Standortfaktor Biennale

Von Sarah Hilterscheid · · 2008/12

Seit den 1990er Jahren leisten sich mehr und mehr Länder internationale Kunstausstellungen. Auch die Biennalen des Südens finden international immer mehr Anerkennung und tragen zur Aufarbeitung lokaler Kunst- und Kulturgeschichte bei.

Was mit einer „Weltausstellung“ Bildender Kunst 1895 in Venedig begann, findet sich heute als Modell über den ganzen Globus verbreitet. Viele Biennalen sind ein Produkt von Nachkriegszeiten und Dekolonisierung und gehen mit dem Bestreben von Nationen einher, Positionen autonomer Selbstbehauptung zu entwickeln. Dies gilt insbesondere für die Biennalen des Südens. Neben der geografischen Ausbreitung der Ausstellungen hat sich auch die Mobilität von KünstlerInnen, KuratorInnen wie auch des Publikums erhöht, soziale Beziehungen können somit intensiviert werden. Allerdings ist die für viele so selbstverständliche Mobilität ein Faktor, der für andere rasch auch ausgrenzend wirkt.
Immerhin werden Austausch und Mobilität auch institutionell gefördert. So bietet etwa das deutsche Goethe-Institut mit dem Programm „Moving Afrika“ jungen afrikanischen KünstlerInnen die Möglichkeit, an kulturellen Veranstaltungen innerhalb Afrikas teilzunehmen. Trotz solch vorbildlicher Initiativen ist der Bedarf jedoch noch lange nicht gedeckt. Gerade in Afrika sind Flüge außergewöhnlich teuer und stellen einen absoluten Luxus dar, sodass viele Kunstschaffende und -interessierte mehrwöchige Reisen mit dem Bus auf sich nehmen, um etwa von Luanda in Angola nach Dakar in Senegal zu gelangen.
Immer wieder stellt sich die Frage, wie Biennalen als „Standortfaktoren“ eingesetzt werden können und in welcher Form sie politische, kulturelle und wirtschaftliche Funktionen für die jeweiligen Orte übernehmen, an denen sie stattfinden. Zwei Ausstellungen, bei denen sich dies auf ganz unterschiedliche Weise zeigt, sind die Biennalen in São Paulo, Brasilien und Dakar, Senegal.

Die Gründung der Dak’Art 1992 steht in der Tradition des Premier Festival mondial des Arts nègres – dem ersten Weltfestival schwarzer Kunst – das 1966 nach der Unabhängigkeit Senegals vom damaligen Staatspräsidenten Léopold Sédar Senghor ausgerichtet wurde. Sie fällt in die Zeit der Öffnung des globalen Kunstbetriebs für moderne afrikanische Kunst seit den späten 1980er Jahren. Im Gegensatz zur afrikanischen Biennale in Johannesburg, die nur zweimal veranstaltet wurde, handelt es sich bei der Ausstellung in Dakar um ein recht beständiges Modell.
Die Dak’Art steht unter der Schirmherrschaft des senegalesischen Kulturministeriums und wird vom Secrétariat Général de la Biennale organisiert. In diesem Jahr hatte sie ein Budget von 1,5 Mio. Euro, von dem ein Drittel von der EU gefördert wurde. Die Biennale ist gedacht als ein Forum für afrikanische Kunst. Die Themen der Ausstellung kreisen oft um lokal relevante Fragen der Identität und arbeiten eine „eigene“ Kunst- und Kulturgeschichte auf. 2008 geschah dies beispielsweise durch eine Retrospektive des bekannten senegalesischen Künstlers Iba Ndiaye (1928-1966), die seine Arbeiten auch dem internationalen Publikum zugänglich machte. Ähnlich gilt dies für zeitgenössische KünstlerInnen, denen die Biennale idealerweise den ersten Schritt zur internationalen Ausstellungstätigkeit ermöglicht.
In Dakar spielt die Biennale als kultureller Standortfaktor eine wichtige Rolle, da sowohl in der Stadt selbst als auch in Westafrika kaum moderne Kunst- und Kulturzentren existieren. Als Förderinstitutionen afrikanischer Kunst treten beispielsweise das Centre Culturel Blaise Senghor oder das Institut Fondamental d’Afrique Noire in Erscheinung. Eine wichtige Rolle spielt auch die École Nationale des Arts, die bereits in den 1960er Jahren von Léopold Sédar Senghor als nationale Kunsthochschule gegründet wurde.

