Beim Maquila Solidarity Network bekommen wir fast jeden Tag Anrufe oder E-Mails von Leuten, die wissen wollen, wo sie Kleidung kaufen können, die ein Fairtrade-Label trägt oder garantiert unter menschenwürdigen Arbeitsbedingungen hergestellt wurde. Alternative Einzelhandelsgeschäfte fragen uns sogar, ob wir eine Liste von Herstellern haben, die „sweat-free“ sind, also keine ausbeuterischen Arbeitsbedingungen tolerieren. Leider gibt es darauf keine einfachen Antworten.
Biologische Baumwolle ist besser für die Umwelt, und die Bauern und Bäuerinnen müssen nicht mehr mit gefährlichen Chemikalien hantieren. Baumwolle mit einem Fairtrade-Label geht einen Schritt weiter – sie steht für einen besseren Preis und eine Art „soziale Dividende“ für kleinbäuerliche Betriebe im Süden. Aber was passiert, wenn die Baumwolle weiterverarbeitet wird? Was sagt uns das Label „Baumwolle aus fairem Handel“ über die Arbeitsbedingungen der jungen Frauen und Männer, die die Baumwolle in China zu Garn spinnen, oder der Menschen, die in einer Fabrik in Bangladesch den Stoff zuschneiden und das T-Shirt nähen, bevor es auf den weiten Weg bis zu einem Geschäft hier in Toronto geschickt wird?
Leider nur sehr wenig. Ein „Fairtrade“-Label für Baumwolle bezieht sich auf die Bedingungen, unter denen die Baumwolle angebaut und nicht darauf, wie das T-Shirt hergestellt wurde. Will ein Bekleidungsunternehmen das Fairtrade-Label verwenden, muss es nachweisen, dass die Arbeitsbedingungen in den Fabriken durch Dritte überwacht werden. Die Prüfungen, die derzeit von Zertifizierungsfirmen durchgeführt werden, sind jedoch notorisch unzuverlässig. Mein „Fairtrade“-T-Shirt könnte also durchaus von einem 15-jährigen Mädchen genäht worden sein, das gezwungen wurde, bis zu 18 Stunden täglich zu einem Hungerlohn unter gefährlichen Arbeitsbedingungen zu schuften. Was sollen KonsumentInnen also tun?
Wir könnten damit beginnen, die Grenzen des „ethischen“ Einkaufens anzuerkennen. Ist es nicht ohnehin etwas anmaßend, wenn wir glauben, wir könnten ausbeuterische Produktionsbedingungen beseitigen, indem wir unsere Kaufgewohnheiten verändern? Schließlich sind solche Zustände in der Bekleidungsindustrie weit verbreitet und beinahe ebenso alt wie das ganze Geschäft überhaupt.
Der Begriff „Sweatshop“ wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts in den USA geprägt, um die rigorosen disziplinären Maßnahmen und die unmenschliche Behandlung zu beschreiben, die dazu dienten, aus den ArbeiterInnen soviel Gewinn herauszuschinden wie es die menschliche Natur zuließ. Allgemein bekannt wurde der Begriff Anfang des 20. Jahrhunderts, als der tragische Tod von mehr als 100 BekleidungsarbeiterInnen in der gesamten Boulevardpresse der USA Schlagzeilen machte. Am 25. März 1911 brach im neunten Stock des „Asch Building“ in New York ein Feuer aus. Die Etage gehörte dem Textilunternehmen Triangle Shirtwaist. 146 Arbeiterinnen verbrannten, erstickten oder sprangen in den Tod, weil sie durch die engen Gänge in den mit Nähmaschinen vollgestopften Räumen und über das einzige Stiegenhaus des Gebäudes nicht entkommen konnten.
Während der folgenden Jahrzehnte führten gesetzliche Maßnahmen und gewerkschaftliche Organisierung zu einer signifikanten Verbesserung der Arbeitsbedingungen, insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg. Diese Zeit, während der viele, aber nicht alle Beschäftigten der Bekleidungsindustrie in Nordamerika über sichere Arbeitsplätze mit relativ guten Arbeitsbedingungen verfügten, war aber eine vorübergehende Episode.
Globalisierung und Freihandel haben alles wieder verändert. Um ihre Kosten zu senken, begannen Bekleidungsfirmen mit der Auslagerung der Produktion nach Hongkong, Südkorea und Taiwan. Markenhersteller wie Nike wurden zu „hohlen“ Unternehmen, die sich auf das Design modischer Sportbekleidung und die Bewerbung ihrer Marken beschränkten. Andere Einzelhändler und Diskont-Ketten folgten dem Beispiel von Nike. Der Wettbewerb nahm zu. Asiatische Zulieferer begannen, die Produktion in Länder mit noch niedrigeren Löhnen in Asien, Lateinamerika und Afrika zu verlegen. Ein „Race to the bottom“, ein Wettlauf um die niedrigsten Löhne und schlechtesten Arbeitsbedingungen begann.
Heute kommt es in Ländern wie Mexiko oder Thailand zu massiven Entlassungswellen, weil die Produktionskosten für zu hoch gehalten werden. Während der Großteil der Produktion nach China und Indien wandert, sichern sich Länder wie Bangladesch mit Lohnkosten zum Sonderangebot einen Teil vom Kuchen.
