Die Zusammenarbeit von Staaten im globalen Süden war in der Vergangenheit keineswegs eine Erfolgsgeschichte. Doch seit dem letzten Jahrzehnt beflügelt die wirtschaftliche Macht einzelner Staaten eine neue Welle von Süd-Süd-Kooperationen.
Der Begriff "Süd-Süd-Kooperation" ruft positive Assoziationen hervor. Meist wird hiermit der Kampf gegen Kolonialismus und das Ringen um mehr Autonomie verbunden. Die Hoffnung auf das Durchbrechen des Status quo der kapitalistischen Weltwirtschaft und auf die Befreiung von der Bevormundung durch den Westen leitete viele der Versuche einer Zusammenarbeit auf der Südhalbkugel an. Denn die globale Armut, insbesondere die hungernde Bevölkerung, konzentrierte sich stets im globalen Süden. So leben nach jüngsten Zahlen der Welternährungsorganisation FAO von rund einer Milliarde hungernder Menschen mehr als 90 Prozent außerhalb Europas und Nordamerikas. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der reichen Industrieländer übersteigt das der Länder des Trikonts (die drei Kontinente Afrika, Asien und Lateinamerika aus antikolonialer Perspektive; Anm. d. Red. ) immer noch um ein Vielfaches. Süd-Süd-Kooperation wurde darum oft als Mittel angesehen, um der politischen Maxime des "Teile und Herrsche" der Industriestaaten eine gemeinsame Perspektive entgegenzusetzen.
Dennoch ist die Geschichte der Zusammenarbeit im globalen Süden keineswegs eine Erfolgsstory. In den 1980er Jahren zerbrachen viele der ehrgeizigen Vorhaben. Es schien so, als ob es sich bei der Organisation der Erdöl exportierenden Länder (OPEC), den Blockfreien und der Bewegung für eine "Neue Weltwirtschaftsordnung" um nur historische Zwischenepisoden handelte. Doch gerade im letzten Jahrzehnt wurde diese Einschätzung Lüge gestraft. Spätestens seit der Gründung der G-20 und dem Scheitern der WTO-Runde in Cancún im Jahr 2003 wurde offenbar, dass neue Süd-Süd-Bündnisse im Entstehen begriffen waren. Bisher unbekannte Kürzel wie IBSA Dialogue Forum, BRIC, ALBA und G-110 tauchten auf einmal in der Tagespresse auf. StrategInnen in europäischen und US-amerikanischen Think-Tanks begannen umzudenken und sich vermehrt mit der neuen Konfiguration auseinanderzusetzen.
Doch was hat es mit den neuen Abkommen auf sich? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, empfiehlt sich ein Blick auf frühere Kooperationen. Denn es existieren verschiedene Muster der Süd-Süd-Kooperation.
Zum Beispiel die geopolitischen Allianzen. Die "Mutter" aller Süd-Süd-Bündnisse war zweifelsohne die Blockfreienbewegung. Im indonesischen Bandung 1955 aus der Taufe gehoben und 1961 in Belgrad institutionalisiert, wirkte sie als eine "force de frappe morale", eine moralische Streitmacht (Volker Matthies), um die Teilung der Welt in zwei Systeme durch die Supermächte anzuklagen. Auch wenn die Zahl der Mitgliedstaaten stetig von 26 im Jahr 1961 auf 101 im Jahr 1983 anwuchs, blieben deren Erfolge begrenzt. Die äußerst heterogenen Mitglieder, die von Nehrus Indien über Titos Jugoslawien bis zu Nassers Ägypten reichten, leisteten jedoch zumindest einen entscheidenden Beitrag zur Demokratisierung des UN-Systems, zur Dekolonialisierung und zur Erhöhung der Verhandlungsmacht von Staaten der "Dritten Welt". Es handelte sich primär um ein "weiches" geopolitisches Bündnis. Zielsetzungen einer ökonomischen Reorientierung wurden durch die Blockfreienbewegung allerdings nicht direkt durchgesetzt. In den 1980er Jahren verloren die Blockfreien immer mehr an Gewicht, bis sie nach dem Zusammenbruch des Ostblocks in der Bedeutungslosigkeit versanken.
