Strom aus Muskelkraft

Von Hermann Klosius · · 2002/02

Von Hand aufziehbare elektrische Geräte wie Radios, Mobiltelefone und bald auch Computer erleichtern im Süden den Zugang zu moderner Informationstechnologie. Doch die Geräte sind für Afrika zu teuer.

Es war Anfang der neunziger Jahre, als der britische Erfinder Trevor Baylis eine BBC-Dokumentation über AIDS im ländlichen Afrika sah. Darin wurden die hohe Analphabetenrate und der Mangel an Radios – sowie von elektrischem Strom und Batterien für ihren Betrieb – für die Uninformiertheit der Bevölkerung und die rasche Ausbreitung der Krankheit verantwortlich gemacht. Trevor hatte eine Eingebung und ruhte nicht, ehe er den Prototyp eines von einer aufziehbaren Stahlfeder über einen Generator gespeisten Radios gebaut hatte. 30 Sekunden lang mit Hilfe einer Handkurbel aufgezogen, spielte es 14 Minuten lang.
Die Erfindung wurde zunächst als Spielerei abgetan. Erst als im Juni 1994 die BBC-Dokumentation „Die Welt von morgen“ darüber berichtete, konnte die Umsetzung der Idee beginnen: Der Finanzexperte Christopher Staines und der Unternehmer Rory Stear aus Südafrika setzten sich mit Baylis in Verbindung und gründeten in der Folge in Kapstadt die Firma BayGen, die 1996 die Produktion der ersten „Freeplay“-Radios aufnahm.
Obwohl ursprünglich für Afrika gedacht, erwies sich das – von BBC schon nach wenigen Monaten ausgezeichnete – Produkt vor allem im Norden als Verkaufshit, wo inzwischen eine Million Geräte abgesetzt wurden. Die Firmen Sony, Philips und Aiwa sprangen auf den fahrenden Zug auf und brachten eigene aufziehbare Radios auf den Markt.
Bald wurde die Produktpalette von Freeplay (wie sich BayGen inzwischen nennt) um aufziehbare Taschenlampen bereichert, doch der Sprung zu handbetriebenen Mobiltelefonen und Laptop-Computern erwies sich wegen des deutlich höheren Energiebedarfs zunächst als fast unlösbare Herausforderung. Erst die Weiterentwicklung des ursprünglichen Konzepts – die Muskelkraft wird dabei in einer wiederaufladbaren Batterie gespeichert – hat es Freeplay kürzlich ermöglicht, ein in Zusammenarbeit mit Motorola produziertes aufziehbares Ladegerät für Handys zu präsentieren. Weitere Geräte, vom Walkman über GPS-Empfänger, MP3-Player, Pager bis zu Minendetektoren (im Auftrag der US-Armee), sollen demnächst mit dieser Technologie ausgestattet werden.

Baylis’ Visionen für die Dritte Welt drohen inzwischen allerdings auf der Strecke zu bleiben. Bezeichnend dafür ist die von Freeplay im Mai bekannt gegebene Entscheidung, die Produktion aus Kostengründen von Südafrika nach China zu verlegen. Der afrikanische Markt bietet kaum Absatzmöglichkeiten, und das Unternehmen erzielt nur ein Fünftel seines Umsatzes (von zuletzt etwa 40 Mio. Dollar) über Regierungen und NGOs, seine ursprünglich wichtigsten Zielgruppen, den Großteil aber über Händler in den USA und Europa.
John Hutchinson, der technische Direktor von Freeplay, gibt zu, dass der Preis eines Ladegeräts mit etwa 45 britischen Pfund (72 Euro) „für den Markt eines Entwicklungslandes zu hoch“ ist. Das Unternehmen arbeite an einer billigeren Version. Doch obwohl die Freeplay-Radios in Afrika um die Hälfte ihres Preises in Europa angeboten werden, übersteigt das die Möglichkeiten der Ärmsten. Die bisher in Entwicklungsländern abgesetzten 170.000 Exemplare wurden fast zur Gänze von Hilfsorganisationen oder Regierungen finanziert.
Auch wenn die Kostenfrage einer weiteren Verbreitung dieser Technologie im Süden noch im Wege steht, schafft doch der Markt im Norden erst die Voraussetzung für ihre Weiterentwicklung und damit auch für ihren Einsatz im Kampf gegen die Armut. In diesem Sinn könnte sich der Kauf eines durch Muskelkraft angetriebenen Gerätes letztlich als nicht nur die eigene Geldbörse schonende, sondern auch entwicklungspolitisch sinnvolle Investition erweisen.

Hermann Klosius ist freier Journalist und Redakteur der Zeitschrift „Lateinamerika Anders Panorama“. Er lebt in Wien.

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