Taiwans Aufstieg zum Tiger

Von Sven Hansen · · 2005/03

Wie erfolgreich eine Agrarreform sein kann, beweist das Beispiel Taiwan, wo eine radikale Umverteilung von Land Industrialisierung und allgemeine Wohlstandsmehrung ermöglichte.

Taiwans Landreform 1949 bis 1953 gilt als eine der erfolgreichsten der Welt. Ohne Landreform in der Frühphase seiner Entwicklung unter der vom chinesischen Festland geflohenen Nationalistischen Partei Kuomintang (KMT) hätte in Taiwan in den 1960er Jahren nicht die Industrialisierung stattgefunden, die den heute international kaum anerkannten Inselstaat mit dem offiziellen Namen „Republik China“ zu einem der erfolgreichsten asiatischen Tigerstaaten machte. Dabei hatte die in Taiwan ab 1949 diktatorisch regierende KMT mit ihrer Bodenreform primär nicht das Wohl der Bauern im Auge, sondern die Konsolidierung ihrer eigenen Macht auf der Insel.
Das Trauma der Niederlage im chinesischen Bürgerkrieg 1949 führte in der KMT-Führung zu Einsichten, denen man sich zuvor auf dem Festland im Kampf mit den Kommunisten noch verwehrt hatte. Denn diese hatten Millionen armer Pächter und Kleinbauern mit dem Versprechen auf Umverteilung des Bodens für sich mobilisieren können. Die KMT hatte zwar von ihrem Gründervater Sun Yat-sen die Formel „Das Land dem Pflüger“ geerbt und auch bereits 1930 ein Landreformgesetz verabschiedet. Doch eine wirksame Politik zugunsten der Bäuerinnen und Bauern scheiterte an den Großgrundbesitzern, die zur Machtbasis der KMT gehörten.
Als sich die KMT nach verlorenem Bürgerkrieg mit 1,2 Millionen Soldaten, Beamten, Kaufleuten und Industriellen nach Taiwan zurückzog, war die Situation anders. Denn als Besatzungsmacht konnte sie den taiwanischen Boden umverteilen, ohne die eigene Basis zu treffen. Vielmehr schwächte dies die konkurrierende Elite der lokalen Grundeigner, während die KMT bei lokalen Pächtern und Kleinbauern Sympathien sammeln und sie zugleich vom Kommunismus abhalten konnte.

Dann waren da die ökonomischen Zwänge: Wollte man die schlagartig gewachsene Bevölkerung ernähren, musste die landwirtschaftliche Produktivität mittels Umverteilung erhöht werden. Dank Wirtschaftskraft hoffte man, eines Tages das Festland zurückerobern zu können.
Auch die US-Schutzmacht drängte auf eine Reform. Mit dem Korea-Krieg ab Juni 1950 wurde Taiwan zum Frontstaat. Für Washington galt die Insel als unsinkbarer Flugzeugträger, den es als Gegenmodell zur Volksrepublik zu stabilisieren und entwickeln galt. Neben Wirtschafts- und Militärhilfe wurde Taiwan auch Beratung zuteil. So wurde die Agrarpolitik maßgeblich in der mit US-Beratern gespickten „Joint Commission for Rural Reconstruction“ (JCCR) formuliert.

Vor der Reform waren in Taiwan 36 Prozent der Bauern Voll- und 25 Prozent Teileigentümer des von ihnen bebauten Bodens. Der Rest waren Pächter, die bis zu 50 Prozent ihrer Erträge abgeben und außerdem die Kosten aller Inputs tragen mussten. Die Landreform erfolgte in drei Stufen. Ab 1949 wurde der Pachtzins auf maximal 37,5 Prozent festgelegt. Pachtverträge mussten für mindestens sechs Jahre schriftlich geschlossen und bei den Behörden registriert werden. So wurden die Bauern erstmals rechtlich abgesichert und konnten langfristig kalkulieren. Ein großer Leistungsanreiz.
Ab 1951 begann mit dem Verkauf von 100.000 Hektar Staatsland – die bis 1945 Japanern gehört hatten – die zweite Stufe. Pächter, die den Boden bereits bewirtschafteten, hatten ein Vorkaufsrecht. Der Kaufpreis musste in zehn Jahren zinsenfrei abgetragen werden. Hiervon profitierten 156.000 Pächterfamilien.
1953 begann der härteste Eingriff: Ländereien über drei Hektar je Person wurden von der Regierung zum Zweieinhalbfachen des Jahresertrags aufgekauft und zu den Bedingungen der Stufe zwei an Pächter weitergegeben. Die bisherigen Eigentümer entschädigte sie zu 70 Prozent mit Reis- und Süßkartoffelgutschriften und zu 30 Prozent mit Aktien von vier staatlichen Industriekombinaten. So zwang sie die ländliche Elite zu Investitionen in die Industrie. Bis Januar 1954 wurden 55 Prozent des gesamten privaten Pachtlandes aufgekauft und an 194.823 bisherige Pächter veräußert. Die bekamen im Durchschnitt 0,7 Hektar Land, Zugang zu Krediten und die Möglichkeit zum Beitritt zu Genossenschaften.
Die Zahl der Bauernfamilien mit eigenen Feldern stieg von 61 auf 86 Prozent, der Anteil der Pachtbauern sank von 39 auf 14 Prozent. 90 Prozent des Bodens wurden von Eigentümern bebaut. Zugleich stieg die Produktion von 1952 bis 1970 um 145,5 Prozent. Die Landreform führte zu einem Anstieg der Bauerneinkommen und damit zu einem höheren Konsum, der wiederum Produkte aus der Industrie nachfragte.
Die Reform befreite die Bauern von der Ausbeutung durch Grundbesitzer, zugleich wuchs durch Steuern und monopolistischen Düngerhandel aber der Einfluss des Staates. Als die KMT Mitte der 1960er Jahre den Aufbau exportorientierter Industrien beschloss, hielt sie die Einkommen der Bauern niedrig, um diese zum Wechsel in die Industrie zu ermuntern und um zugleich die Löhne der Arbeiter dank niedriger Lebensmittelkosten international wettbewerbsfähig halten zu können.

Der Autor ist Ostasienexperte und Redakteur der Tageszeitung taz in Berlin.

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