Immer mehr Menschen in Österreich kaufen fair gehandelte Produkte. Selbst die großen Handelsketten und Diskonter stellen zumindest einen fairen Artikel in ihre Regale. Bevor diese dorthin kommen und damit sie dort bleiben, müssen sie einen komplexen Zertifizierungsprozess durchlaufen. Der deutsche Chefkontrollor Rüdiger Meyer erklärt, wie das funktioniert.
Fair gehandelter Kaffee hat in Österreich eine wachsende Marktnische erobert. Faire Bananen für’s Bio-Müsli werden zunehmend nachgefragt. Von Honig über Orangensaft bis zur Schokolade kann man einen Haushalt guten Gewissens mit all jenen Produkten ausstatten, die noch vor 40 Jahren als Kolonialwaren gehandelt wurden. Fair Trade Österreich freut sich über 66% Umsatzsteigerung im ersten Halbjahr 2006. Im Oktober stieg sogar der Diskonter Hofer mit fairem Kaffee ein. Konsumentinnen und Konsumenten wählen bewusst etwas teurere Waren, bei denen sie davon ausgehen können, dass die Produzenten fair bezahlt werden.
Können sie das? „Sie können“, versichert Rüdiger Meyer, Chefkontrollor des Zertifizierungssystems der Fairtrade Labelling Organizations International, kurz FLO, verantwortlich für das Zertifizierungsverfahren in allen Ländern, wo fair gehandelte Produkte herkommen. Denn FLO, mit Sitz in Bonn, das 1997 von 14 nationalen Siegelinitiativen gegründet wurde, hat ein System entwickelt, das sich um größtmögliche Transparenz bemüht. Heute sind 20 Initiativen dabei, darunter natürlich Fairtrade Österreich. Vor drei Jahren entstand dann die Zertifizierungsorganisation FLO-Cert GmbH. „Denn es war wichtig, dem Label Glaubwürdigkeit zu verschaffen“, erzählt Meyer. Diese Unabhängigkeit wurde diesen Oktober erstmals von einer externen Auditing-Organisation, der Deutschen Akkreditier- und Prüfstelle DAP, überprüft.
Mit ihren Zertifizierungsstrukturen betritt die FLO Neuland. Sie orientiert sich dabei sehr stark am Modell der Biozertifizierung und deren Norm für Qualitätsmanagement. Drei Werte, so Rüdiger Meyer, stünden im Vordergrund: Transparenz, Unabhängigkeit und Konsistenz.
Wie läuft das Verfahren ab? Nehmen wir an, eine mexikanische Kleinbauerngenossenschaft will ihren Kaffee zertifizieren lassen, so stellt sie einmal einen formlosen Antrag. Bei FLO-Cert fragt man sich: „Haben wir dafür einen Standard?“ Für lateinamerikanische Genossenschaften ist das sicher der Fall. Dann folgt eine Stammdatenerhebung, das heißt, es ist ein Formular auszufüllen. Die Satzung und andere relevante Dokumente müssen beigelegt werden. Nach einer ersten Überprüfung wird eine Inspektion vor Ort angesetzt.
Der Inspektor wird mit einem standardisierten Fragebogen vorstellig. Für jeden Standard gibt es einen Indikator. So können etwa demokratische Strukturen dadurch belegt werden, dass regelmäßig Hauptversammlungen stattfinden. Wenn diese auch durch Protokolle dokumentiert sind, hat der Kandidat keine schlechten Karten. Werden aber auch Mitglieder, die nicht teilnehmen, über die Diskussionen und Entscheidungen informiert? Das kann mittels Interviews mit einzelnen Mitgliedern und Fokusgruppen überprüft werden. „Jeder Fakt wird mehrfach überprüft“, sagt Rüdiger Meyer, „insgesamt gibt es 480 Kontrollpunkte“. Dazu ist noch ein Kommentarfeld mit so genannten weichen Daten auszufüllen, also mit Beobachtungen, die nicht durch harte Fakten belegt werden können.
Der Bericht des Inspektors oder der Inspektorin geht dann an den/die Evaluator/in. Diese Person macht die Qualitätskontrolle, überprüft also, ob der Bericht vollständig und schlüssig ist. Wenn alles passt, geht ein Zertifizierungsvorschlag an den Certifier, in schwierigen Fällen an ein Certifier Committee.
„Alles ist transparent und nachvollziehbar“, versichert Meyer: „Unsere Kunden bekommen dann einen Berg von Dokumenten. Die hassen das.“
FLO-Cert gebietet über ein Netzwerk von 72 InspektorInnen weltweit. Das sind meist Einheimische oder lang ansässige Leute, die die lokalen Sprachen beherrschen, die Kulturen und Rechtssysteme kennen. Sie werden ausgebildet und selbst einer Qualitätskontrolle unterzogen. Durchschnittlich werden sie 70 Arbeitstage pro Jahr eingesetzt, sind also nicht fest angestellt, sondern freie KonsulentInnen.
Im Regelfall wird jeder Betrieb einmal jährlich überprüft. Die Kosten werden von diesen getragen. Früher zahlten die westlichen Fairtrade-Initiativen. „Dieses neue System garantiert aber unsere Unabhängigkeit“, versichert Meyer. Die meisten Produzentenvereinigungen können das auch bezahlen. Es handelt sich um rund vier Prozent des „Fairtrade Benefits“, das ist der Unterschied zwischen dem niedrigen Marktpreis und dem Fairtrade-Preis. Dazu kommen dann noch Prämien. Wenn einer wirklich nicht zahlen kann, schießt ein Solidaritätsfonds 75% der Kosten zu.
Dass ein Betrieb die Zertifizierung verliert, komme äußerst selten vor, versichert Rüdiger Meyer. Zuletzt lag die Drop-out-Rate unter 1%. Wenn die jährliche Inspektion Mängel feststellt, wird eine Nachfrist gesetzt und in der Regel kann der Missstand behoben werden. Es geht ja um keine unerfüllbaren Vorgaben, sondern um eigentlich selbstverständliche Regeln. Trotzdem ist es in vielen Ländern noch so, dass das Zahlen von Mindestlöhnen und die Gleichbehandlung von Frauen nur funktionieren, wenn es dafür eine Belohnung gibt.
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