Der Klimawandel ist auch in Mexiko spürbar. Die Bauern und Bäuerinnen im ganzen Land klagen über weniger Niederschläge und Probleme beim Zugang zu Wasser – Lluvia Sólida, ein wasserspeicherndes Polymer, entwickelt von einem mexikanischen Chemiker, hilft gegen die Trockenheit.
"Rancho Los Leones“ steht auf dem Schild am Straßenrand. „Hier ist es“ sagt Sergio Rico, greift ins Lenkrad seiner geländegängigen Wagens und biegt auf die Schotterpiste ab, die zu einer Ferienanlage führt. Daneben, durch eine Reihe von Bäumen getrennt, befindet sich ein stattliches Maisfeld, auf dem sich die elastischen Halme wiegen. Knapp zwei Meter sind sie hoch und tragen bereits stattliche Kolben. „Fünf bis sechs Wochen sind es noch bis zur Ernte“, erklärt Agraringenieur Everardo Lovera Gómez. Er ist Präsident der Vereinigung der Maisbauern im Bundesstaat Mexiko, der die mexikanische Hauptstadt umschließt und sie mit Lebensmitteln wie Mais, Bohnen und Kürbis versorgt.
Die drei Grundnahrungsmittel Mexikos werden auch auf den Feldern rund um Atlacomulco angebaut. Dort hat die Bauernorganisation ihren Sitz, und dort gab es in den letzten Jahren immer wieder trockene Jahre. So war es auch im letzten Frühjahr, und deshalb wurde der Mais erst im Mai statt im März ausgesät. In trockenem Boden keimen die dicken Maiskörner eben nicht. „In Zukunft wird das allerdings anders sein“, ist sich Sergio Rico sicher. Der Industriechemiker hat vor rund zehn Jahren ein Granulat entwickelt, welches die Probleme vieler Bäuerinnen und Bauern in Dürreregionen lösen könnte. Lluvia Sólida, so viel wie fester Regen, heißt es und die Erfahrungen der Bäuerinnen und Bauern, die mit dem wasserspeichernden Granulat arbeiteten, sind positiv.
„Die Bauern verzeichnen beachtliche Zuwächse bei den Erträgen, größere Wurzelballen und kein Absterben der Kulturpflanzen in längeren Dürreperioden“, sagt der 72-jährige Chemiker. Vor 17 Jahren hat er begonnen, sich mit Polymeren zu beschäftigen. Diese speichern Wasser und kommen in Windeln, Taschentüchern und Binden zum Einsatz. Auch für die Landwirtschaft könnten sie eine Option sein, in ariden Regionen oder in Anbaugebieten, wo der Regen zwischenzeitlich ausbleibt.
In Mexiko ist das in vielen Regionen der Fall. So zum Beispiel auf der Halbinsel Yucatán. Dort hat Guillermo Valis einer Kleinbauerngenossenschaft bei der Anlage von Zitrusplantagen geholfen. „Wir haben über die Welternährungsorganisation FAO Kredite für den Kauf von Lluvia Sólida erhalten und die Ernteerträge bei Limonen haben sich verdrei- bis vervierfacht“, so der Wasser- und Agrarberater. Er vertreibt Lluvia Sólida in der Region von Yucatán, im benachbarten Veracruz ist Joel Robles Galiana dafür zuständig. Schrittweise nimmt das Vertriebsnetz von Sergio Rico so Form an, denn Rico hat kein Geld für Marketing. Seitens der mexikanischen Regierung gibt es bisher kein Interesse für sein Produkt. Dieses wurde bereits zweimal für den Preis des Internationalen Wasserinstituts (SIWI) in Stockholm prämiert und für 2014 steht Lluvia Sólida wieder auf der Nominierungsliste. „Wir brauchen etwas Anschub für den Durchbruch, und der Wasserpreis wäre genau das Richtige“, erklärt Sergio Rico mit einem Seufzer.
Seit rund zehn Jahren bietet er seine wasserspeichernden Polymere nunmehr an. Die können pro Kilogramm fünfhundert Liter Wasser speichern, die gleichmäßig und vollständig wieder an den Boden abgegeben werden, wenn keine Niederschläge fallen. Das hat Vorteile gegenüber herkömmlicher Bewässerungstechnik, denn es muss nicht in Pumpen, Schläuche, Strom und andere Ausrüstung investiert werden. Allerdings sind die an Zuckerkristalle erinnernden Polymere, die in Säcken á 25 Kilogramm angeboten werden, auch nicht billig. Das in einer Fabrik im US-Bundesstaat North Dakota aus Altöl hergestellte Produkt kostet 7.500 Pesos (umgerechnet 420 Euro) pro 25 Kilogramm-Sack, der für die Fläche von einem Hektar ausreicht.
„Das hängt auch von der Bodenbeschaffenheit ab“, erklärt Rico und deutet auf das Versuchsfeld, aus dem Everardo Lovera Gómez gerade mit mehreren Maiskolben tritt. „Sechs Wochen dauert es noch bis zur Ernte, aber ich kann kaum Unterschiede feststellen, weil wir nach der Aussaat viele Niederschläge hatten“, erklärt der Agrartechniker mit einem entschuldigenden Schulterzucken. Genaueres werden erst die WissenschaftlerInnen von der Agraruniversität INIFAP herausfinden, die Pflanzen, Kolben und Wurzeln untersuchen werden, um endlich stichhaltige Fakten zur Funktionsweise von Lluvia Sólida liefern zu können. „Wir brauchen wissenschaftliche Studien, um staatliche Institutionen, Nichtregierungsorganisationen und Bauern von Lluvia Sólida zu überzeugen“, so Sergio Rico.
Im Ausland wird ihm deutlich weniger Skepsis entgegengebracht als in Mexiko. Im Februar wird er nach Russland reisen, wo das Landwirtschaftsministerium ein Versuchsprogramm auf 2.000 Hektar Fläche begonnen hat. Davon kann Rico in Mexiko nur träumen, obwohl der Klimawandel sich längst in verspäteten und sinkenden Niederschlägen bemerkbar macht und ganze Regionen unter Dürre leiden. In Jalisco, dem im Westen an der Pazifikküste liegenden Bundestaat, hat die Umweltschutzorganisation Aipromades Lluvia Sólida eingesetzt und so nicht nur erhebliche Mengen an Wasser beim Maisanbau eingespart, sondern auch die Erträge erhöht. Nach acht bis zehn Jahren verlieren die Polymere ihre speichernde Wirkung und lösen sich im Boden auf, so Rico. Genau das muss aber ebenfalls noch im Detail untersucht und nachgewiesen werden, weshalb die Studien der INIFAP so wichtig für Rico sind. Deshalb beteiligt sich der Industriechemiker an den Kosten, denn nach zehn Jahren ist es, wenn es nach ihm geht, endlich Zeit, dass Lluvia Sólida den Durchbruch schafft. „Das Potenzial hat mein Polymer. Das hat auch das Internationale Wasserinstitut bestätigt“, sagt Rico und blickt nachdenklich über das wogende Maisfeld.
Der Autor ist Politikwissenschaftler und freiberuflicher Journalist mit Schwerpunkt Entwicklungspolitik und lebt in Hamburg. Im Oktober war er auf Recherchereise in Mexiko.
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