Die berühmte „Tobin-Steuer“ könnte technisch und wirtschaftlich problemlos eingeführt werden, wenn der politische Wille dazu bestünde, meint der belgische Steuerexperte Lieven A. Denys.
Als Anwalt für internationales Steuerrecht war ich zwar ziemlich skeptisch, als ich erstmals von der Tobin-Steuer, der so genannten CTT („Currency Transaction Tax“ – Devisentransaktionssteuer) hörte, musste aber meine Meinung ändern, nachdem ich mich näher mit ihrer Machbarkeit und Umsetzung befasst hatte. Es war der sehr innovative und einfache Charakter der Vorschläge, der mich überzeugt hat.
Die CTT ist eine marktverträgliche Steuer auf internationale Finanztransaktionen, die von der weltweiten Liberalisierung profitieren. Sie ist keine Steuer auf Personen oder Unternehmen, sondern eine objektorientierte Steuer in einem neuen Bereich, in dem der internationale Finanzsektor völlige Steuerfreiheit genießt. Die Steuer wird Konsumentinnen und Konsumenten, Haushalte und ArbeitnehmerInnen, die bereits die meisten herkömmlichen Steuern bezahlen, nicht belasten. Mit der CTT kann das Gleichgewicht wiederhergestellt werden.
Die Devisentransaktionssteuer sieht einen außergewöhnlich niedrigen Steuersatz vor (0,02%), weshalb der Anreiz zu ihrer Vermeidung oder Hinterziehung geringer als bei herkömmlichen Steuern sein dürfte. Außerdem ist das geplante Erhebungsverfahren beinahe völlig betrugssicher, und sie hat ein sehr hohes Ertragspotenzial, denn sie wird auf eine sehr breite Steuerbasis erhoben. Der weltweite Devisenmarkt hat ein Umsatzvolumen von 400 – 500.000 Mrd. US-Dollar im Jahr. Bereits in einer halben Stunde werden ca. 135 Mrd. Dollar umgesetzt, was den finanziellen Ressourcen für die Realisierung der Millenniums-Entwicklungsziele (MDG) laut dem UN-Bericht von Jeffrey Sachs entspricht.
Die CTT wird bei einer sehr geringen Zahl von Steuerpflichtigen auf der Großhandelsebene eingehoben, was ihre Realisierung erleichtert. Sie ist sogar einfacher einzuheben als eine Mehrwertsteuer (MwSt), die in den letzten Jahrzehnten in mehr als 80 Ländern eingeführt wurde. Die MwSt ist selbst in die Buchhaltung kleinster Unternehmen integriert. Die CTT wäre eine Mehrwertsteuer „ultralight“, aber für den internationalen Finanzsektor, der derzeit keine bezahlt. Die weltweite Eintreibung der Software-Lizenzgebühren in den unterschiedlichsten Ländern durch Microsoft ist weit schwieriger als die Einhebung der CTT beim bestorganisierten Sektor der Weltwirtschaft, dem Finanzsektor, der den Devisenmarkt über stark zentralisierte Zahlungs- und Abwicklungssysteme verwaltet.
Ein oft geäußerter Einwand gegen die CTT ist die Gefahr einer „Delokalisierung“ der Finanzmärkte mit dem Ziel, die Steuer zu vermeiden. Das beruht auf einem Missverständnis. Die Lokalisierung ist bei der CTT nicht wirklich relevant. Worauf es ankommt, ist der Standort der Zentralbanken. Solange die Zentralbanken nicht in Steuerparadiese abwandern, wird Steuervermeidung kein Problem sein.
Die Steuer wird auf der Großhandelsebene des Finanzsektors erhoben, d.h. bei Zahlungs- und Abwicklungssystemen, die mit den Zentralbanken verbunden sind. Da Zentralbanken ihre Währungen kontrollieren, können sie sich letztlich über alle Transaktionen in ihrer Währung informieren, wo immer diese erfolgen. Ein Devisengeschäft unter Einschluss von Euro zwischen einer US-Bank in einem Steuerparadies und einer japanischen Bank kann letztlich über das Abwicklungs- und Zahlungssystem in der Eurozone aufgespürt werden.
Die relevanten Devisentransaktionen belaufen sich im Schnitt auf zehn Mio. Dollar. Wer würde diesen Betrag mit einer obskuren Gegenpartei in einem Steuerparadies gegen Yen wechseln, wenn das internationale Finanzsystem die Rechtssicherheit des Geschäfts nicht garantieren kann? Europa zu verlassen wäre unrealistisch und zu teuer; die Kosten würden den Steuervorteil bei weitem aufwiegen.
Oft wird auch argumentiert, eine CTT könnte die internationalen Kapitalmärkte beeinträchtigen. Doch mit ihrem extrem geringen Satz von 1:10.000 würde sie die Kapitalflüsse ebenso wenig beeinträchtigen wie Windmühlen die Geschwindigkeit des Windes. Nach verlässlichen Informationen aus dem Finanzsektor kann die CTT ohne besondere Probleme verkraftet werden.
Es ist auch möglich, eine CTT in den Ländern der Eurozone einzuführen. Dazu müssen weder Souveränitätsrechte abgegeben noch neue internationale Institutionen gegründet werden, und auch die Realwirtschaft wäre nicht beeinträchtigt. Die Zentralbanken müssten sich zwar auf die technische Durchführung einigen, aber das einzige wirkliche Problem ist der politische Wille. Die EU hat mit ihren MwSt- und Zollbestimmungen Probleme einer ganz anderen Größenordnung bewältigt.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat eine negative Stellungnahme zum Vorschlag abgegeben. In ihrer ökonomischen Analyse bezieht sie sich jedoch auf die erste Version der Tobin-Steuer und ignoriert die Spahn-Version*. In ihrer rechtlichen Analyse behandelt sie die Freiheit des Kapitalverkehrs als absoluten Grundsatz des EU-Rechts, aber offensichtlich hat die EZB die Urteile des Europäischen Gerichtshofs nicht gelesen, wonach der Grundsatz der Kapitalverkehrsfreiheit gegen andere in den EU-Verträgen verankerte Grundsätze wie etwa jene der Sozial-, Landwirtschafts- oder Umweltpolitik abzuwägen ist. Abgesehen von der Schaffung eines freien Binnenmarkts sind auch die nachhaltige Entwicklung der Entwicklungsländer, insbesondere der ärmsten unter ihnen, die Integration dieser Länder in die Weltwirtschaft und der Kampf gegen die Armut grundlegende Ziele der EU-Verträge.
*) Nach dem deutschen Finanzökonomen Paul Bernd Spahn sollte die CTT mit einer (weit höheren) Zusatzsteuer bei spekulativen Wechselkursschwankungen kombiniert werden.
Der Autor ist Anwalt und Professor für Europäisches und Internationales Steuerrecht an der Freien Universität Brüssel und Experte für Devisentransaktionssteuern.