Am 11. April 2005 um ein Uhr nachts brach das neunstöckige Gebäude des Unternehmens „Spectrum Sweater and Shariar Fabrics“ in Dhaka in Bangladesch zusammen. 64 ArbeiterInnen starben, dutzende wurden verletzt und hunderte verloren ihre Arbeit. In der Spectrum-Fabrik wurde Bekleidung für einige größere Einzelhandelsketten in Europa hergestellt. Ihre Kontrollprogramme waren nicht in der Lage, die baulichen Mängel und die Probleme im Bereich Arbeits- und Gesundheitsschutz festzustellen. „Die Ursache der Tragödie vom 11. April war Fahrlässigkeit“, konstatierte Shirin Akhter, Präsidentin von Karmojibi Nari, einer Organisation von Arbeiterinnen in Bangladesch. „Das war Tötung, kein Unfall.“ Im Februar und März 2006 kam es in Bangladesch zu vier weiteren Fabrikskatastrophen, bei denen 88 junge Frauen und Mädchen starben und 250 verletzt wurden. Die meisten starben bei Bränden, die an den Brand bei Triangle Shirtwaist erinnerten: Die Ausgänge der Fabriken waren entweder versperrt oder blockiert.
Vor zwölf Jahren, als wir das Maquila Solidarity Network gründeten, war der Begriff „Sweatshop“ nicht mehr allgemein in Gebrauch. Wenn wir Vorträge in Schulen oder Universitäten hielten, waren die SchülerInnen und StudentInnen schockiert darüber, dass ihre geliebte Markenkleidung von jungen Leuten wie sie selbst hergestellt wurde, die bis zu 18 Stunden täglich unter gefährlichen Bedingungen und zu Hungerlöhnen arbeiteten. StudentInnen, die das Nike-Logo mit Stolz getragen hatten, schrieben zornige Briefe an den Nike-Chef Phil Knight, in denen sie erklärten, nie wieder Kleidung zu tragen, die in Nike-
Sweatshops hergestellt wurde. Aber die großen Marken waren nicht die einzigen Übeltäter: Die Bekleidung weniger bekannter Unternehmen wurde oft in den selben Fabriken oder unter sogar noch schlimmeren Bedingungen produziert.
Heute ist das Image von Nike und anderen bekannten Marken ziemlich beschädigt, und jungen KonsumentInnen braucht man das Wort „Sweatshop“ nicht mehr zu erklären. Unternehmen wie Nike und Gap veröffentlichen Berichte über ihre „Corporate Social Responsibility“ und räumen ein, dass schwerwiegende Verletzungen von ArbeiterInnenrechten in ihrer weltweiten Lieferkette ein anhaltendes Problem sind. Zum Teil wurden eigene Abteilungen eingerichtet, die umgehend auf Berichte über Missstände reagieren, versprechen, die Lage zu untersuchen und bekannt zu geben, was sie zu ihrer Behebung zu tun gedenken.
Doch trotz all dieser Fortschritte verändert sich tatsächlich wenig. Einerseits ein bisschen weniger Kinderarbeit, weniger Schwangerschaftstests oder Verletzungen von Arbeits- und Gesundheitsschutzbestimmungen in den größeren Fabriken, wo für die bekannteren Marken gearbeitet wird; andererseits aber bleiben Hungerlöhne, erzwungene Überstundenleistungen und Massenentlassungen von ArbeiterInnen, die versuchen, für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen, die Regel in der ganzen Branche.
Die jüngsten Änderungen der Welthandelsregeln (das Auslaufen der Importquoten für Textilien und Bekleidung per Ende 2004) haben den „Race to the bottom“ neuerlich beschleunigt. Die selben Unternehmen, die ihre Zulieferer unter Druck setzen, damit sie ihren Verhaltenskodex einhalten, verlangen, dass die Produkte rascher und billiger hergestellt werden und drohen, die Aufträge an Firmen in anderen Ländern zu vergeben. Diese widersprüchlichen Anforderungen bringen Zulieferer dazu, Missstände zu verheimlichen oder die Aufträge an kleinere Firmen und in Heimarbeit weiter zu vergeben. Das Motto bleibt das gleiche: mehr Arbeit für weniger Geld.
Es reicht nicht mehr aus, sich auf die großen Marken zu konzentrieren. Bedenkt man, wie verbreitet die Missstände in der ganzen Branche sind, hilft es auch nicht, bloß bei den „Guten“ einzukaufen. Wir müssen uns dessen bewusst werden, dass wir nicht nur KonsumentInnen sind, sondern auch BürgerInnen unserer Länder und der Welt. Wir können von unseren Schuldirektionen, unseren Gemeinden und Universitäten verlangen, dass sie im Rahmen ihrer Beschaffung Richtlinien einführen, die Lieferanten von Bekleidung zwingen, die Produktionsstandorte bekannt zu geben und nachzuweisen, dass ernsthaft versucht wird, die Bedingungen zu verbessern. Wir können Unternehmen mit Briefkampagnen unter Druck setzen, wenn die Rechte von ArbeiterInnen verletzt wurden, und die Bildung von Gewerkschaften unterstützen. Und wir können Druck auf unsere Regierungen ausüben, die gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen, damit Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie es verabsäumt haben, etwas gegen schamlose und anhaltende Verstöße gegen die Rechte von ArbeiterInnen zu tun.
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