Eine Ausweitung der Produktion von Biokraftstoffen wäre vielleicht auch mit Ernährungssicherheit vereinbar – theoretisch. So wie sie derzeit abläuft, ist sie es nicht.
Wie könnte sich eine weltweite und rasante Ausweitung der Biokraftstoff-Produktion auf die Weltmarktpreise der jeweiligen Rohstoffe auswirken? Das untersuchte das Washingtoner International Food Policy Research Institute (IFPRI) im Vorjahr anhand dreier Szenarien, die alle auf anhaltend hohen Ölpreisen beruhen. Ausgegangen wurde von den bereits bekannten Beimischungszielen in Brasilien, China, Indien, Europa und den USA; für die übrigen Länder wurden Biokraftstoff-Anteile am Treibstoffverbrauch von 10% für 2010, 15% für 2015 und 20% für 2020 angenommen. Zudem wurde ein starkes Wachstum der Nachfrage in Afrika unterstellt; Biodieselanteile wurden nur für Europa einbezogen.
Die Ergebnisse (siehe Tabelle): Preiserhöhungen bei Grundnahrungsmitteln sind unvermeidlich, und sie würden nur dann nicht massiv ausfallen, wenn 1) Zellulose-Verfahren, die auch die Verwertung von Ernteresten und auf schlechten Böden wachsenden Rohstoffen ermöglichen, ab 2015 wirtschaftlich sind und in breitem Umfang eingesetzt werden und 2) außerdem in die Ertragssteigerung investiert wird. Im Szenario 1 würde sich etwa Cassava bis 2020 um 135% verteuern, Weizen um 30% und Ölsaaten um 76%. In allen Szenarien und in allen Regionen im Süden verschlechtert sich die Ernährungssituation; im ersten Szenario sinkt die Nahrungsverfügbarkeit in Afrika südlich der Sahara gegenüber 1997 um 275 Kcal oder 11%, während die Zahl der unterernährten Kinder in allen Regionen zusammen um elf Millionen zunimmt.
Welche Lehren können aus diesen Szenarien gezogen werden? Eine drängt sich auf: Vor allem Szenario 1 vermeiden, also das Risiko, dass Zellulose-Verfahren nicht wirtschaftlich werden, da sich die Nahrungsmittelpreise selbst mit Ertragssteigerung beträchtlich erhöhen. Dass heute rund 800 Millionen Menschen an Unterernährung leiden, liegt vor allem an ihrem zu geringen Einkommen. Jede Steigerung der Preise von Grundnahrungsmitteln kann die Ernährungssituation der Ärmsten erheblich verschlechtern.
Das wäre nur dann nicht zu erwarten, wenn die Ankurbelung der Biokraftstoffproduktion das Einkommen dieser gefährdeten Bevölkerungsgruppe zumindest im selben Ausmaß erhöht – ein schwieriges Unterfangen, sofern es sich um Menschen in Städten handelt. Eine entsprechende Strategie könnte auf die Entwicklung ländlicher Regionen setzen, auf kleine Betriebsgrößen, Kontrolle der Wertschöpfungskette durch die lokalen Produzenten und einen gemischten Anbau nachwachsender Rohstoffe, etwa zur Selbstversorgung mit Elektrizität aus Biodieselgeneratoren.
Heute scheint der Zug zumindest in den Entwicklungsländern in eine andere Richtung zu fahren: In Richtung einer groß angelegten Produktion auf Basis von Monokulturen, mit einer nach Kosten- und Effizienzkriterien aufgegliederten Wertschöpfungskette, in- oder ausländischen EigentümerInnen mit dem Ziel, die Märkte im In- und Ausland mit flüssigen Biokraftstoffen zu versorgen. Kosten und Nutzen der Politik der reichen Länder sind extrem ungleich verteilt, wie der Weltöffentlichkeit im vergangenen Winter drastisch vor Augen geführt wurde: Die rasche Erhöhung der Ethanolproduktion aus Mais in den USA sorgte im Inland für einen Boom; im Nachbarland Mexiko, verstärkt durch Spekulation und Hortung, für rasch steigende Maispreise. Ein „Tortilla-Aufstand“ war die Folge; die Regierung sah sich gezwungen, Preiskontrollen einzuführen.
Mittlerweile wurden sowohl in den USA als auch in der EU neue, noch ehrgeizigere Ziele formuliert: In den USA soll sich der Anteil „alternativer“ Kraftstoffe am US-Inlandsverbrauch bis 2017 auf 25% versechsfachen, die EU hat sich vorgenommen, bis 2020 10% des Kraftstoffbedarfs im Straßenverkehr mit Biodiesel und Bioethanol zu decken. Die US-Landwirte werden dieses Jahr mit mehr als 36 Mio. Hektar soviel Mais anbauen wie schon seit 1944 nicht mehr, vor allem auf Kosten der Sojaflächen; die Mehrproduktion dürfte zur Gänze in US-amerikanischen Automotoren landen.
In der EU wiederum entstehen, zusätzlich zur Biodieselproduktion aus Raps und Sonnenblumen, neue Produktionsanlagen für Ethanol aus Weizen. Dass in der EU gerade zu einem Zeitpunkt die Ethanolproduktion aus Weizen im großen Stil ins Auge gefasst wird, zu dem sich die weltweiten Weizenvorräte wegen einer Folge schlechter Ernten auf dem niedrigsten Stand seit 26 Jahren befinden, mag auch verwundern.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) nahm sich in seinem Ausblick zur Entwicklung der Weltwirtschaft Anfang April heraus, die dadurch bewirkte oder drohende Erhöhung der Nahrungsmittelpreise am Weltmarkt zu kritisieren. Nicht nur die Preise von Mais und Sojaöl würden weiter anziehen, teurer würden auch Weizen, Reis und andere Speiseöle, Fleisch, Milchprodukte und Geflügel; die jüngsten Biokraftstoffvorgaben würden eine Erhöhung der US-Maisproduktion um 30% oder eine entsprechende Verringerung der Exporte erfordern, während die EU rund 18 Prozent ihrer Landwirtschaftsflächen für ihr Beimischungsziel reservieren müsste. Biokraftstoffe mögen in kleinem Maßstab zur Ergänzung des Treibstoffangebots von Vorteil sein, es sei jedoch „problematisch, ihre Verwendung auf Basis herkömmlicher Technologien in einem nicht nachhaltigen Umfang zu fördern“.
Der Empfehlung des IWF, stattdessen besser die Einfuhrzölle für Ethanol aus Brasilien zu senken, wo die Biokraftstoffproduktion energieeffizienter und billiger sei, ist sicher zuzustimmen – jedenfalls würde sie dazu führen, die negativen Effekte steigender Nahrungsmittelpreise auf arme Bevölkerungsgruppen in Entwicklungsländern zu reduzieren. Es ist aber kaum anzunehmen, dass sie von den USA oder der EU befolgt wird: Das Biokraftstoff-Geschäft ist ja eben erst so gut angelaufen.