Warum der Wettlauf um Rohstoffe und Einfluss in der Arktis erst am Anfang steht und welche Folgen Eingriffe in die vermeintlich unberührte Landschaft haben können, hat Stefan Brocza recherchiert.
Der arktische Eispanzer schmilzt. Das weckt Begehrlichkeiten. Um seine territorialen Ansprüche zu verdeutlichen, hat Russland eine Fahne aus Titan am Meeresboden des Nordpols platziert. Wobei – Versuche, „Flagge zu zeigen“, gab es schon früher: 1953 wollte sich Kanada das letzte freie Land dadurch sichern, dass es kurzerhand acht Inuit-Familien aus Quebec in den hohen Norden zwangsumsiedelte. Regelmäßig begibt sich noch heute ein Mitglied des dänischen Königshauses mittels Hundeschlitten in die nördlichsten Teile Grönlands, um territoriale Ansprüche zu erneuern. Mit der sich verändernden arktischen Landschaft infolge des Klimawandels erwacht jedenfalls neues Anspruchsdenken. Und so ist es verständlich, dass Russlands Präsident Wladimir Putin bereits im April 2010 das Archipel Franz-Josef-Land besuchte, oder jüngst eben US-Präsident Barack Obama sich malerisch am Bear Glacier in Alaska ablichten ließ; inklusive schmelzender Gletscher im Hintergrund.
Klimawandel-Folgen. Der Zeitraum 2005-2010 war der wärmste je gemessene in der Arktis. Es wird erwartet, dass das Nordpolarmeer in den nächsten 30 bis 40 Jahren im Sommer eisfrei sein wird. Dadurch ergeben sich neue Transportwege, und der Erschließung von natürlichen Ressourcen und mineralischen Rohstoffen steht nichts mehr im Weg. Laut Angaben der Forschungsorganisation US Geological Survey liegen in der Arktis 13 Prozent der unerschlossenen Öl- und 30 Prozent der unerschlossenen Gasvorkommen. Die von Europa nach Asien reichende nördliche Seeroute könnte die Fahrtzeit von Frachtschiffen zwischen Pazifik und Atlantik um rund ein Drittel verkürzen. Muss ein Schiff heute etwa von Hamburg nach Shanghai rund 25.000 Kilometer (via Panama Kanal) bzw. knapp 20.000 Kilometer (via Suez-Kanal) zurücklegen, würde eine Fahrt durch die Nordwestpassage (Nordseite des nordamerikanischen Kontinents) die Strecke auf 17.000 Kilometer reduzieren. Das wären etwa dreieinhalb Tage Reiseersparnis. Wäre die Nordostpassage eisfrei, könnte die Strecke Hamburg-Yokohama gar um 40 Prozent reduziert werden. Statt durch Suez-Kanal und Straße von Malakka ginge es dann einfach entlang der Nordküste Russlands nach Japan. Neben Zeit spart man so auch die Gebühren für die Nutzung des Kanals.
Erstaunlicherweise gilt die Arktis noch immer als von Menschen weithin unberührte Naturlandschaft. Dabei ist die Region bereits seit Jahrzehnten mit massiven Umweltbelastungen konfrontiert: Die Sowjetunion machte Atomversuche in Nowaja Semlja und lagerte Fässer mit radioaktiven Abfällen und Atomreaktoren in der Kara- und Barentsee. Kanada entsorgt seinen radioaktiven Müll gleich in der Nähe seiner Uranbergbaugebiete rund um den Großen Bärensee. Die US-Armee hatte zwei Atomkraftwerke in der Region (eines in Alaska, eines in Grönland) und hinterließ ebenfalls einiges an Atommüll. Irgendwo im Eis Grönlands schlummern noch immer zwei US-Atomsprengköpfe, die bei einem Flugzeugabsturz verloren gingen und nie wieder gefunden wurden. Angesichts dieser atomaren Altlasten versteht man die Bedenken gegen den nun auf Grönland beginnenden Uranbergbau.