Oder die Produzentenkartelle. Am erfolgreichsten war wohl die bereits 1960 gegründete OPEC. Diesem Produzentenkartell gelang es, 1973/74 die Ölpreise durch eine geschickte Förderpolitik, eine einseitige Aufkündigung von Nutzungsverträgen mit multinationalen Konzernen und Verstaatlichungen auf elf US-Dollar pro Fass zu vervierfachen. 1979/80 erfolgte ein zweiter Ölpreisschock, der den Preis auf über 25 Dollar trieb.
Doch die OPEC blieb eine Ausnahme: Andere Produzentenzusammenschlüsse wie das Kupferkartell CIPEC führten zu keinen dauerhaften Veränderungen. Schließlich erodierte die Verhandlungsmacht der OPEC. Neben einer Diversifizierungsstrategie der Erdölkonzerne durch die Erschließung von neuen Ressourcen untergrub der erste Golfkrieg zwischen dem Irak und dem Iran (1980-1988) deren Verhandlungsmacht. Obwohl in den 1980er Jahren eine erneute Phase der niedrigen Ölpreise einsetzte, hatten die hohen Renditen bereits eine rasche wirtschaftliche Entwicklung einiger OPEC-Staaten ermöglicht, etwa von Katar oder den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Technologische und wirtschaftliche Kooperation: Darüber hinaus wurde eine Vielzahl von technischen und ökonomischen Kooperationsprojekten entwickelt. Diese Ansätze reichten über Technologieaustausch bis zu zeitweilig erfolgreichen regionalen Integrationsprojekten. Doch trotz dieser Vielfalt wiesen Bündnisse wie der Andenpakt, die CARICOM (Karibikstaaten), die East African Community oder der ASEAN (Südostasien) nur kurz eine dynamische Entwicklung auf. Die Länder weigerten sich, die hohen Zollschranken, die ihre Industrie vor Konkurrenz aus dem Norden schützten, für die Unternehmen aus ihren Nachbarstaaten zu senken. Zu groß waren die internen Widerstände gegen eine verstärkte Konkurrenz.
In der Debatte um eine "Neue Weltwirtschaftsordnung" wurde der Entwurf einer alternativen globalen Ordnung als gegenhegemoniales Bündnis am deutlichsten. Die Auseinandersetzungen wurden vor allem innerhalb der UN-Organisationen ausgetragen.
Mit der Etablierung der UNCTAD im Jahr 1964 wurde der Forderung nach einer eigenen Wirtschaftsorganisation, die stärker die Interessen der Entwicklungsländer berücksichtigt, Rechnung getragen. Im Rahmen der UNCTAD bildete sich dann die Entwicklungsländerkoalition G 77 heraus. Die Forderung nach einer "Neuen Weltwirtschaftsordnung" wurde von dieser Gruppe erstmals offen auf der UNCTAD-Konferenz in Santiago de Chile 1972 vorgetragen. Darunter fielen u.a. Themen wie gerechter Welthandel, Ressourcentransfer in den Süden und Zugang zu Wissen und Technologie. Die Forderungen gingen auch in die Tokio-Runde (1973-1979) des GATT, das 1947 gegründete "Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen", ein. Nunmehr standen Regelungen zu Investitionen und Technologietransfer auf der Tagesordnung. Zudem wurde ein umfangreiches Präferentialzollsystem eingefordert. Die Industrieländer fürchteten, dass dieses Vorhaben eine "Unctadisierung des GATT" nach sich ziehen könnte. Vor dem Hintergrund der Schuldenkrise 1982 wurde jedoch der Widerstand der Entwicklungsländer schließlich durch die wachsende finanzielle Abhängigkeit vom Norden gebrochen.
Aus den einzelnen Kooperationsmustern können zwei Schlussfolgerungen gezogen werden. Zunächst war in den 1970er Jahren eine Gleichzeitigkeit und Wechselwirkung zwischen den einzelnen Initiativen zu beobachten. Die Mitgliedstaaten der Blockfreien und der G 77 waren oft ident. Die erfolgreiche Preispolitik der OPEC-Länder heizte die Forderungen nach einer "Neuen Weltwirtschaftsordnung" zusätzlich an.
Die 1980er Jahre stellten dann den entscheidenden Wendepunkt für sämtliche Formen der Süd-Süd-Kooperation dar. Die Schuldenkrise trug zur weiteren Diversifizierung des globalen Südens bei: Während sich in Ostasien ein rasanter Aufstieg vollzog, verharrte Lateinamerika in der Stagnation, Subsahara-Afrika wurde sogar komplett abgehängt. Die großen politischen Gegenentwürfe waren vorerst von der Bildfläche verschwunden.
