Die schleichende „Disneyfizierung“ der urbanen Ballungsräume schreitet voran: Konsum und Unterhaltung in einer streng kontrollierten Fantasiewelt. Schauen so die Städte der Zukunft aus?
Die vollkommen überdachte und klimatisierte virtuelle Welt soll neben einem Hollywood-Themenpark, komplett mit Riesenleinwand und Multiplex-Kino, eine 150 Meter lange Schiabfahrt, eine Wildwasser-Rafting-Strecke und einen alpinen Klettergarten beherbergen. Weitere geplante Attraktionen: ein künstlicher Regenwald sowie die vollständige Rekonstruktion der Bourbon Street, der „Wiege des Jazz, diesem“ Touristenanziehungspunkt aus New Orleans.
Destination Technodome steht für den Anfang einer neuen Generation von Freizeitzentren der Zukunft, den sogenannten „Fantasiestädten“, wo in einem „thematisch“ gestalteten Umfeld Tourismus, Unterhaltung und Konsum zu einem gemeinsamen Geschäftsfeld verschmelzen.
Diese urbanen Großprojekte werden als Rezept gegen sich verschlechternde Wirtschaftsdaten innerstädtischer Lagen und gegen rückläufige Umsätze in den Einkaufszentren an der Peripherie gepriesen.
Kritiker wie der US-amerikanische Autor Paul Goldberger warnen allerdings davor, daß die Urbanisierung von Freizeit zwangsläufig zu einer weiteren Verödung der öffentlichen Plätze und Aushöhlung nachbarschaftlicher Identität führen werde.
Als Vorlagen für diese Quasi-Städte fungieren jene Disneyland-Versionen von Themenparks, die unsere Idealvorstellungen von städtischem Leben für immer verändert haben. Um den Bedürfnissen einer vornehmlich weißen, mittelständischen Zielgruppe aus vorstädtischen Wohngebieten gerecht zu werden, schuf Disney das simulierte Abbild einer idealen Welt, frei von nennenswerten Gefahren, Konflikten und Gegensätzlichkeiten.
Als BesucherIn in Disneyland, egal ob in Kalifornien, Tokio oder Florida, ist man vor herumliegendem Abfall ebenso sicher wie vor der Belästigung durch Obdachlose oder unliebsame Jugendliche oder einem Raubüberfall am hellichten Tag.
Das Straßenbild wird hier beherrscht von zuckersüßen Erinnerungen an die „gute alte Zeit“ wie einem Blasmusikkonzert auf dem Marktplatz. Mit den exotischen Lokalitäten verhält es sich ähnlich: Weder ist man von Sprach- oder Währungsproblemen geplagt, noch muß man sanitäre oder politische Mißstände fürchten. Diese „sterilen Rummelplätze“, wie sie Herbert Muschg, Architekturkritiker für die New York Times einmal genannt hat, triumphieren dabei spielend über die Realität.
Die Architekten, Entwicklerinnen und Planer für die Themenpark-Städte der Zukunft haben im wesentlichen zwei Kernstrategien von Disney übernommen und weiterentwickelt. Äußerlich werden die Gebäude der neuen Unterhaltungstempel in eine Aura des Fantastischen und Wundersamen eingehüllt, um möglichst wohlgefällig auf ihre Betrachter zu wirken.
In ihrem Inneren präsentieren sich harmonische Ladenwelten, scheinbar in krassem Gegensatz zu den optisch schreienden, um die Aufmerksamkeit der KundInnen buhlenden Auslagen herkömmlicher Geschäftsstraßen.
Mögen Fassaden auch noch so beruhigend wirken, hinter jeder von Disney inspirierten Architektur – mit ihrer Mischung aus Konsumbezogenheit, Unterhaltung und populärer Kultur – steht ebenso beinhart kalkuliertes kommerzielles Interesse.
Eine weitere wesentliche Komponente für den Erfolg des Disney-Modells sind seine hochwirksamen, dabei aber weitgehend unsichtbaren Überwachungs- und Kontrollsysteme.Thomas Vonler, Architekt und Sicherheitsberater der US-Regierungsbehörden, hält die Disney-Themenparks für die derzeit ausgereiftesten Beispiele von „großflächigen, urbanen Überwachungszonen“.
In Floridas Disney World werden alle Besucherströme von einer dezenten, aber wirkungsvollen Kombination aus Tonbandansagen, Robotern in Menschengestalt und Personal dirigiert. Technische Hilfen wie die Monorails und andere Transportsysteme sorgen zusammen mit physischen Barrieren wie Teichen, Springbrunnen und Blumenhügeln dafür, daß die Besucher sich den Attraktionen von der richtigen Richtung her nähern bzw. sie wieder verlassen. Selbst eine so harmlose Handlung wie das Ausziehen der Schuhe führt unweigerlich zu einer sofortigen Intervention und einem entsprechendem Verweis. Erst ein Kontrollsystem mit derartiger Effizienz garantiert, daß das Publikum einem von den Parkdesignern exakt vorgeplanten Ablauf auch tatsächlich folgt.
