In Touba, Zentrum der islamischen Bruderschaft der Muriden, wächst nicht nur deren religiöse, politische und wirtschaftliche Macht. Fast unbemerkt hat sich das Kalifat zur zweitgrößten Stadt von Senegal gemausert.
Schwarz, süß und mit einer Prise Chili gewürzt – der „Café Touba“ verkauft sich gut in den kleinen Buden am Straßenrand. Schließlich trinke ihn auch Cheikh Salihou MBacké, der regierende Kalif von Touba, gerne, erklärt ein junger Mann. „Und er baut ihn an und verkauft ihn, denn er ist wirtschaftlich sehr geschickt“, fügt er lächelnd hinzu. Cheikh Salihou MBacké ist niemand Geringerer als der letzte lebende Sohn von Amadou Bamba, das zweitjüngste von 55 Kindern des Begründers der mächtigen Bruderschaft der Muriden. Obwohl seit 80 Jahren tot, begegnet sein Vater, der hoch verehrte „Heilige Mann von Touba“, Senegal-Reisenden überall: Hausmauern und Busse ziert das Porträt des Amadou Bamba ebenso wie Marktstände und Wohnräume. Sein Grab liegt in der Moschee im Zentrum von Touba, die er Ende des 19. Jahrhunderts begründet hat. Das imposante Gebäude ist das größte islamische Gotteshaus Westafrikas, und jedes Jahr im Oktober begehen hunderttausende Muriden – Männer und Frauen – aus aller Welt zu Ehren Bambas den „Grand Magal“, die Wallfahrt nach Touba.
„Amadou Bamba ist von Allah zu den Schwarzen gesandt worden, Mohammed zu den Weißen“, erklärt der Moschee-Führer die sogar den Propheten überragende Bedeutung des Mystikers. Diese ist zwar auf Senegal und Auswanderergemeinden in den USA und Europa beschränkt, hier dafür umso konzentrierter: Mit drei Millionen AnhängerInnen bei einer Bevölkerung von elf Millionen ist die Muridiya die größte der islamischen Bruderschaften im Land.
Der Führer geleitet durch imposante Hallen, vorbei an der prunkvollen Grabmoschee Bambas und den monumentalen Sarkophagen seiner Söhne. Hie und da bröckelt das Mauerwerk. „Kein Problem“, sagt der ganz in Weiß Gewandete, demnächst werde mit einer Generalsanierung begonnen. „Geld ist genug da“, verweist er auf die Spenden der Gläubigen.
Tatsächlich teilen die Muriden die Überzeugung, dass sie durch Geldgeschenke an ihre religiösen Führer, die Marabuts, und an den Kalifen die Erlösung im Jenseits erlangen können. Schon Amadou Bamba verstand es, seine AnhängerInnen für sich arbeiten zu lassen. Während sie Erdnüsse anbauten und die Erlöse ablieferten, kümmerten sich die religiösen Führer um ihr Seelenheil – und die Vertretung ihrer politischen Interessen. Keine senegalesische Regierung überlebt ohne den Segen des Kalifen. Das wusste schon Staatsgründer Leopold Sedar Senghor, ein Christ übrigens, und bis heute führt der erste Weg eines neu gewählten Staatspräsidenten stets nach Touba. Als im Frühjahr 2007 die Wiederwahl des derzeitigen Präsidenten Abdoulaye Wade anstand, betonte er, er würde gleich nach der Wahl zu Cheikh Salihou MBacké pilgern, der für ihn gebetet habe. Die WählerInnen verstanden den Wink: Wider alle Prognosen erreichte der über 80-Jährige bereits im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit.
Die politische Macht ist eine Folge des wirtschaftlichen Einflusses. Durch geschickte Investitionen der Geldspenden ihrer AnhängerInnen ist die Muridiya heute federführend in vielen Branchen, vor allem im Handel und im Transportwesen. Fast alle Busse fahren unter dem Portrait von Amadou Bamba – und sind damit vor willkürlichen Polizeiabgaben ebenso geschützt wie die Verkaufsstände, die sich mit dem Foto des Heiligen schmücken. Kein zu unterschätzender Vorteil in einem Land, in dem die Korruption schon so manches kleine Unternehmen in den Ruin getrieben hat.
Vor den Toren Toubas, aus dem Arabischen übersetzt „die Glückliche“, ist aber sowieso Schluss mit staatlichen Autoritäten. 150 Kilometer östlich der Zweieineinhalb-Millionen-Hauptstadt Dakar ist ein Machtzentrum entstanden, das sich jeglicher weltlichen Kontrolle entzieht. Hier regiert allein der Kalif, es gibt keine Polizei und auch Steuern müssen nicht bezahlt werden. Unter dem religiösen Deckmantel sei die Stadt zu einem Biotop für Schmuggel, Waffen- und Drogenhandel und andere illegale Aktivitäten geworden, prangern KritikerInnen an. Andererseits funktioniert ein soziales Netzwerk wie sonst kaum wo: Landparzellen werden an die Gläubigen umsonst vergeben, sie werden von ihren Marabuts untergebracht, im Notfall auch verpflegt und gekleidet. Touba wächst, und das mit einem Bevölkerungsanstieg von jährlich 15 Prozent. Fast unbemerkt hat sich die Hochburg der Muriden in den letzten zwei Jahrzehnten mit – nach unterschiedlichen Quellen – 300.000 bis einer Million EinwohnerInnen zum zweitgrößten Ballungszentrum Senegals entwickelt.
Eva Reithofer-Haidacher ist Redakteurin der steirischen Straßenzeitung Megaphon und war vor kurzem in Senegal.