„Stimme der Frauen“

Von Margit Niederhuber · · 2001/02

Der Anspruch eines Frauenprojektes der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit in Mosambik ist ein mehrfacher: Ausbildung von Journalistinnen und Stärkung der weiblichen Bevölkerung durch spezielle Radiosendungen. Der Beitrag zur Erhaltung der Sprachenvielfalt ist dabei ein gewollter Effekt.

Ich denke zurück an den Beginn im Jahr 1997. Die Grundidee war einfach: Mosambikanische Frauen sollten in mosambikanischen Sprachen Zugang zu Informationen bekommen. Noch immer kann ungefähr die Hälfte aller Frauen in Mosambik nicht lesen und schreiben, was fast immer gleichbedeutend damit ist, dass sie auch nicht genügend Portugiesisch, die Amtssprache, sprechen.
Wie sollen die Frauen dann mitreden, wenn es um die Dinge geht, die ihr tägliches Leben betreffen: Familienplanung, Wahlen, Erbschaft, Kindererziehung, Landrecht, Alphabetisierungskurse, Landwirtschaft. Die Liste ist endlos.
Das Projekt „Stimme der Frauen“ ist bei „Radio Mosambik“ angesiedelt. Die Finanzierung kommt von der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit im Außenministerium. Projektträger ist das Nord-Süd-Institut in Wien. Die Laufzeit ist vorerst mit Juni 2001 begrenzt.
Der nächste Schritt zur Verwirklichung der Idee war, junge Frauen, die Maturaniveau hatten und zweisprachig waren, zu Wnden und mit ihnen ein intensives Trainingsprogramm durchzuführen. Das war gar nicht so leicht, denn das mosambikanische Schulsystem ist auf Portugiesisch ausgerichtet und ganz wenige junge Menschen beschäftigen sich mit afrikanischen Sprachen. Schließlich fanden wir 30 junge Frauen, die an einer Arbeit im Radio Interesse hatten, und begannen mit der Ausbildung.

Ich erinnere mich gut an das erste Seminar in der Hauptstadt Maputo, im Juli 1997. Vertreterinnen aller wichtigen nationalen Frauen-NGOs waren vertreten, um über ihre Arbeit zu informieren, Ideen auszutauschen. Man wollte mit den Journalistinnen Wege Wnden, diese Informationen in geeigneter Form in allen zehn Provinzradiosendern zu verarbeiten.

Viele Themen wurden besprochen, etwa Gewalt in der Familie. Eine NGO von Juristinnen klärte über wichtige Gesetze auf, zum Beispiel über jene zum Schutz von Witwen oder darüber, dass es wichtig sei, Kinder registrieren zu lassen. Erfolgreiche Frauenkooperativen aus der Umgebung von Maputo erzählten von ihren Bemühungen, ihr frisches Gemüse und ihr Kleinvieh auf den Markt zu bringen.
Für viele der jungen zukünftigen Journalistinnen war dieses Seminar ein großer Schritt in eine neue Welt, und einigen war es auch ein Ansporn, mit ihrer Arbeit etwas bewirken zu wollen. Es war wirklich spannend zu sehen, wie sich diese Frauen langsam veränderten, selbstbewusster und bestimmter wurden und ihren Platz in dieser neuen Aufgabe fanden.
Schon bald nach Programmstart war klar: Die von den Journalistinnen gestalteten Sendungen sind für viele Menschen, nicht nur für Frauen, wichtig. In entlegenen Gegenden ist das Radio das einzige Massenkommunikationsmittel. Man erreicht damit nicht nur eine Einzelperson, sondern eine Familie oder eine Gruppe von Frauen, die zusammenarbeiten. Sie alle hören gemeinsam diese Sendungen.

Mit UN-Organisationen wurden weitere Seminare und Wettbewerbe für die Journalistinnen organisiert. In einem davon ging es um die Versuche von Frauen, in Krisensituationen das Überleben ganzer Familien oder Dörfer zu sichern. Eine Journalistin erzählte die Geschichte von Dorffrauen, die ins Nachbarland gingen, dort Mehl kauften und zurück im Dorf Brot buken, es verkauften und neues Mehl beschaffen konnten.
In einem anderen Seminar ging es um HIV/Aids. In einem Land, in dem HIV/ Aids unter heterosexuellen Paaren weit verbreitet ist, ist es wichtig, den Frauen genügend Informationen zu liefern, offen über Sexualität zu reden und über Maßnahmen, sich vor Ansteckung zu schützen.
Ein Frauenprogramm, das gut im Radioprogramm und unter den HörerInnen verankert ist, kann in diesem Fall sogar Leben retten. Es kann aber noch anderes bewirken. Es kann den Frauen Kraft geben, sich einzumischen – im Dorf, in den Vorstädten, in den Stadtteilen. Überall dort, wo versucht wird, sie an ihrer Weiterentwicklung zu hindern. Es ist dabei egal, ob es gegen Gewalt gegen Frauen geht oder um den Aufbau von unabhängigen Medien in einem Land, in dem sich langsam eine Zivilgesellschaft herausbildet.

