Töne im Global Village

Von Albert Hosp · · 1999/04

Kann die sogenannte Weltmusik Grenzen überschreiten und Sehnsucht nach Freiheit und Weite stillen? Anmerkungen zu einer seltsamen Musikform, die kaum einen Stil ausläßt, von Albert Hosp.

Weltmusik – geben wir’s doch zu: Irgendwie ist dieser Begriff nicht gerade heiß, da geht nicht wirklich die Post ab, das klingt nach Räucherstäbchen

und Sonntagvormittag-Workshop. Trotzdem: Als Begriff hat er sich nun

eingebürgert (auch für unseren monatlichen Tip in diesem Magazin wird er ja verwendet.)

Wie wär’s damit: Global Beat / World Beat / oder eben: World Music. Der

Worte sind viel, allein, es fehlt der Sinn…

Hier drei Statements, aufgeschnappt bei der WOMEX ’95 (= World Music Expo, eine jährlich stattfindende Weltmusikmesse) in Brüssel.

Ann McKeigann, Canadian Broadcasting Corporation: „Ein Begriff, der Grenzen abbaut, der Barrieren niederreißt“.

Zum Beispiel: Im Jahr 1990 schickten britische Musiker eine Flaschenpost

um die Welt: ein einfaches Modell, eine „basic groove“, eine Art

musikalische Schablone. Auf dieser Grundlage sollten die Empfänger der

Flaschenpost – Musiker aus allen Kontinenten“ – etwas in ihrer heimatlichen

Tradition fortspinnen. Das Projekt hieß „One World – One Voice“, wurde

verfilmt und in sämtlichen Heimatländern der Musiker gezeigt. Etwa eine

Milliarde Menschen sahen „One World One Voice“ und hörten die Botschaft, die am Beginn von Film und gleichnamiger CD von einer sonoren Männerstimme verkündet wird „All Things Are Connected“.

Alle Dinge sind miteinander verbunden? Zum Beispiel: steirischer Jodler mit afrikanischem Xylophon (Broadlahn, „Radljodler“), oder: Balkantruppe spielt Wienerlied (Wiener Tschuschenkapelle), oder: australisches Didgeridoo mit Klarinette (Duo Transcult). Absichtlich habe ich hier drei österreichische

Ensembles erwähnt, weil es in der World Music gar nicht darauf ankommt, ob

Musiker aus bestimmten Richtungen miteinander spielen.

In den meisten Fällen sind es Instrumente bzw. Stile, die verbunden werden – oder konfrontiert…

Ian Anderson, Herausgeber des britischen Magazins „Folk Roots“:

„Ein Begriff, der die wenigsten Stile ausläßt und die wenigsten Leute

unglücklich macht“.

Zum Beispiel: Im Jahr 1990 hatte der Berliner Musikjournalist Johannes

Theurer eine gute Idee: Kollegen aus ganz Europa sollten ihm monatlich ihre

persönliche Top-Ten-Liste von World-Music-Neuerscheinungen schicken.

Theurer fertigte daraus die „World Music Charts Europe“, eine nicht nach

Verkaufszahlen, sondern nach persönlichen Kriterien erstellte

„Weltmusik-Hitparade“ (schon wieder so ein deutsches Bieder-Wort…).

Heute beteiligen sich daran über 50 DJs und ModeratorInnen. Die Charts werden in Zeitungen, Plattengeschäften und natürlich Radioprogrammen veröffentlicht.

Ein Blick auf die Top Ten im Februar ’99 zeigt, wie viele Musikformen als

World Music bezeichnet werden: Ziemlich kommerzielle Salsa aus Kuba findet

sich ebenso wie eine ziemlich politisch korrekte Kompilation von Exilmusik

aus der West-Sahara. In früheren Top-Ten-Listen finden sich rumänische Roma-Gruppen, finnische Tango-Ensembles und historische Klezmeraufnahmen.

Also wirklich ein Begriff, der wenige Stile ausläßt – anders formuliert: Was

nirgendwo anders hineinpaßt, wird in die World-Music-Ecke gestellt.

Ähnliche Gedanken könnten in den achtziger Jahren zum Begriff „World Music“ geführt haben, als einige Londoner Plattenverkäufer eine geeignete Schublade für ihre afrikanischen und lateinamerikanischen Produkte suchten.

Im Zusammenhang der Verbindung von „ethnischen“ Stilen und der Avantgarde fiel der Begriff „Weltmusik“ in den sechziger Jahren, als Komponisten von ihren seriellen und freitonalen Wegen in Richtung asiatische, vor allem indische Klangfarben abzweigten.

Zur selben Zeit erklangen auch in der Pop Musik indische Instrumente: etwa der Sitar, gespielt von George Harrison („Norwegian Wood“!). Die Namen David Byrne (der ein eigenes Label mit „Cuba“ und „Brazil Classics“ einrichtete) und Paul Simon („Graceland“ – Südafrika / „Rhythm Of The Saints“ – Brasilien) stehen für die andauernde Beschäftigung kommerziell erfolgreicher Musiker mit World-Music-Elementen.

Marianne Berna, DRS Zürich: „World Music ist Ausdruck einer Sehnsucht“. Das trifft den Kern der Sache. Der Mensch sehnt sich nach Auswegen aus seiner technisierten, in mechanischen Abläufen gefangenen Welt, und er sucht: nach grundsätzlichen Parametern, die Freiheit und Weite symbolisieren oder suggerieren; und nach Ausdrucksformen, die sich jener Mechanik des Alltags entziehen. „Roots“ sind gefragt!

Die Beweggründe, sich mit World Music zu beschäftigen, sind also

mannigfaltig: Von der augenblicklichen Begeisterung zur Beherrschung einer

bestimmten Musikform ist es allerdings mehr als ein weiter Weg: Es sind

viele Wege, und nur einer davon heißt Musik. Die anderen Wege heißen:

Respekt vor anderen Traditionen, Bescheidenheit und das Wissen, daß die

„roots“ die man in einer anderen Kultur schlägt, viel kleiner und dünner

sind als bei den Menschen, die in dieser Kultur daheim sind.

Albert Hosp ist neben seinen aktiven musikalischen Tätigkeiten Moderator und Musikjournalist. Erlebt in Wien und Innsbruck.

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