los de Abajo und den Zapatisten steigen dann in der Bandleaderin von Amparanoia auf. Auf dem zentralen Platz der mexikanischen Hauptstadt stand Amparo während des „Radical Mestizo“-Festivals im April letzten Jahres auf der Bühne. Das Festival war eine Art Familientreffen, denn neben zahlreichen mexikanischen Bands waren auch MusikerInnen aus Barcelona, wie Ojos de Brujo und Dusminguet, mit von der Partie.
Der Kontakt nach Mexiko ist der Sängerin von Amparanoia wichtig – auch weil sie große Stücke auf die Zapatisten hält. „Das ist eine notwendige Bewegung, die das Antlitz der Gesellschaft verändern will und dafür konkrete Vorschläge liefert“, sagt die 32-Jährige mit den kurzen, punkig toupierten Haaren. Die in Granada geborene Spanierin macht auch in ihren Texten keinen Hehl aus ihrer Sympathie für die Bewegung und kritisiert die sozialen Verhältnisse Mexikos genauso wie die in ihrem Heimatland, etwa die rigiden Einwanderungsgesetze Spaniens.
Texte über die immer weiter auseinander driftende Schere zwischen Arm und Reich und den damit einhergehenden sozialen Verfall sind eines der beiden zentralen Kennzeichen des „Rock Mestizo“. Das andere ist die Vermischung lateinamerikanischer und internationaler Musikstile zu einem neuen, eigenwilligen Sound.

Der Begriff Rock Mestizo ist nicht viel mehr als ein Etikett, um vor allem spanische und lateinamerikanische Bands einzuordnen, deren Musik in keine der vertrauten Schubladen passt.
Auch La Vela Puerca gehört dazu. Die Band aus Uruguay hat in diesem Jahr auf gleich zwei Tourneen ihre Visitenkarte in Europa abgegeben. Die acht Jungs aus Montevideo entspannen bei Reggae, lieben The Clash und verehren Mano Negra. Und so in etwa klingt die Band auch, die in Uruguay und Argentinien längst Kultstatus genießt. Ihren deftigen Eintopf aus Ska, Reggae und Punk servieren sie mit einem anständigen Spritzer Salsa und Murga. Konzerte vor 5.000 und mehr Fans sind diesseits und jenseits des Río de la Plata normal und ermöglichen es der Band, von ihrer Musik zu leben. Für Sebastián Teysera, Sänger und Songwriter der Band, ein Privileg angesichts der sozialen Misere in seinem Heimatland.
Mit dieser Einstellung haben Teysera und Co. den Nerv einer ganzen Generation getroffen. „Die zwei, drei Stunden vor der Bühne sind für die meisten Fans ein kurzer Urlaub vom beschissenen Alltag“, analysiert Sängerkollege Sebastián Cebreiro, dessen Vater in der Diktatur politischer Gefangener war.

Als Geburtshelfer der Politisierung in der alternativen Musikszene des Kontinents gelten Mano Negra, die 1992 mit ihrem damaligen Bandleader Manu Chao durch Lateinamerika tourten. Bands wie La Vela Puerca, Karamelo Santo oder Panteón Rococó sind im Anschluss an die legendäre Tour entstanden und haben alternative Netzwerke aufgebaut. Über die läuft oft auch der Vertrieb der Musik.
Das war bei Los de Abajo so, weil kein mexikanisches Label sich an der Band mit den radikalen Texten die Finger verbrennen wollte. Lange Jahre gab es nur Tapes des zwölfköpfigen Orchesters, das die politische und ökonomische Realität des Landes kommentiert.
Karamelo Santo aus Argentinien vertreiben ihre bislang drei CDs nach wie vor über ein Netzwerk von befreundeten Bands und kleinen Agenturen. Die siebenköpfige Kapelle um Songwriter Ogalde Gluzman ist zu einhundert Prozent unabhängig. Im eigenen Studio wird produziert – nicht nur die eigenen Scheiben, sondern auch die anderer Independent-Bands aus der Mestizo-Szene.

