Immer wieder flammen bewaffnete Kämpfe auf, doch die Chance auf ein Ende der Gewalt in Kolumbien ist greifbar. Im Herbst könnte das Friedensabkommen unterzeichnet werden. Ein Bericht von Werner Hörtner.
Am 21. Februar diesen Jahres ernannte US-Präsident Obama den Diplomaten Bernard Aronson zum Sonderbeauftragten für den kolumbianischen Friedensdialog in Kubas Hauptstadt Havanna. Die FARC-Guerilla steht zwar weiterhin auf Washingtons Liste der Terrororganisationen und ihre Führer sind international zur Verhaftung ausgeschrieben, doch haben sich die FARC („Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens“) bereits im Rahmen der Friedensverhandlungen verpflichtet, alle Drogenhandelsaktivitäten einzustellen. Der Ton zwischen den beiden Erzfeinden hat sich daraufhin abrupt geändert. „Wir bedanken uns für das Vertrauen der Regierung von Barack Obama und seinem Außenminister Kerry“, teilte die FARC-Delegation in Havanna in einer Presseaussendung nach der Ernennung Aronsons mit.
Ein weiteres Anzeichen für die internationale Aufmerksamkeit und Wertschätzung für den kolumbianischen Friedensprozess ist auch die Tatsache, dass der deutsche Außenminister Steinmeier Anfang April den Abgeordneten der Grünen Tom Koenigs zum Sonderbeauftragten für den Friedensdialog in Kolumbien ernannte. „Wir stehen auf der Seite jener Kräfte, die einen Frieden erreichen wollen“, kommentierte der in internationalen Friedensprozessen erfahrene Grünpolitiker die Position seines Landes, womit er deutlich dem Lager rund um den Expräsidenten Álvaro Uribe Vélez eine Absage erteilte. Deutschland will Kolumbien im Friedensprozess und auch in der Postkonfliktphase verstärkt unterstützen.
Ein Auf und Ab. Im November 2012 starteten die Verhandlungen in der kubanischen Hauptstadt Havanna zwischen den hochrangig besetzten Delegationen der Regierung und der FARC-Guerilla. Nach einem vielversprechenden Beginn, in dem ein Teilabkommen über das wichtige Thema Agrarpolitik ausgehandelt wurde, folgte ein Tief, das wegen des schleppenden Fortgangs des Prozesses zu einer wachsenden Skepsis in der Bevölkerung führte. Die Entführung des Generals Alzate im November des Vorjahres durch ein FARC-Kommando veranlasste Staatspräsident Juan Manuel Santos zu einer temporären Suspendierung der Gespräche, die dann jedoch mit neuem Schwung wieder fortgesetzt wurden.
Beobachter des Dialogs in Havanna loben die sachliche Verhandlungsführung und das gute Klima zwischen den beiden Konfliktparteien, deren nicht deklarierter Krieg im letzten halben Jahrhundert über 220.000 Menschenleben forderte und mehr als fünf Millionen Menschen zu Binnenflüchtlingen machte. Wobei auf der Seite der Regierung noch die mörderischen Todesschwadronen der Paramilitärs und im gegnerischen Lager weitere Guerilla-Organisationen aktiv waren.
Kämpfen bis zuletzt. Der Friedensprozess wurde von Anfang an ohne begleitenden Waffenstillstand, das heißt unter Beibehaltung der bewaffneten Auseinandersetzungen, geführt – auch wenn diese auf Sparflamme liefen. Im vergangenen Dezember erklärten die FARC einen einseitigen Waffenstillstand; eine beiderseitige Einstellung der Kämpfe lag in Reichweite. Doch im April überfiel im südkolumbianischen Departement Cauca eine FARC-Einheit nachts ein Militärlager und tötete elf Soldaten, offenbar ohne Kenntnis der nationalen Leitung der Guerilla. Daraufhin begann die Regierung wieder ihre Luftangriffe und tötete in kurzer Zeit über 40 FARC-Kämpferinnen und -Kämpfer, darunter ein früheres Mitglied des Verhandlungsteams in Havanna.
