Im ecuadorianischen Amazonasgebiet soll nun Erdöl gefördert werden – in einem Schutzgebiet mit enormer biologischer Vielfalt.
Die kanadische Erdölfirma EnCana hat bereits mit den ersten Arbeiten begonnen.
Eindrücke vor Ort von Caroline Ausserer
Plötzlich ist es still rundherum. Vögelgezwitscher und andere Tiergeräusche, die uns bislang auf unserem Fußmarsch durch den amazonischen Regenwald begleitet haben, verstummen. Wir – eine Gruppe von JournalistInnen, Umwelt-AktivistInnen und PolitikerInnen – befinden uns im Tierschutzgebiet Cuyabeno im Nordosten Ecuadors. Nach einigen Stunden Wanderns quer durch den unberührten Regenwald sind wir mit Hilfe eines einheimischen Führers endlich an jenem Ort angelangt, an dem erste Spuren der geplanten Erdölförderung auszumachen sind.
Der amazonische Regenwald umfasst insgesamt eine Fläche von 5.400.000 km2 und bedeckt etwa 130.000 km2 Ecuadors, was 48,4 Prozent der Landesfläche entspricht. Die tropische Vegetation fördert die Existenz unterschiedlicher Mikroklimas. Bekanntlich liefert die „grüne Lunge“ Amazonas einen Großteil des Sauerstoffs der Erde und ist daher enorm wichtig für das Weltklima.
Das Gebiet Cuyabeno im Nordosten Ecuadors wurde bereits im Jahr 1979 zum Tierschutzgebiet erklärt. Es umfasst 603.380 Hektar, wovon 435.500 Hektar im Jahr 1999 aufgrund der hohen Biodiversität unter dem damaligen Präsidenten Jamil Mahuad zur so genannten unberührten Zone („zona intangible“) erklärt wurden. Dies bedeutet, dass jede Art der kommerziellen Ausbeutung des Regenwalds verboten ist und dass die territorialen und kollektiven Rechte der dort ansässigen indigenen Gemeinschaften besonders geschützt sind. Nichtsdestotrotz hat die ecuadorianische Regierung bereits vor Jahren die Genehmigung zur Erdölförderung für ein 60.000 Hektar großes Gebiet erteilt, das sich zum Teil mit dem Naturschutzgebiet überschneidet.
Die kanadische Erdölfirma EnCana, ehemals Alberta Energy Company, hat bereits mit den ersten seismographischen Tests auf der Suche nach neuen Fundstätten begonnen. Wir blicken auf nackte Erdhügel an hellen Lichtungen im ansonsten düsteren Regenwald. Im 50-Meter-Abstand hat EnCana damit eine Linie quer durch das Tierschutzgebiet gezogen. Alles legal. Schließlich ist früher die Erlaubnis erteilt worden, in diesem mittlerweile geschützten Gebiet nach Erdöl zu bohren. Ein bis heute ungelöster Konflikt.
„Für uns bedeutet die bisherige Erdölpolitik Abholzung und Verschmutzung der Umwelt. Es bedeutet, die Natur umzubringen,“ beklagt Julio Gonzalez. Er ist Abgeordneter der Pachakutik-Partei. Seit den Neuwahlen im Dezember ist diese nun erstmals aufgrund einer Koalition mit der MPD-Partei (Movimiento Popular Democrático) in der Regierung vertreten. Ein Besuch des neuen Präsidenten Ecuadors, Lucio Gutiérrez, bei George W. Bush im Februar zeigte allerdings, dass die bisherige Politik beibehalten werden soll: Ausländische Investitionen für Erdöl sollen weiterhin das Problem der hohen Auslandsschulden lösen.
„Immer hieß es, Erdöl bringe Fortschritt und Reichtum. Doch das ist eine Lüge. Vor dem Beginn der Erdölförderung in Ecuador betrugen die Auslandsschulden 344 Millionen US-Dollar. Im Jahr 2000 sind sie auf 16.400 Millionen Dollar angestiegen. Dies bedeutet, dass wir uns in der Zeit des so genannten Booms um vieles mehr verschuldet haben.“ Umweltexpertin Alexandra Almeida von der Nichtregierungsorganisation Acción Ecológica plädiert daher dafür, auf andere Energieformen wie Sonnenenergie umzusteigen und die Erdölförderung einzustellen. Erdöl habe für Ecuador Armut und Umweltverschmutzung gebracht.