Mosambik ist flächenmäßig etwa zehnmal so groß wie Österreich, hat aber nur doppelt so viele EinwohnerInnen. Das ist auch der Grund, warum sich eine gewisse sprachliche Vielfalt erhalten konnte. Es gibt noch ungefähr zwanzig Sprachfamilien und eine Reihe von Dialekten. Das ist einerseits positiv, andererseits behindern zu viele Sprachen eine Modernisierung.
Vor der Unabhängigkeit konnte nur eine kleine Gruppe von MosambikanerInnen die Kolonialsprache Portugiesisch. 1975 waren 95 Prozent der Bevölkerung AnalphabetInnen.

Die neue Regierung entschied sich für Portugiesisch als Amtssprache vor allem aus zwei Gründen:

Einerseits konnte dadurch keine der mosambikanischen Sprachen und keine der ethnischen Gruppen die Vorherrschaft gewinnen.
Zweitens hatte die portugiesische Kolonialmacht die afrikanischen Sprachen diskriminiert, und es gab keinerlei Forschungen darüber, keine Grammatiken und keine Lexika. Wenn diese Sprachen im Schulunterricht verwendet werden sollen, wäre dies aber eine Grundvoraussetzung.
Seit den achtziger Jahren gibt es auf der Universität und außerhalb Arbeitsgruppen, die einheimische Sprachen untersuchen und „modernisieren“. Radio-JournalistInnen sind dabei. So auch die jungen Frauen aus unserem Projekt. In diesen Gruppen wird versucht, sprachliche Strukturen festzulegen und zu standardisieren. Ein wichtiger Teil der Arbeit ist daneben die Modernisierung des Vokabulars.

Wie kann zum Beispiel das Wort „Kandidatin“ für Gemeinderats- oder Parlamentswahlen übersetzt werden? Wie können neue Begriffe aus dem Bereich der Gynäkologie oder der Aids-Forschung so ausgedrückt werden, dass die Menschen damit auch etwas anfangen können. Viele der „SpezialistInnen“ sitzen in den Dörfern. Sie müssen aufgesucht werden, um gemeinsam mit ihnen geeignete Wörter zu Wnden.
Dabei ist das Radioprojekt in zweierlei Hinsicht von Nutzen: Erstens können Projektmittel dafür eingesetzt werden – für Aufenthalte in Dörfern, Treffen verschiedener ExpertInnen, für Seminare oder die Aufstellung von Wortlisten etc. Zweitens kann die Kompetenz von Frauen auch in diesem Bereich gestärkt werden, und weibliche Lebenszusammenhänge werden aus der Sprache nicht ausgeklammert.

Natürlich war und ist der Projektfortschritt nicht geradlinig. Es gab auch eine Menge Rückschläge. Nicht alle Frauen waren gleich motiviert. In der strikten Hierarchie von „Radio Mosambik“ waren viele Hürden eingebaut. In der Entwicklungszusammenarbeit gibt es genügend Lippenbekenntnisse zur Gleichberechtigung. In einigen Provinzsendern änderte sich das Bild der dortigen Radiostationen ziemlich deutlich. Vor dem Projekt hatte keine einzige Frau mitgearbeitet, und plötzlich waren bis zu vier Frauen im Team. Noch dazu waren diese Frauen manchmal besser ausgebildet als ihre Kollegen und hatten aufgrund der Projektgelder mehr technische Geräte und mehr Möglichkeiten für Recherchen in der gesamten Provinz.

Unser zweites Projektziel, den Frauenanteil unter den Journalistinnen in „Radio Mosambik“ zu erhöhen, haben wir erreicht. Doch der Prozess der Integration der Journalistinnen dauerte lange und war mühsam. Trotzdem scheint er gelungen zu sein.
Von den 30 Frauen wurden bereits 24 von „Radio Mosambik“ angestellt. Einige Journalistinnen haben das Projekt verlassen, drei sind gestorben – zwei an Malaria und eine im Alter von 25 Jahren an einer Herzkrankheit. Wer denkt bei einem Projekt mit jungen Menschen an den Tod? Immer wieder wird man plötzlich damit konfrontiert, in einem der ärmsten Länder der Welt zu arbeiten, in dem die Auswirkungen von Krieg und Hunger zu spüren sind.

Im Oktober 2000 bekam das Projekt „Stimme der Frauen“ von „Radio Mosambik“ einen renommierten Radiopreis der Commonwealth Broadcasting Association zuerkannt.

Margit Niederhuber war von 1997 bis 1999 Projektleiterin der „Stimme der Frauen“ in Mosambik. Sie arbeitet derzeit im Johanna Dohnal/Bruno Kreisky-Archiv an einem internationalen Projekt zur vergleichenden Genderforschung.

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