Die langfristige Wetter-Vorhersage für Erde beunruhigt zunehmend. New Internationalist-Redakteur Dinyar Godrej legt dar, warum unser Planet nichts Geringeres als eine Energie-Revolution braucht.
Hinter den Wettererscheinungen aus den Schlagzeilen steckt ein System in ständiger Bewegung. Die Erde bezieht in Form von Sonnenlicht jährlich das Energie-Äquivalent von 1.000 Milliarden Barrels Erdöl. Ein großer Teil davon wird von den spiegelnden Wasser- und Eisoberflächen wieder ins All reflektiert. Der Rest fungiert als eine Art Pumpe für Meeresstömungen, Verdunstung, Schnee und Regen. Bäume absorbieren ebenfalls Sonnenlicht und geben Dunst ab, ein weiterer Beitrag zum ständigen lebensspendenen Kreislauf des Wassers auf unserem Planeten.
So funktioniert – grob vereinfacht – das weltweite Wettersystem.
Der brasilianische Physiker Eneas Salati schätzt, dass der täglichen Energieumsatz im Amazonasbecken allein mit fünf bis sechs Millionen Atombomben zu vergleichen ist.
Trotz dieser gewaltigen Energiemengen ist das Weltklima ein exakt abgestimmte System, bei dem bereits minimale Abweichungen verheerende Folgen haben können.
Menschliche Aktivitäten lassen zunehmend die Klimaordnung auf diesem Planeten aus ihrem Gleichgewicht geraten. Ironischerweise sorgt gerade jenes Element, das die Grundlage alles Lebens auf der Erde ist, für die größte Gefahr: Kohlenstoff. Er ist der Grundbaustein für alles, was atmet oder wächst, egal ob Tier oder Pflanze. Nicht nur unsere Erde ist mit den Ablagerungen des Kohlenstoffs angereichert, sie wird zusätzlich noch von Kohlendioxid umhüllt. Dieses Gas besitzt die seltene Eigenschaft, einen Teil der Sonnenwärme zu binden und sie so am Wiederaustritt aus der Erdatmosphäre zu hindern. Dieses lebenserhaltende Phänomen sorgt für eine konstante Temperatur, deren Mittel weltweit bei etwa 15° C liegt. Alles Leben gedeiht innerhalb dieses Spektrums, ganz im Gegensatz zu den Steinwüsten auf unseren nächsten planetaren Nachbarn.
Mit jedem Atemzug scheiden wir Kohlenstoff aus, er wird durch Feuer, vulkanische Aktivität und organische Zersetzungsprozesse frei. Andererseits nehmen Pflanzen zu Lande und zu Wasser Kohlenstoff als Nahrung auf. Auch von den Ozeanen wird er permanent eingelagert. Ein endloses Recycling findet statt – oder sollte zumindest stattfinden.
Der Motor des menschlichen Fortschritts, gepaart mit menschlicher Gier, bringt dieses System aus der Balance. Durch die Verbrennung fossiler Energieträger zur Stromerzeugung und im Verkehr setzen wir jährlich sechs Milliarden Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre frei. Der Anteil von Kohlendioxid in der Atmosphäre wird sich laut Prognose bis zum Jahr 2080 auf das Doppelte des vorindustriellen Stands erhöht haben. Dazu kommt noch die unverminderte Abholzung der Wälder, wodurch die Abbaukapazität von Kohlendioxid kontinuierlich geschwächt wird. Vier Fünftel der ursprünglich bewaldeten Erdoberfläche sind abgeholzt oder degradiert, vom Rest sind 40 Prozent bedroht. Die Lunte brennt an beiden Enden.
Und wie sich Kohlendioxid und die anderen „Treibhaus“-Gase in der Atmosphäre anreichern, so schießt auch die Quecksilbersäule in die Höhe. Die neun wärmsten Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen wurden nach 1988 gemessen. 1998 war die Abweichung vom Mittelwert so groß, dass es als das heißeste Jahr des Jahrtausendes gilt.
Global gesehen bedeutet das einen Temperaturanstieg von 0,65° C, was auf den ersten Blick nicht viel erscheint. Doch der Anstieg ist der schnellste Zuwachs innerhalb der letzten 10.000 Jahre. Und zweitens handelt es sich um einen Mittelwert, der extreme Höchst- und Tiefstwerte verschleiert. Die Erwärmung erfolgt nicht gleichmäßig. So beträgt der Temperaturanstieg an manchen polaren Messstationen bis zu fünf Grad. Und dort, wo durch die Abholzung weite, offene Landstriche entstanden sind, die die Hitze im Boden speichern, klettert das Quecksilber in schier verrückte Höhen.