Seit 30 Jahren wird in Ecuador Erdöl gefördert. Mittlerweile wird in einem Gebiet von insgesamt 3,2 Millionen Hektar das „schwarze Gold“ der Erde entnommen. Darunter leidet nicht nur das Ökosystem, sondern insbesondere die Menschen, die in den Gebieten ansässig sind. So ergab eine Studie der Acción Ecológica in insgesamt 80 von der Erdölförderung betroffenen Gemeinden, dass 96 Prozent der Befragten unter Hautallergien leiden, 75 Prozent unter Atembeschwerden, 64 Prozent beklagen Verdauungsbeschwerden und 42 Prozent haben Augenprobleme. Doch damit nicht genug: In 89 der 237 befragten Familien sei mindestens ein Familienmitglied im Zusammenhang mit der Verschmutzung durch die Erdölausbeutung gestorben. Dabei treffe es fast immer die Jüngsten: die Hälfte der Verstorbenen sind Kinder unter 14 Jahren.
„Hier gibt es 14 unterschiedliche Ökozonen. In einem derartigen Gebiet nach Erdöl zu graben ist ungeheuerlich“, empört sich Almeida. Die durchgeführten Detonationen fügen dem Regenwald großen Schaden zu, denn allein eine Explosion könne bis zu 300 Fische töten, weiß die Expertin. „In einer Zone nach Erdöl zu bohren, in der es auf zwei Hektar mehr unterschiedliche Tierarten gibt als im gesamten nordamerikanischen Kontinent, ist unglaublich“, beklagt auch der Direktor des Umweltamtes in Cuyabeno, Fernando Luis Marín.
Bei der herrschenden Armut haben reiche Erdölfirmen mitunter leichtes Spiel. So kaufte EnCana den in Cuyabeno ansässigen indigenen Gemeinschaften der Siona für 340.000 Dollar deren territoriale Rechte ab. Und dies, obwohl die Siona glauben, dass menschliche Eingriffe in das innere Gleichgewicht der Erde zu Naturkatastrophen führen. Fernando Luis Marín fühlt sich an die spanische Kolonisation erinnert: „Während die Spanier damals mit Krimskrams, Spiegeln und der Bibel in der Hand das Land eroberten, erobern heute die Erdölmultis mit Schecks unser Land.“
Die Tätigkeit der Erdölgesellschaft zu stoppen stellt sich als schwierig heraus, insbesondere weil sie offiziell als legal gilt. Es wurde bereits ein Komitee zur Bewahrung des Tierschutzgebietes Cuyabeno gegründet, doch da es sich dabei um eine nationale Angelegenheit handelt, liegt die Verantwortung ganz beim Umwelt- und Energieministerium. „Uns sind die Hände gebunden. Daher fordern wir, dass die Zuständigkeit an die betroffene Gemeinde übertragen wird“, sagt Umweltdirektor Marín. Acción Ecológica habe bereits vergebens beim Umweltministerium eine Beschwerde eingereicht, berichtet Alexandra Almeida enttäuscht: „Unser Vorschlag besteht in einer strengen Kontrolle der Erdölaktivitäten, d.h. wir wollen alle Verträge mit den Erdölgesellschaften auf deren Legalität prüfen lassen und fordern, keine neuen Gebiete zur Erdölförderung freizugeben.“
Für den Abgeordneten José Gonzalez ist eine Ausbeutung der Erde auf Kosten der Umwelt inakzeptabel: „Wir werden sofort handeln und beim Nationalkongress die untragbare Situation der Erdölförderung in einem geschützten Gebiet anzeigen.“ Außerdem sei es wichtig, die Bevölkerung wachzurütteln und eine öffentliche Meinung zu bilden, die Druck auf die Regierung ausübt. Neben nationalem Druck sei jedoch auch internationaler Druck notwendig: „Europa könne von einem Teil der Auslandsschulden unter der Bedingung absehen, dass Cuyabeno weiterhin geschützt bleibt“, plädiert er. Schließlich handle es sich dabei um ein Weltnaturerbe, das überdies eine der größten Zonen zur Sauerstoffproduktion darstellt.
Nähere Informationen zur Situation der Erdölförderung in Ecuador auch auf www.oilwatch.org.ec und www.globalaware.de
www.oilwatch.org.ec www.globalaware.de
Die Autorin ist Ethnologin, Sozial- und Kulturanthropologin und freie Journalistin (u.a RAI/Italien) und ist soeben von einer sechsmonatigen Reise quer durch Südamerika zurückgekehrt.