Grönlands Bodenschätze. Mit denkbar knapper Mehrheit (15 zu 14 Stimmen) hat im Herbst 2013 das Parlament in Grönland ein seit Jahrzehnten geltendes Förderverbot („Null-Toleranz-Politik“) für die Ausbeutung radioaktiver Bodenschätze wie Uran gekippt. Das Gesetz erlaubt Unternehmen künftig die Gewinnung von Metallen, bei denen Uranerz als Nebenprodukt anfällt. Die in Grönland bisher entdeckten Vorkommen an Seltenen Erden würden rund ein Fünftel des Weltbedarfs abdecken. Der Abbau Seltener Erden ist jedoch mit massiven Umweltbeeinträchtigungen verbunden, zudem fällt Uranerz als „Beiprodukt“ an.
Ganz konkret geht es derzeit um den 690 Meter hohen Berg Kvanefjeld nahe dem Ort Narsaq an der Südspitze der arktischen Insel. Die australische Grubengesellschaft Greenland Minerals & Energy (GME) rechnet nach ersten Schätzungen mit einer jährlichen Ausbeute von rund 40.000 Tonnen an Seltenen Erden. Rund ein Fünftel würde darüber hinaus als Uranerz als Nebenprodukt anfallen. Diese Menge würde Grönland mit einem Schlag unter die Top-Zehn der Uranerzförderer weltweit katapultiereb. Damit verbunden ist jedoch neben den zu erwartenden Umweltproblemen auch eine Reihe von rechtlichen und politischen Unwägbarkeiten. Aufgrund der staatsrechtlichen Sonderstellung Grönlands (abhängiges Gebiet von Dänemark mit lediglich eingeschränkter Autonomie) ist weder die Kontrolle noch die Verbreitung der so gewonnen radioaktiven Stoffe geregelt.
Rückschläge. Die ursprüngliche Euphorie und aufkommende Goldgräberstimmung in der arktischen Region hat in jüngster Zeit jedoch einige Rückschläge erfahren. Shell, Europas größter Energiekonzern, musste sein umstrittenes, aber firmenpolitisch prestigeträchtiges Vorhaben der Erdölsuche im hohen Norden einstellen. Als Grund werden neben den Resultaten der Probebohrungen vor allem die hohen Kosten der Ölförderung in der unwirtlichen Arktis sowie die Unwägbarkeiten der Umweltpolitik der US-amerikanischen Regierung genannt. Das Projekt in der Tschuktschensee, 240 Kilometer vor der Küste Alaskas, hat in den vergangenen sieben Jahren insgesamt fast neun Milliarden US-Dollar gekostet. Die finanziellen Folgen sind beachtlich: In der Konzernbilanz ist das Vorhaben bisher mit rund drei Milliarden Dollar bewertet. Zudem hat man noch 1,1 Milliarden Dollar an weiteren Verpflichtungen. Auch die Hoffnungen auf eine baldige Nordwestpassage scheinen sich zu zerschlagen. Trotz eines drastischen Eisrückgangs am Nordpol wird sich diese Folge des Klimawandels nicht so schnell für den Welthandel rentieren. Zwischen den zahlreichen Inseln könnte sich das teils meterdicke Eis noch Jahrzehnte halten. Zu diesem Ergebnis kommen zwei kanadische Forscher von der York University in Toronto sowie vom kanadischen Umweltministerium.
Das wieder entdeckte Interesse an der Arktis wird in Zukunft anhalten. Auch wenn die Folgen des Klimawandels langsamer „wirtschaftlich nutzbar“ werden, die Veränderungen sind bereits heute sichtbar. Und irgendwann beginnt dann doch die Nutzbarmachung des entlegensten Winkels der Erde.
Stefan Brocza ist Experte für Europarecht und internationale Angelegenheiten. Er lehrt an der Universität Salzburg.
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