In den 1990er Jahren beschränkten sich die Kooperationsmuster meist auf die technologische und wirtschaftliche Integration: Neue "Offene Regionalismen" wie das südamerikanische Integrationsbündnis Mercosur (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay) führten sogar zur Vertiefung der freien Marktwirtschaft und dienten als ein bloßes Sprungbrett auf den Weltmarkt.
Doch im folgenden Jahrzehnt änderte sich die Situation grundlegend. Eine neue Welle der Süd-Süd-Kooperation kam ins Rollen. Die Zusammenarbeit gründete sich erneut auf eine Vielzahl von verschiedenen Initiativen. Betrachten wir diese genauer, um sie in das ABC der Süd-Süd-Kooperation einordnen zu können.
Da ist einmal das IBSA-Dialogue Forum. Damit wurde auf Initiative des frisch gewählten brasilianischen Regierungschefs Luiz Inácio Lula da Silva im Jahr 2003 ein bedeutendes interregionales Kooperationsforum gegründet, dem mit Indien, Brasilien und Südafrika drei große Schwellenländer außerhalb der OECD angehören. Seitdem werden innerhalb des Forums Verträge zur Technologie-, Verkehrs-, Kultur-, Handels- und Sicherheitspolitik ausgehandelt. Gleichzeitig stimmten die drei Staaten sich von nun an in verschiedenen internationalen Institutionen, etwa der WTO oder der UNO, ab und versuchten, gemeinsam die Verhandlungsagenda zu beeinflussen.
Am erfolgreichsten war das Triumvirat Brasilien, Indien und Südafrika mit der Gründung der G-20 in der Welthandelsorganisation WTO. Anders als frühere Bündnisse wurde mit der Gruppe ein Forum aufgebaut, dem nicht nur weitere bedeutende Schwellenländer wie China oder Indonesien angehören, sondern das auch eine klare Fokussierung auf Agrarthemen beinhaltet, die die Gruppe zusammenhält. Das – durchaus umstrittene – verbindende Element sind die gemeinsamen Exportinteressen des großen Agrobusiness, das in den neoliberalen 1990er Jahren immer weiter gewachsen war. Die G-20 ist deswegen nicht zuletzt eine Lobbyorganisation für Agrarkapitalisten aus dem globalen Süden. Dennoch veränderte sie die Struktur der Verhandlungen in der WTO maßgeblich. Es bildeten sich weitere Süd-Süd-Gruppen wie die NAMA-11 oder die G-90 heraus, sodass sich die Kräfteverhältnisse innerhalb der WTO deutlich verschoben haben.
Aus den Erfahrungen des IBSA-Dialogforums und der überschwänglichen Jubelrufe auf die Wachstumsperspektiven von Staaten wie Brasilien, Russland, Indien und China entstand schließlich die Initiative einer eigenständigen BRIC-Gruppe, die sich im Jahr 2008 in Jekaterinburg (ehemals Swerdlowsk, viertgrößte Stadt Russlands) konstituierte. Ähnlich wie das IBSA-Forum strebt das junge Bündnis eine Reform des internationalen Systems an, z.B. eine grundlegende Reform der Weltwährungsarchitektur, womit es die USA herausfordert. Als direkte Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise ab 2008 kauften die BRIC-Staaten IWF-Anleihen im Wert von 80 Mrd. Dollar und setzten so eine Steigerung der Stimmrechte der Entwicklungs- und Schwellenländer im IWF um 5% durch.
Mit der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) haben die chinesische und die russische Regierung bereits im Jahr 2001 ein Sicherheitsbündnis etabliert. Der SCO gehören zudem Usbekistan, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan an. Beim Gipfel in Moskau im Juli 2005 rückte die Organisation ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit, da nunmehr Indien, Pakistan, Iran und die Mongolei einen Beobachterstatus erhielten. Ferner wurde 2006 beschlossen, die Agenda der Allianz auf den Handelsbereich und die Energieversorgung zu erweitern. Die SCO wird oft als ein "eurasischer geopolitischer Block" gehandelt, ist aber bisher eher locker organisiert. Im Mittelpunkt stehen Kooperationsprojekte bei gleichzeitiger Wahrung der nationalen Souveränität.