Die Freundschaft zwischen Manu Chao und der Gruppe aus Buenos Aires wird gepflegt; auf der aktuellen CD von Karamelo Santo („Los Guachos“) ist der Superstar aus Barcelona bei zwei Stücken zu hören. In Argentinien wurde das exzellente Album von MTV und dem lokalen Rolling Stone ausgezeichnet, und mit der Scheibe könnte der Band auch international der Durchbruch glücken. Die zweimonatige Europatournee heuer im Sommer war bereits ein voller Erfolg. Die erste Visite in der Alten Welt, ein Jahr zuvor, wäre ohne die Einladung zu einem Festival in Toulouse vom Freund aus Barcelona nicht zu finanzieren gewesen. „Für uns war Manu Chao die Eintrittskarte auf den internationalen Markt“, so Pedro Rosafa, Percussionist der 1993 gegründeten Band.
Songwriter Gluzman alias Goy mit seinen schulterlangen Dreadlocks legt auf Unabhängigkeit besonderen Wert. Er weiß von vielen Bands, die Knall auf Fall vom Label vor die Tür gesetzt werden. Eigene Strukturen sind eine Alternative – auch wenn es lange gedauert hat, bis Karamelo Santo ihre Nische gefunden hatten. Von der können sie auch heute noch nicht leben. Mit Musikunterricht, Theaterprojekten, Straßenmusik und dem Produzieren anderer Bands halten sie sich über Wasser. Ein großes Problem sind jedoch die Raubkopien der drei CDs von Karamelo Santo, die nahezu in ganz Lateinamerika kursieren. Originale werden hingegen wesentlich weniger abgesetzt. Das liegt an der Wirtschaftskrise und am löchrigen Vertriebssystem.

Auch Panteón Rococó waren nie Megaseller. Doch mittlerweile haben sie in ihrer mexikanischen Heimat die erste goldene Schallplatte überreicht bekommen. Das soll etwas heißen in der Kinderstube der Raubkopie. Spätestens seit dem gemeinsamen Konzert mit Manu Chao auf dem Zócalo vor 150.000 Menschen genießt die Band Kultstatus. Die elf MusikerInnen , die als beste Liveband Mexikos gelten, tragen ihre politische Message auch in den Süden der USA und nach Europa. Die ersten Gigs in Übersee mussten die bekennenden Zapatisten sich allerdings noch von linken Organisationen sponsern lassen. Das ist mittlerweile jedoch nicht mehr nötig, denn auch der kommerzielle Durchbruch ist der Band, die für die Rechte der indigenen Minderheit Mexikos eintritt, mittlerweile gelungen.
Das gilt auch für Amparanoia, die zu EMI wechselte, einem der Großen der Branche. Auch Vela Puerca oder die spanische Arbeiterband Ska-P mit ihrem druckvollem angepunkten Ska-Sound sind bei einem Label untergekommen. Befürchtungen von Fans und Freunden, das damit inhaltliche wie musikalische Änderungen programmiert seien, haben sich bisher nicht bewahrheitet.
Musikalisch ist bei den meisten Mestizo-Bands der Wandel Programm. Bestes Beispiel dafür ist Amparo Sánchez, die mit einer Fülle von Genres jongliert und davon träumt, endlich auf Entdeckungsreise nach Brasilien gehen zu können. Ihr aktuelles Album „Enchilao“ ist ein Ausflug in die Electro-Sphäre. Bei dem ist der musikalische wie politische Backgrund der Sängerin, die in Spanien als weibliches Pendant von Manu Chao gehypt wird, jedoch nicht zu überhören. Vielleicht liegt das daran, dass die Bands des Genres in ihren sozialen Zusammenhängen fest verwurzelt sind. Das Leben im Barrio, dem Stadtviertel, und die sozialen Bewegungen sind die wichtigsten Inspirationsquellen. Und denen bleibt man treu.

Knut Henkel ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Publizist und Journalist. Arbeitsschwerpunkte sind: Entwicklungspolitik im lateinamerikanischen Kontext, internationale Konventionen und ihre Auswirkungen auf den Handel, Menschenrechte.

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