Die Wetter zeigt sich immer öfter von seiner zerstörerischen Seite. Es wird zunehmend unberechenbar. Diese Entwicklung entspricht ziemlich exakt den Prognosen der Klimaforscher: mehr und heftigere Stürme,vermehrte Regenfälle, die in Küstenregionen zum Anstieg des Wasserspiegels und in der Folge häufiger zu Überflutungen führen, während im Inneren der Kontinente ganze Gebiete austrocknen, heißere Sommer heißer und entweder mildere – oder strengere Winter.
Und überall strebt Leben nach Anpassung: Gebirgspflanzen klettern immer höher, um in kühlere Zonen zu gelangen, tropische Fische strömen ins Mittelmeer und bedrohen dort heimische Arten, die BewohnerInnen der Bergregionen von Ruanda und Kenia werden von Malaria und Gelbfieber heimgesucht, weil die Moskitos dort vom Temperaturanstieg profitieren. In Alaska sind indigene Frauen entsetzt über einen unbekannten Schädling, der ihnen neuerdings ihren Wintervorrat streitig macht: kleine Raupen mit einem Riesenappetit auf Grünes. Die Seevögel der Region fallen vor Hunger tot auf die Erde, weil sich ihre natürliche Nahrung, die Fische, auf den Weg in entfernte kühlere Gewässer aufgemacht haben.
Von Neuseeland bis Peru ziehen sich die Gletscher zurück und lassen die Flüsse, die von ihnen gespeist werden, über Monate ausgetrocknet. Die Bevölkerung Nord-Koreas befindet sich im fünften Jahr einer Hungersnot – eine unmittelbare Folge von verheerenden Sturm- und Flutkatastrophen. Die Zahl der Todesopfer liegt bereits über 2 Millionen. In Bangladesch hat man sich inzwischen daran gewöhnt, dass die jahreszeitlich bedingten Überschwemmungen immer verheerender werden. Die Bäuerinnen und Bauern legen erhöhte Felder an – mit Süßwasserbecken mit Fischbestand, damit sie die Überflutungen besser überstehen.
Den fruchtbaren Küstenebenen Bangladeschs wird ein endgültiges Absinken unter den Meeresspiegel bis zum Ende dieses Jahrhunderts vorausgesagt. Wie soll dann die Bevölkerung ernährt werden können?
Die Zahl der Umweltflüchtlinge wird derzeit auf 25 Millionen weltweit geschätzt, mehr als alle anderen Flüchtlinge zusammengenommen. Da die Betroffenen aber meist in angrenzende Länder fliehen, bleiben sie für den reichen Westen größtenteils unsichtbar.
Afrika, ohnehin der Kontinent mit dem größten Ernährungsproblem, wird laut Klimaprognosen auch künftig am stärksten unter Dürre und fortschreitender Wüstenbildung leiden. Ein Land wie Ägypten könnte in einem solchen Katastrophenszenario von zwei Seiten zerstört werden: die Küstengebiete durch Überflutung und Versalzung, das Landesinnere durch andauernde Trockenheit.
Das folgende Untergangsszenario ist zwar hypothetisch, aber nichtsdestoweniger wahrscheinlich: Während sich in der Atmosphäre immer mehr Treibhausgase ansammeln, steigen die Temperaturen kontinuierlich an. Die Wälder vertrockenen und sterben ab oder verbrennen. Weltweit wird unvermindert weiter abgeholzt und so der natürliche Kohlendioxid-Abbau zusätzlich geschwächt. Vergletscherte Regionen schmelzen und die neu freigelegten Erdoberflächen speichern nun die Sonnenwärme, anstatt sie zu reflektieren. Die seit Urzeiten gefrorene Tundravegetation beginnt zu verrotten und setzt weiteres Kohlendioxid und Methan frei. Die angeschwollenen Ozeane überfluten die dicht besiedelten Küstenregionen. Im Zuge ihrer Erwärmung verlieren sie ihre Fähigkeit, Kohlendioxid zu absorbieren und könnten sogar beginnen, eingelagertes Gas – schätzungsweise das 50-fache des in der Atmosphäre befindlichen Volumens – wieder freizusetzen.
Am 23. Juni 1988 warnte James Hansen, ein Klimaforscher des NASA Goddard Institute, bei einem Symposion in Washington davor, dass sich die Erde als Folge der Anreicherung der Treibhausgase kontinuierlich erwärme und dass mit dem vermehrten Auftreten von Dürre- und Überschwemmungskatastrophen zu rechnen sei. (Seine Mahnung erfolgte damals knapp hundert Jahre, nachdem der schwedische Wissenschaftler Svante Arrhenius erstmals einen Zusammenhang zwischen industriellen CO2- Emissionen und einer Klimaveränderung hergestellt hatte).