Als explizit alternatives regionales Abkommen sticht die Ende 2004 auf Initiative von Präsident Hugo Chávez gegründete lateinamerikanische Alternativa Bolivariana para las Américas hervor. Die ALBA, der außer Venezuela als treibender Kraft mittlerweile Bolivien, Kuba, Ecuador, Nicaragua und die Inselrepubliken Antigua und Barbuda, Dominica und St. Vincent und die Grenadinen (und temporär, bis zum Putsch, auch Honduras) beigetreten sind, gründet sich auf den Rohstoffboom der vergangenen Jahre. Das Rahmenabkommen basiert auf dem solidarischen Tauschhandel von Energieressourcen gegen Waren und Dienstleistungen, auf der Kooperation zwischen Staatsunternehmen und auf Zollsenkungen für den Warenhandel. Der wirtschaftliche Handlungsspielraum der Einzelstaaten wurde auf diese Weise erweitert. Das Bündnis hat sich mittlerweile eine feste institutionelle Struktur gegeben, verfolgt eine offenkundig sozialistische Orientierung und plant mit dem Sucre die Einrichtung einer gemeinsamen Währung.
Welche zentralen Unterschiede lassen sich zwischen den beiden Wellen der Süd-Süd-Kooperation ausmachen? Zunächst ist auffällig, dass sich die Organisationsform und politische Ausrichtung der Kooperationsmuster voneinander entscheidet. In den 1970er Jahren führte das Zusammenspiel von verschiedenen Bündnissen, etwa Produzentenkartellen à la OPEC und geopolitischen Bündnissen wie den Blockfreien, schließlich zu ihrem Höhepunkt, der Bewegung für eine "Neue Weltwirtschaftsordnung". Die erste Welle der Süd-Süd-Kooperation hatte eine deutliche alternative Ausrichtung. In ihr waren stets sozialistische oder linksnationalistische Vorstellungen verankert. Allerdings war die wirtschaftliche Macht der Staaten im Süden stark begrenzt, wie sich im "verlorenen Jahrzehnt" in den 1980er Jahren deutlich zeigte.
Umgekehrt baut die aktuelle Phase der Süd-Süd-Kooperation auf eine neue wirtschaftliche Macht einzelner Staaten im Süden auf. Der Aufstieg Ostasiens und der OPEC-Länder sowie die ökonomische Konsolidierung einiger lateinamerikanischer Staaten ermöglicht neue Kooperationsmöglichkeiten und weist auf überkommene globale Machtbeziehungen hin, etwa die stark westlich geprägte G-8 als eines der Koordinationszentren der Weltwirtschaft.
Die neuen Bündnisse dieser Länder wie die (Handels-)G-20 oder die BRIC-Gruppe sind äußerst pragmatisch orientiert. Es geht primär darum, punktuell die Verhandlungsmacht zu steigern, um institutionelle Veränderungen zu erreichen und um schließlich die Entwicklungsperspektiven des globalen Südens zu erhöhen. Dabei existieren jedoch durchaus Interessengegensätze zwischen Schwellenländern und z.B. den Least Developed Countries (LDCs).
Oft vermischen sich progressive Vorschläge, etwa zur Reform des Weltfinanzsystems, mit äußerst fragwürdigen Projekten wie der Liberalisierung des Agrarhandels, durch die die LDCs noch weiter abgehängt werden könnten. Eine explizite Konfrontation mit den Staaten des Zentrums wird meist nicht gesucht. Eine gesonderte Rolle nehmen die jüngsten Integrationsversuche in Lateinamerika, insbesondere die ALBA, ein, da hier eine klare solidarische alternative Perspektive verfolgt wird, die bisher aber aufgrund des Fokus auf Rohstofferlöse fragil erscheint.
Folglich handelt es sich beim aktuellen Boom der Süd-Süd-Kooperation um eine neue Phase der Globalisierung, die durch eine wachsende Multipolarität gekennzeichnet ist. Deren konkrete Ausgestaltung wird nicht zuletzt von politischen Auseinandersetzungen im globalen Süden abhängen.
Stefan Schmalz ist Politikwissenschaftler an der Universität Kassel mit den Forschungsschwerpunkten Internationale Politische Ökonomie, Entwicklungssoziologie, Lateinamerika und BRIC-Staaten.
Jüngste Veröffentlichungen: Brasilien in der Weltwirtschaft, Münster, 2008; Hg. mit Tanja Ernst: Die Neugründung Boliviens, Baden-Baden, 2009.
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