Es gibt keine bessere Form des Austauschs von Erfahrung als das Theater, denn Theater ist immer der Ausdruck des Jetzt“, sagt die Festwochen-Intendantin für das Schauspiel Stefanie Carp. „Es ist mehr als jede andere Kunstform an das Jetzt gebunden. Dieses Jetzt ist in den Lebensumständen und kulturellen Traditionen in Südafrika ein anderes als in New York und als in Lettland und in Chile etc.“
Die deutsche Theaterfrau, die unter Christoph Marthaler am Zürcher Schauspielhaus vier Jahre lang ihre Vorliebe für politisch brisantes Theater pflegen konnte, interessieren die Erfahrungen der Theaterleute in der so genannten Dritten Welt – und wie Europa über sich selbst reflektiert. Da wird an einem ganzen Wochenende im und um das Semperdepot herum die junge asiatische Kunst- und Musikszene präsentiert („Asian Village“). Die Grupo de Rua, eine „Straßentänzergruppe“ von neun HipHoppern aus Rio de Janeiro, liefert eine originelle Schau zeitgenössischen Tanzes („H3“), die chilenische Gruppe Teatro en el Blanco verbindet eine Aufführung von Tschechows „Kirschgarten“ mit dem Ende der Militärdiktatur Pinochets („Neva“). Dasselbe Ensemble präsentiert auch eine bitterböse Komödie über die Zukunft Südamerikas und die Zerstörung der Welt von innen heraus („Diciembre“).
Wenn der Ausdruck zeitgenössisches Theater einen Sinn hat, dann verkörpert sich dieser in der Programmgestaltung von Intendantin Carp. „Die Produktionen sind alle in ihren Formen und in ihren häufig biografischen und realen Stoffen unbedingt heutige Inszenierungen, die unbedingt heutige Erfahrungen ausdrücken. Sie sind in der Summe ein Archiv, eine Bilanz des Jetzt.“
Und so übersetzt der südafrikanische Regisseur Brett Bailey den Mythos von Orpheus und Eurydike in die Tragödie des heutigen Afrika („Orfeus“), zwei spanische Inszenierungen thematisieren die Fluchtbewegungen von Afrika nach Europa („Las Puertas del Cielo“ und „Paradise 2“), der libanesische Autor und Regisseur Rabih Mroué gibt einen tiefen Einblick in die moralischen Niederungen der Politik seines Landes („Looking for a Missing Employee“). Eine freie Theatergruppe von jungen Künstlerinnen aus Istanbul bringt eine Frau mit Kopftuch, eine Kurdin und eine lesbische Frau auf die Bühne und endet mit einer schrillen Beschreibung der „modernen türkischen Frau“ („Hässliches Menschlein“).
Mittlerweile ist schon bekannt, dass in Krisenzeiten wie diesen das „Kapital“ wieder vermehrt gelesen wird. Die deutsche Gruppe Rimini Protokoll stellt acht Spezialisten vor – sieben Männer und eine Frau -, die mit ihren Stellungnahmen und Berichten ein Kaleidoskop der Wirkung dieses Buches auf die Welt entstehen lassen.
„Das außereuropäische Theater hat mich immer schon interessiert, und daher auch mein Vorschlag, das stark auf Osteuropa ausgerichtete Programm der Festwochen auf die Dritte Welt auszudehnen“, hatte Stefanie Carp schon 2005, vor ihrer ersten Intendanz bei den Wiener Festwochen, gegenüber dem Südwind-Magazin erklärt. Dieser Orientierung ist sie treu geblieben, zum Nutzen und zur Freude aller, die die künstlerische Auseinandersetzung mit Fragen der Gegenwart in ihrer globalen Dimension schätzen.
Wiener Festwochen, 8. Mai bis 14. Juni 2009,
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