Nach Hansens Rede richtete die UNO das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), ein. Diese Expertenkommission besteht aus über 2.500 WissenschaftlerInnen aus aller Welt. Sieben Jahre später legte das Gremium seinen Bericht vor und bestätigte darin einen „feststellbaren menschlichen Einfluss auf das Weltklima“.
Seither hat das IPCC seine Modelle zur Vorhersage von klimatischen Veränderungen laufend verbessert. Um sie auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, wurden die neuen Methoden auch rückwirkend angewandt. Dabei stellte sich heraus, dass die errechneten Prognosen sich erstaunlich genau mit den tatsächlichen Wetterereignissen deckten.
Die Botschaft war also klar: Der von Menschenhand erzeugte Ausstoß von Treibhausgasen muss ebenso drastisch reduziert werden wie die Verwendung von fossilen Brennstoffen.
Ende 1997 trafen sich die Regierungen der Welt in Kyoto, um über die die Reduktion von Emissionen zu verhandeln. Dabei legte praktisch jede Nation ungeschminkt ihre Eigeninteressen auf den Verhandlungstisch. Die „Allianz Kleiner Inselstaaten“, deren Mitgliedsländern bei einem Anstieg der Weltmeere die Überflutung droht, forderten mit einer Reduktion der Emissionen um 20 Prozent der Werte von 1990 die größte Einschränkung. Den Gegenvorschlag einiger Länder, es wäre billiger, die Bevölkerung der Inseln umzusiedeln, beklagte der Premierminister von Tuvalu als „ausgesprochen unsensibel und verantwortungslos“.
Die USA, der weltgrößte Verursacher von Treibhausgasen, sowie Kanada bestanden darauf, dass sich die Länder der Dritten Welt ebenfalls zu Einschränkungen bereit erklärten.Was Zhong Shukong, der Delegierte der VR China, wie folgt kommentierte: „In den Staaten der Ersten Welt sitzen in jedem fahrenden Auto höchstens zwei Leute, und ihr wollt uns unsere Autobusse verbieten!“ Dem kann man höchstens noch hinzufügen, dass es allein in der Gegend von Los Angeles mehr Autos gibt als in ganz China.
Die reichen Öl produzierenden Staaten des Mittleren Ostens stimmten gegen jeden Antrag, der ihren Lebensunterhalt bedrohen könnte.
Es überraschte nicht, dass als Ergebnis aus diesem Gewirr an Standpunkten das niedrige
Reduktionsziel von 5,2 Prozent der Werte des Stichjahres 1990 formuliert wurde.
Trotz der großen Differenz zu der von den Klimaforschern ursprünglich geforderten 60- bis 70-prozentigen Reduktion, ein De-facto-Ausstieg aus der fossilen Energie, zumindest ein erster Anfang.
Erstaunlicherweise sind es nicht die UmweltaktivistInnen, die in diesem „Du-Zuerst“-Spiel am radikalsten nach Aktionen rufen, sondern die Wissenschaftler des IPCC. Sie fordern von den westlichen Regierungen, die Bekämpfung der Armut an erste Stelle zu reihen, da gerade arme Völker oft gezwungen sind, in ihrem Überlebenskampf zum Schaden der Umwelt zu handeln und damit die Auswirkungen der Klimaveränderung noch verstärken. Der Westen sollte technisches Know-how und finanzielle Hilfe zur Verfügung stellen, um den Dritte-Welt-Staaten einen Umstieg auf umweltfreundlichere Energieformen zu ermöglichen, ohne dabei ihre wirtschaftliche Entwicklung zu gefährden.
Und tatsächlich würden viele dieser Länder gerne weniger abhängig von Erdöl und Kohle sein. Auch wenn sie betonen, dass ihr Anteil an den Treibhausgasen historisch bedingt winzig sei (weniger als zehn Prozent) und sie sich diesbeszüglich vom Westen nicht bevormunden lassen wollen.
Das zweitgrößte Windkraftwerk der Welt mit 2.000 Turbinen steht in Südindien. In Kenia beziehen in ländlichen Gebieten mehr Haushalte ihren Strom aus Solaranlagen als von den staatlichen Energieversorgern. Und in Vietnam erzeugen Bauern aus landwirtschaftlichen Abfällen ein Biogas, das relativ rückstandsfrei verbrennt.
Die Erde bracht nichts Geringeres als eine Revolution in der Energiegewinnung. Wir verfügen längst über die nötigen technologischen Voraussetzungen, um den weltweiten Energiebedarf auf saubere Art zu produzieren. Was bisher noch fehlt, ist die Finanzierung.
Die aktuellen Subventionen für fossile Brennstoffe in der Höhe von 300 Milliarden US-$ zu erneuerbaren Energiequellen umzuschichten, wäre ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung.
Copyright: New Internationalist
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