Das Departement Cauca ist eine unruhige Gegend, mit einem starken indigenen Bevölkerungsanteil. Ende 2014 war dort wieder einmal ein Landkonflikt zwischen den Nasa, mit ca. 150.000 Menschen die zweitgrößte indigene Ethnie im Land, und Großgrundbesitzern ausgebrochen. Nasa-Gemeinden hatten im Rahmen ihrer Kampagne „Befreiung der Mutter Erde“ Landgüter besetzt, um dort Lebensmittel für den Eigenkonsum anzupflanzen, woraufhin die Armee die Region militarisierte und – in offener Zusammenarbeit mit paramilitärischen Einheiten – indigene Aktivisten liquidierte. Der Konflikt wird wohl noch länger anhalten. Nicht einmal die spanischen Konquistadoren hatten die widerstandserprobten Nasa unterwerfen können.
Einsatz für den Frieden. Als ich Aída Avella, die Vorsitzende der Linkspartei „Unión Patriótica“ (UP), in ihrem Büro in Bogotá besuche, ist sie gerade von einem Besuch aus dem Departement Cauca zurückgekommen. Sie übergibt mir die Kopie eines Protestschreibens an den Staatspräsidenten, in dem sie diesen über die offene Zusammenarbeit der Armee mit den illegalen und kriminellen paramilitärischen Banden, die sie in der Konfliktregion beobachten konnte, unterrichtet. Der Staatschef müsste über diese für viele Menschen lebensgefährliche Kooperation jedoch bestens Bescheid wissen. Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ veröffentlichte im Mai einen Bericht über die Verfolgung und Bedrohung von Medienschaffenden durch paramilitärische Gruppen. Und im Dezember des Vorjahres wurde bekannt, dass die paramilitärische Organisation „Schwarze Adler“ per Mail 16 Journalisten und Mitarbeiterinnen alternativer Medien mit dem Tod bedroht hatte.
Aída Avella hat mehr als 17 Jahre in der Schweiz im Exil verbracht. Vor eineinhalb Jahren ist sie in ihre Heimat zurückgekehrt, um an den Präsidentschaftswahlen im Mai 2014 teilzunehmen. Sie spricht sich mit Nachdruck für ein Ende des bewaffneten Dauerkonfliktes aus: „Wir haben jetzt schon 200 Jahre erklärter oder nicht erklärter Kriege hinter uns. Wenn es die jetzige Generation schafft, einen Frieden durchzusetzen, so wird das einen wichtigen Einschnitt in unserer Geschichte darstellen.“ Hinter der Gewalt gegen regime- oder systemkritische Menschen stehe eine programmierte Politik des Staates, so die Linkspolitikerin, auf die im letzten Präsidentschaftswahlkampf wieder einmal ein Attentat verübt wurde. Der Eingang zum Parteisitz der UP ist durch etwa acht Mann Sicherheitspersonal geschützt.
Schwierige Aufgabe. Trotz des Aufflammens der bewaffneten Auseinandersetzungen wurden die Verhandlungen in Havanna am 25. Mai wieder aufgenommen. Es steht nun das heikle Thema der so genannten „Transitionsjustiz“ auf der Tagesordnung. Dabei geht es um die juridische Aufarbeitung schwerer Menschenrechtsverletzungen im Rahmen des bewaffneten Konflikts. Die Autoren dieser Verbrechen haben kein Interesse daran, einen Friedensschluss mit einem Gefängnisaufenthalt zu bezahlen. Angedacht sind Modelle alternativer Strafformen, etwa Hausarrest oder Sozialarbeit.
Trotz der Komplexität der noch auszuverhandelnden Themen wünscht sich Präsident Santos die Unterzeichnung eines Friedensabkommens bereits zum Zeitpunkt der Kommunal- und Regionalwahlen im kommenden Oktober.
Werner Hörtner war langjähriger Mitarbeiter des Südwind-Magazins, Lateinamerika-Experte und Solidaritätsaktivist. Im Frühling hat er das letzte Mal Kolumbien besucht. Im Juni ist er bei einer Wanderung durch die Karpaten verstorben (siehe Nachruf S. 3).
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