Rosanna ist Mosambikanerin. Sie träumte von einer Arbeit und einem leichteren Leben im Nachbarland Südafrika. „Als ich dann einen Mann traf, der mir dabei helfen wollte, überlegte ich nicht lange.“ Doch das verlockende Angebot führte direkt in ein südafrikanisches Bordell, wo die 16-Jährige zur Prostitution gezwungen wurde. Als man Rosanna befreite, war sie schwanger und mit dem HI-Virus infiziert.
Odiles Nächte haben höchstens fünf Stunden. Frühmorgens steht sie auf, um Wasser zu holen, den Hof zu fegen, die Mahlzeiten vorzubereiten. Die 14-Jährige versorgt die Kinder, putzt, wäscht und erledigt die Einkäufe für ihre Arbeitgeber. Deren Essensreste bilden ihre tägliche Mahlzeit. Ist die Hausherrin unzufrieden, wird die Ration gekürzt, Schläge sind an der Tagesordnung. „Bonne“ werden die jungen Hausmädchen in Burkina Faso genannt – eine, die für alles gut ist.
Weltweit führen Millionen Kinder und Jugendliche das Leben moderner SklavInnen – in Bordellen und Haushalten, als Schuldknechte und ZwangsarbeiterInnen. Nicht mehr angekettet, aber doch häufig genug eingesperrt und behandelt wie ein Besitz, Gewalt und Willkür ausgesetzt mit dem Ziel, größtmöglichen Nutzen aus ihrer Hilflosigkeit zu ziehen.
Wie hoch ihre Zahl ist, dazu variieren die Schätzungen, je nach dem, von welchen Phänomenen gesprochen wird. In ihrem Bericht „A global alliance against forced labour“ nennt die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) 2005 die Zahl von zwölf Millionen Menschen in Zwangsarbeit, etwa die Hälfte davon Kinder.
Eine umfassendere Beschreibung enthält die ILO-Konvention 182 gegen die schlimmsten Formen der Kinderarbeit. Darunter fallen Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken wie die Schuldknechtschaft, der erzwungene Einsatz von Kindern als Soldaten, als Prostituierte, als Drogenkuriere. Erfasst ist in dieser Auflistung außerdem der Handel mit Kindern mit jährlich mehr als einer Million Opfer.
Insgesamt sind nach Angaben der ILO fast 130 Millionen Jungen und Mädchen in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen gefangen. Sie werden nicht nur um ihre Kindheit, sondern um jegliche Zukunftsperspektive gebracht. Ohne Ausbildung bleiben sie arm, wie auch die Familien, die sie gründen werden – ein ewiger Kreislauf.
Armut zieht sich wie ein roter Faden durch das Problem der ausbeuterischen Kinderarbeit. Gerade hier sind die Grenzen zu Sklaverei und Zwangsarbeit häufig unscharf. Armut allein greift als Erklärung jedoch zu kurz. Politische, kulturelle und wirtschaftliche Faktoren wirken zusammen, verschärfen die Lebenssituation und begünstigen Ausbeutung: Beispielsweise sind Angehörige ethnischer Minderheiten, Flüchtlinge, aber auch einfach Mädchen in vielen Gesellschaften Diskriminierungen ausgesetzt. Ihre schwache Position zwingt sie, jede Art von Arbeit anzunehmen.
Oftmals ist die Ausbeutung von Kindern eng mit den Anforderungen der globalen Märkte verbunden. So etwa im Fall der Eisenerzminen im indischen Bundesstaat Karnataka. In China, Australien oder Korea warten Abnehmer begierig auf den kostbaren Rohstoff, denn nicht zuletzt dank minimaler Lohnkosten sind die Preise niedrig. Rund 35 Rupien (etwa 60 Cent) erhalten Sechsjährige dafür, dass sie sechs bis acht Stunden pro Tag Steine in kleine Stücke klopfen und zur Sammelstation tragen – die Hälfte von dem, was Erwachsene verdienen.
In Lateinamerika wiederum bringen sinkende Weltmarktpreise für landwirtschaftliche Erzeugnisse Kleinbauernfamilien in Existenznöte. Nur mit Hilfe von Kindern kann das karge Einkommen gesichert werden.
Dass Kinder vor Ausbeutung zu schützen sind, ist längst unstrittig und in zwei internationalen Vertragswerken festgeschrieben: Neben der ILO-Konvention 182 ist dies die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, die bis auf die USA alle Staaten der Welt unterzeichnet haben. Angesichts der vielschichtigen Situation gibt es allerdings keine Patentrezepte, vielmehr müssen die Gegenmaßnahmen den unterschiedlichen Lebensumständen angepasst sein.
Das beginnt bereits damit, Kinderarbeit nicht grundsätzlich zu verbieten: Denn Arbeit ist nicht automatisch Ausbeutung und Ausbeutung nicht gleichbedeutend mit Sklaverei. In vielen Ländern ist die Mitarbeit von Kindern nicht nur selbstverständlich und notwendig, Kinder wollen sogar dazu beitragen, die Familie zu unterstützen, wie etwa die Bewegung arbeitender Kinder Manthoc in Peru betont. Sie fordert ein „Recht auf Arbeit“. Verbote würden Kinder in die Illegalität und damit in besonders prekäre Arbeitsverhältnisse zwingen. Praxisnäher sind Unterrichtsangebote, die den Arbeitszeiten der Kinder angepasst sind oder Unterstützung für arbeitende Kinder, ihre Interessen geltend zu machen.
Null Toleranz muss hingegen für alle Formen ausbeuterischer Verhältnisse gelten. Dabei reicht es jedoch nicht, KindersklavInnen aus Fabriken oder von Plantagen zu befreien – sie, wie auch ihre Familien, brauchen Alternativen: Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche sowie Chancen, auf menschenwürdige Weise einen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Kleinkredite für Mütter führen beispielsweise in Westafrika tausendfach zu einem kleinen Einkommen, das nicht nur die Familie ernährt, sondern auch den Schulbesuch der Kinder ermöglicht.
Global agierenden Handelsunternehmen kommt eine wichtige Rolle zu: Sie haben die Möglichkeit, Zulieferfirmen auf die Einhaltung grundlegender Menschen- und Arbeitsrechte zu verpflichten und Verhaltenskodexe umzusetzen.
Ein positives Beispiel der sinnvollen Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd ist die Bewegung des Fairen Handels.
Um jedoch die Rahmenbedingungen für den Kinderschutz zu verbessern, sind Regierungen in der Pflicht: Sie müssen für die gesetzlichen Grundlagen und ihre Anwendung sorgen. Doch noch immer vernachlässigen Staaten ihre Bildungssysteme, mehr als 100 Millionen Kinder weltweit besuchen nicht einmal die Grundschule. Der wachsende Druck von Organisationen und der Zivilgesellschaft zeigt indes Wirkung, so etwa im Fall der Teppichproduktion in Südasien, wo die Zahl der KinderarbeiterInnen um 90 Prozent zurückgegangen ist. Bis zur Abschaffung sklavenähnlicher Kinderarbeit ist es jedoch noch ein langer Weg.
Lesetipp: Clauda Berker u.a. (Hrsg.):
„Getäuscht, verkauft, missbraucht“. Reportagen und Hintergründe zum weltweiten Kinderhandel, Rotpunktverlag, Zürich 2003, Euro 20,40