Die Biennale São Paulo besitzt als zweitälteste internationale Großausstellung eine weitaus längere Tradition als die Dak‘ Art und wurde erstmalig 1951 ausgerichtet. Ihre Entstehung lässt sich vor allem mit dem Willen zur Modernität begründen, der auch Architektur und Städtebau in Brasilien in dieser Zeit prägte. Strukturell orientierte sich São Paulo an der Biennale Venedig und ihrem Modell der Staatenrepräsentation, das KünstlerInnen quasi zu LandesvertreterInnen macht. Dass dieses Modell auch die Gefahr birgt, von politischen Interessen vereinnahmt zu werden, zeigte sich am taiwanesischen Beitrag im Jahr 2002. Er wurde im Katalog der Biennale São Paulo nicht als solcher gekennzeichnet, da Taiwan von vielen Nationen, die mit China kooperieren, nicht als eigenständiger Staat anerkannt wird.
Spannend wird es, wenn dieses prekäre Modell der nationalen Repräsentation nach und nach außer Kraft gesetzt wird. So entschied man sich 2006 in São Paulo dazu, es abzuschaffen.
Die Ausstellungsarchitektur der Biennale wurde in den 1950er Jahren von Oscar Niemeyer gebaut. Sie ist von einem Park umgeben, der auch ein kulturelles Zentrum der Stadt darstellt. Aufgrund ihrer Lage wird der Besuch der Ausstellung oft zum sonntäglichen Familienausflug.

Im Gegensatz dazu bleiben die Ausstellungsräume in Dakar nach der ersten Woche der Biennale eher unbeachtet, obwohl der Eintritt kostenlos ist. Außerdem werden westliche Vorstellungen einer „gut organisierten“ Ausstellung in Dakar schnell außer Kraft gesetzt. So wechselten in diesem Jahr Termine des Begleitprogramms ständig, Veranstaltungen hatten Stromausfälle, in den Ausstellungsräumen waren Teppiche nur teilweise verlegt. Trotz alledem gab es interessante Diskussionsrunden und spannende künstlerische Arbeiten. Was zunächst einfach als Störfaktoren erscheint, sind auch Organisationsformen, die lokal geprägt sind und damit gewissermaßen ein Gegenbild zu westlich standardisierten Ausstellungen bilden. Hier müssten auch westliche BetrachterInnen lernen, sich mit den Gegebenheiten vor Ort zu arrangieren.
Eine Chance für die dort ansässigen Künstlerinnen und Künstler bietet das Off-Programm als Alternative zur offiziellen Ausstellung Dak’Art. Das Programm ist an verschiedensten Orten – in diesem Jahr waren es etwa 150 – in Stadt und Region verteilt und ermöglicht eine offene Teilnahme. Beispielsweise waren auch Arbeiten auf der ehemaligen Sklaveninsel Gorée ausgestellt. Besonders in Dakar ist zu beobachten, dass die KünstlerInnen auch über die Biennale hinaus – den informellen Strukturen der Stadt ähnlich – ihre eigenen Netzwerke bilden. Wer beispielsweise nicht als KünstlerIn in die Ausstellung aufgenommen wurde, übernahm dafür vielleicht die Funktion des Managers. Die École Nationale des Arts in Dakar bietet seit einigen Jahren das Fach Kulturmanagement an, Studierende können einen Titel als „Animateur Culturel“ erwerben. Ziel ist, Fachpersonal auszubilden, das zukünftig die institutionellen Rahmenbedingungen schafft.

Die Biennalen – gerade im Süden – sind aus kulturpolitischer Sicht sehr bedeutend für ihre jeweiligen Länder, Regionen oder gar Kontinente. Sie bilden die notwendige Grundlage für Pluralität und Verschiedenheit und wirken somit der Verwestlichung des Kunstbetriebs entgegen. Nicht zuletzt eignen sie sich als Formen der Wissensvermittlung, um lokale Kunst- und Kulturgeschichten aufzubauen, die aufgrund der Internationalität wiederum über die eigenen Staatsgrenzen hinausgehen.

Sarah Hilterscheid ist Koordinatorin des Centrum für Postcolonial und Gender Studies an der Universität Trier und beschäftigt sich in ihrem Dissertationsprojekt mit Prozessen und Positionen im internationalen Ausstellungsbetrieb.

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