Bei der Sanierung von Manhattans Times Square, der ehemals anrüchigsten Pornomeile zwischen New York und San Francisco, ist der Disney Konzern engagiert. Wachebeamte des Times Square Business Improvement District patrouillieren zweimal täglich auf einer computergestützten Route von insgesamt 45 Kontrollpunkten, um die jeweils eingegangenen aktuellen Beschwerden über Belästigungen zu überprüfen. Die Erfahrungen aus den Vergnügungsparks werden auch in anderen Bereichen des realen Lebens auf ihre Anwendbarkeit hin erprobt. „Sandlersichere“ Wartebänke, auf denen es unmöglich sein soll, zu schlafen, finden sich neuerdings an den Haltestellen der Los Angeles Transit Authority. Andernorts kann bereits der Versuch eines „unbefugten“ Einnickens zu einem Hinauswurf durch das Wachpersonal führen.
Insgesamt gesehen ist die „Disneyfizierung“ unserer Städte ein Symbol für den wachsenden gesellschaftlichen Trend: Eindrücke werden zu standardisierten Konsumgütern. Freizeiterlebnisse werden inzwischen nach den gleichen Kritierien wie Konsumgüter gekauft und gesammelt.
Das Bemerkenswerte daran ist aber nicht so sehr die Tatsache, wie der Konsum unseren Status und unsere Identität definiert, sondern, wie dieser zunehmend von den riesigen Unterhaltungskonzernen gesteuert wird.
Disneyland garantiert seinen BesucherInnen ein Happyend. Doch für die Aschenputtel des 21. Jahrhunderts dürfte die Schlittenfahrt durch die Fantasiereiche holprig werden. Die Aussicht, daß sich der wirtschaftliche Erfolg von Megaprojekten wie Festivalgeländen, Designer-Sportarenen und Hightech-Freizeitzentren auf die ökonomisch meist schwachen umliegenden Regionen positiv auswirkt, ist eher unwahrscheinlich.
Touristinnen wie Tagesausflügler bleiben lieber im Gedränge der Glas- und Kunststoffpaläste, wo sie sich relativ sicher fühlen. Nur wenige von ihnen besuchen auch umliegende Restaurants und Läden.
Atlantic City in New Jersey ist ein Paradebeispiel für diese Entwicklung. Seit der Einführung der Casinos im Jahr 1978 haben 100 der ursprünglich 250 Restaurants der Stadt zugesperrt, die Bevölkerung hat sich um ein Zehntel verringert und die Immobilienpreise sind gesunken.
Während kaum noch Nachfrage für die leerstehenden Lagerhallen und Fabriksgelände der City besteht, ist als Zubringer für ein neues, 1,5 Mrd. US-Dollar teures Supercasino eine eigene Tunneltrasse mitten unter dem letzten noch intakten schwarzen Mittelschicht-Wohnviertel der Stadt geplant.
Neben den enormen Errichtungskosten stellt die relative Kurzlebigkeit der Attraktionen jeden Betreiber eines Themenparks vor eine maßgebliche Hürde. Das bedeutet, daß in Wahrheit einige wenige gut gepolsterte internationale Unterhaltungsmultis die Branche dominieren: Nur Disney, Universal, Sony, Warner Bros., Paramount und Rank verfügen mit den Copyrights zu ihren jeweiligen Film- und Comicstars über genügend Reserven, um in ihren Parks keine Langeweile aufkommen zu lassen.
Als Tummelplatz für ihr neues Geschäft haben sich die US-Unterhaltungsriesen nicht nur auf ihren Heimatmarkt beschränkt: bis zur Wirtschaftskrise in Asien waren amerikanische Ikonen wie Disney, Hard Rock Cafe oder Universal Studios in Japan, Indonesien, Malaysia, den Philippinen und anderen südostasiatischen Ländern beim Errichten eigener Vergnügungstempel aktiv und damit äußerst erfolgreich
Im postmodernen Zeitalter sei Amerika einfach zu einem weiteren Markenzeichen geworden, vergleichbar mit Chanel und Armani, formulierte es kürzlich Mitsuhiro Yoshimoto, ein Student aus Japan, sehr scharfsinnig. Die verführische, neue Welt von Themenparks und Markenkonsum birgt in sich allerdings die Gefahr, daß Gemeinschaftssinn und Nationalbewußtsein von einem allgegenwärtigen „Made-in-America“-Lebensgefühl verwässert werden.
John Hannigan ist Professor für Soziologie an der Universität Toronto und Autor von Fantasy City: Pleasure and Profit in the Postmodern Metropolis (Routledge, 1998).
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